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Eismeister Zaugg

Eismeister-Analyse zum jüngsten Erfolg der SCL Tigers

Tigers Julian Schmutz, Santtu Kinnunen, Joel Salzgeber, Samuel Erni, Jerome Bachofner, Torschuetze zum 2:1 jubeln beim Eishockey-Qualifikationsspiel der National League, zwischen den SCL Tigers und de ...
Jubelnde SCL Tigers gegen den EV Zug.Bild: keystone
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Über zerbrochene Spielzeuge, Diebstahl und Langnaus Zähmung des Zufalls

Ein erstaunlicher Sieg, der Langnaus DNA «Geld und Geist» erklärt. Die SCL Tigers verdanken das 3:1 gegen Zug nicht dem Geld, nicht dem Glück, nicht den Schiedsrichtern. Sondern in erster Linie dem gesammelten Eishockey-Wissen und der Fähigkeit, «kaputte Spielzeuge» zu finden.
06.12.2025, 11:5006.12.2025, 13:13

Der – zugegeben – zynische Ausdruck kommt aus dem nordamerikanischen Hockey und wird gerne vom legendären Chris McSorley (früher Servette, heute Sierre) verwendet: «Broken Toys» (kaputte Spielzeuge). Er meint damit: Wenn du kein Geld hast, dann suche nach Spielern, die andere übersehen oder falsch eingeschätzt haben oder in ihrer Karriere einfach nicht mehr weiterkommen. Die bekommst du für wenig Geld.

Die Voraussetzung zu diesem Vorgehen ist ein gutes «Scouting». Also die Fähigkeit, Spieler zu beobachten und ihre Fähigkeiten richtig einzuschätzen. Was einfach tönt, ist überaus schwierig: Es geht ja nicht nur um das Talent, es geht auch darum, herauszufinden, ob einer ins Team, ins Unternehmen passt.

Wer einen Spieler verpflichtet, denkt manchmal zu wenig daran, dass eine Persönlichkeit kommt. Oft mit Ecken und Kanten. Aber eben auch der Grundsatz gilt: Es sind nie die schlechtesten Früchte, woran die Wespen nagen.

Die drei Treffer gegen die Zuger erzielten Dario Rohrbach, Jérôme Bachofner und André Petersson. Das reichte, weil Torhüter Robin Meyer 95,45 Prozent der Pucks parierte und besser war als auf der Gegenseite der legendäre Leonardo Genoni (91,67 Prozent). Alle vier erklären uns auf eine besondere Weise Langnau.

Dario Rohrbach ist durch einen «Diebstahl» nach Langnau gekommen. Im Laufe der Saison 2021/22 tauschten die Emmentaler Kay Schweri (28) bei Ajoie gegen Dario Rohrbach (27) ein. Eines der besten Tauschgeschäfte in der Geschichte unseres Hockeys: Dario Rohrbach trägt in Langnau zeitweise das Ehrengewand des Topskorers und hat es bis ins WM-Team gebracht. Kay Schweri ist inzwischen bei Basel ein Hinterbänkler in der Swiss League. Solch einseitige Tauschgeschäfte werden als «Diebstahl» bezeichnet.

Vor dieser Saison hatte Sportchef Pascal Müller drei Transfer-Hausaufgaben zu erledigen:

Die wichtigste: Weil Nationaltorhüter Stéphane Charlin nach Genf zurückkehrt, braucht er dringend einen sehr guten Schweizer Torhüter. Ganz nebenbei: Charlin war, als er nach Langnau kam, ein «Broken Toy» und reifte im Emmental zum Nationalgoalie.

Tigers Sportchef Pascal Mueller, vor dem Eishockey-Qualifikationsspiel der National League zwischen den SCL Tigers und dem HC Fribourg-Gotteron, am Freitag, 20. September 2024, in der Emmental Versich ...
Pascal Müller.Bild: keystone

Die Langnauer wollen keine Ausländerlizenz für einen Goalie verschwenden. Aber einen helvetischen Torhüter mit Rang und Namen gibt es auf dem Transfermarkt nicht. Pascal Müller holt aus den Niederungen der zweithöchsten Liga ein vergessenes Talent: Robin Meyer. Ein Torhüter, der nie in seiner Karriere, auch nicht als Junior, ein Länderspiel bestritten hat, soll Stéphane Charlin ersetzen?

Wahnsinn! Geht nicht.

Geht doch: Robin Meyer (25) ist inzwischen die Goalie-Entdeckung der Saison und hat alle drei Partien gegen Zug gewonnen. Zwei davon gegen Leonardo Genoni.

