Auf den ersten Blick war es fast so wie einst in der guten alten Zeit. Als das Hallenstadion noch eine Kultarena, der HC Lugano ein Titan und die Deutschschweiz eine verschworene Hockey-Gemeinschaft waren. Vereint nach der Devise: Alle gegen Lugano.
Operettenhockey? Es scheint so: 9 Zweiminutenstrafen gegen Lugano und nur eine einzige gegen die ZSC Lions. 48:2 Strafminuten, Disziplinarstrafen und den Restausschluss von Coach Greg Ireland eingerechnet. Plus ein Penalty für die ZSC Lions, den Robert Nilsson nicht am mittelmässigen Elvis Merzlikins vorbeibringt (Fangquote 89,74 %).
Drei Powerplaytore für die Zürcher, eines für die Tessiner, die ihr einziges Überzahlspiel nützen. Das Schlussresultat (4:1) steht bei extremer «Strafenverteilung» bereits nach 41 Minuten und 2 Sekunden fest. Das alles mahnt in der Tat an Operetten-Hockey.
Verständlich, dass es Luganos Sportchef Roland Habisreutinger nicht mehr auf seinem Tribunensitz hält. Er eilt kurz vor der zweiten Pause zur Spielerbank hinunter. Wahrscheinlich ahnt er, dass sich sein Cheftrainer Greg Ireland aufregt. Entschuldbar, dass Greg Ireland tatsächlich mit einer Spieldauer-Disziplinarstrafe belegt und fürs Schlussdrittel auf die Tribune geschickt wird. Lugano-Trainer sind auch nur Menschen.
Ganz am Schluss ist es noch ein bisschen wie früher im alten, kultigen, wilden Hallenstadion. Ein paar Zürcher beschimpfen Luganos Spieler beim Verlassen des Eisfeldes. Gut sind Sicherheitsleute da und beruhigen.
Eine vaterländische Auseinandersetzung zwischen den mit Stöcken bewaffneten und wie Ritter gepanzerten harten Männern und den unanständigen Zuschauern hätte womöglich ausbrechen können. Mit dem Stock wären die Beleidiger gut zu erreichen gewesen. Nun denn: Hockey ist ein emotionales Spiel. Für Fans und Spieler. Ende gut, alles gut.
Operettenhockey? Nein. Ganz und gar nicht. Selbst ein der Polemik zugetaner Chronist muss sagen, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist.
Auch wenn Tobias Wehrli und Marc Wiegand etwas kleinlich gepfiffen haben – jede Strafe war auf der Grundlage des Hockeystrafgesetzes (des Regelbuches) gerechtfertigt. Auch der Penalty-Entscheid. Die Statistik mag etwas anderes sagen – aber die tüchtigen Schiedsrichter haben Lugano nicht benachteiligt. Es gab keine Verschwörung gegen Lugano.
Warum dann doch diese einseitige Strafenstatistik? Nun, die Zürcher zelebrierten in der Defensivzone Luganos phasenweise ein begeisterndes Lauf-, Tempo- und Kreiselhockey. Und weil sie die Scheibe dabei auch noch gut abdeckten, zäh verteidigten und hart zur Sache gingen, war es schwierig, sie auf legale Art und Weise zu stoppen. Die ZSC Lions waren für Luganos Defensive zu schnell. Sie hätten so auch die SCB-Abwehr ins Wanken gebracht.
Die offensive spielerische Substanz Luganos ist zwar beeindruckend – aber die Balance stimmte in diesem Spitzenspiel im Hallenstadion nicht. Vorne war Lugano in lichten Momenten ein Maserati –und hinten permanent ein Traktor mit stotterndem Dieselmotor.
Was ist dieser Sieg der ZSC Lions wert? In gewöhnlichen Zeiten viel. Denn Lugano war trotz defensiver Überforderung keine Operetten-Mannschaft. Immer wieder blitzte spielerische Klasse auf. Gegen dieses Lugano gibt es keine Gratissiege.
Immerhin hatte die Mannschaft in diesem Herbst schon sechsmal hintereinander gewonnen – gegen Ambri, Langnau, Servette, Biel, Fribourg und Davos. Ehe am letzten Dienstag in Kloten gegen das Schlusslicht eine Schmach (1:3) folgte. Aber die ZSC Lions waren am Dienstag ja auch keine Helden gewesen (2:3 in Langnau).
Nicht nur nach jedem Sieg, grundsätzlich nach jedem Spiel stellt sich bei den ZSC Lions und Lugano die Frage: wird das gegen den SC Bern reichen? Sind wir gut genug, um den Meister herauszufordern?
Gehen wir also dieser Frage nach. Stehen die ZSC Lions, wenn sie so bei der Sache sind wie an diesem Donnerstagabend, auf Augenhöhe mit dem SCB? Der SCB ist diese Saison das Mass aller helvetischen Hockeydinge.
Ja, wahrscheinlich schon. Immerhin haben die Zürcher kürzlich in Bern erst in der Verlängerung (3:4) verloren. Das Problem ist allerdings, dass die ZSC Lions bisher nur ausnahmsweise während einer ganzen Partie konstant auf diesem Niveau gespielt haben. Der SCB hingegen erreichte diese Saison das gestrige Niveau der Zürcher auch mit «Werktagshockey».
Und da ist noch etwas: Der SC Bern hat Leonardo Genoni. Die ZSC Lions haben Lukas Flüeler und Niklas Schlegel (gegen Lugano spielte Flüeler).
Und Lugano? So wie am Donnerstag in Zürich reicht es bei weitem nicht. Aber wir sollten nicht den Fehler machen, Lugano zu unterschätzen. In Bern hat Lugano diese Saison im Schlussdrittel ein 1:4 und in ein 5:4 nach Penaltys verwandelt. Aber auch Lugano fehlt die schon fast unheimliche Konstanz und Systemsicherheit des Meisters.
Weder die ZSC Lions noch Lugano müssen um die Playoffs-Qualifikation zittern. Wenn Lugano und die ZSC Lions spielen, dann ist es diese Saison eigentlich immer ein Üben für die Partien gegen den SC Bern. Siege gegen Davos oder Zug sind nett, zählen aber für jemanden nicht, der Meister werden will.
Und nicht vergessen, was für alle gilt: Nur der SCB hat Leonardo Genoni.