Mit dem Rücktritt von Kult-Captain Pascal Berger (36) geht zwar kein Topskorer, aber ein wichtiger Schweizer Stürmer verloren. Der Sportchef sucht also einen bestandenen, guten Schweizer Stürmer. Aber einen helvetischen Stürmer mit Rang und Namen gibt es auf dem Transfermarkt nicht. Der Juni zieht ins Emmental, die Heuernte ist weitgehend eingebracht und die SCL Tigers haben immer noch keinen Schweizer Stürmer gefunden.

Erst am 11. Juni 2025 vermelden sie die Verpflichtung von Jérôme Bachofner (29). Ein «Züri-Bueb», der zwar von den Hockey-Göttern mit einem Überfluss an Talent gesegnet worden ist, aber weder in Zürich noch in Zug und nicht einmal in der Wohlfühloase Biel glücklich geworden ist, soll Langnau weiterhelfen?

Wahnsinn! Geht nicht.

Geht doch. Jérôme Bachofner hat mit dem Siegestreffer gegen Zug (2:1) sein 9. Saisontor erzielt und damit bereits seine persönliche Rekordmarke egalisiert. Ein «Broken Toy» im Sinne von Chris McSorley ist in Tat und Wahrheit ein freundlicher, unkomplizierter junger Mann mit gesundem Selbstvertrauen, der der Chemie des Teams und dem Spiel der Langnauer sehr guttut.

Exakt zum Sommeranfang (am 21. Juni) kommt eine Hockey-Hiobsbotschaft aus Langnau: Aleksi Saarela muss in Finnland ins Militär einrücken und verlässt deshalb die SCL Tigers. Im Sommer ist der Ausländermarkt bereits ausgetrocknet. Geradezu Wahnsinn, zu glauben, es werde gelingen, den besten Torschützen des Teams gleichwertig und preiswert ersetzen zu können.

Geht nicht.

Geht doch. Am 4. Juli vermelden die Langnauer die Verpflichtung des schwedischen Flügels André Petersson (35). Er ist inzwischen so etwas wie die «Ausländer-Entdeckung» der Saison, trägt das Ehrengewand des Topskorers, ist die Nummer 9 der Liga-Skorerliste und kann zeitnah entscheiden, ob er in Langnau verlängern oder eines der Angebote aus der Liga annehmen will.

Der gemeinsame Nenner

So unterschiedlich die Karrieren und Geschichten dieser vier Väter des Sieges gegen Zug auch sein mögen – es gibt einen gemeinsamen Nenner: Langnaus Scouting.

In diesem Bereich sind die Emmentaler inzwischen erfolgreicher als alle anderen Klubs, weil es ihnen in den letzten Jahren gelungen ist, das hauseigene Wissen zu bündeln. Will heissen: Immer mehr bringen verdiente ehemalige oder dem Klub nahestehende Spieler oder Trainer ihr Wissen ein.

Wenn beispielsweise an einem Tisch Stanley-Cup-Sieger Martin Gerber, Luganos ehemaliger Kult-Captain Steve Hirschi, die Verteidigerlegende Samuel Balmer, Kult-Ausbildner Alfred Bohren, Trainer Thierry Paterlini, Sportchef Pascal Müller und Olympiasieger und Weltmeister Harri Pesonen an einem Tisch sitzen und darüber beraten, ob dieser oder jener Spieler verpflichtet werden soll – dann ist die Trefferquote in der Regel hoch. Hier kommt ein Beziehungsnetz zum Tragen, das in der Hockey-Welt dichter ist als das Wurzelwerk eines fünfhundertjährigen Eichenbaumes.

Präsident Peter Jakob ist es seit seiner Amtsübernahme 2009 mit Beharrlichkeit und Überzeugungskraft nach und nach gelungen, die SCL Tigers über den Sport hinaus zum Kraftort des Emmentals zu machen. Zu einem Projekt, das die Besten im Emmental zusammenbringt und es ermöglicht, das Potenzial einer Region zu nutzen, das weit über die reine Geldbeschaffung hinausgeht.

Nur so ist es möglich, im oberen Emmental, in der zusammen mit der Leventina strukturschwächsten Landesgegend ein Hockey-Unternehmen in der obersten Spielklasse zu finanzieren – etwas, was beispielsweise in Basel, einer der reichsten Städte der Welt, nicht möglich ist.

Das Eishockey ist ein unberechenbares Geschäft mit einem Spiel, das auf rutschiger Unterlage ausgetragen wird. Zufall und Glück spielen immer eine Rolle und Rückschläge sind unvermeidlich. Aber wem es gelingt, durch Fachwissen, Fleiss, Schlauheit, Kontinuität und Erfahrung die unberechenbaren Faktoren kleinzuhalten, den Zufall zu zähmen und wenigstens das Berechenbare richtig zu machen, kann sich auf Dauer behaupten. Nur wenigen Hockey-Organisationen gelingt die Zähmung des Zufalls so gut wie den SCL Tigers.

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