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Eismeister Zaugg: Alles wäre so einfach – wenn die Kanadier nicht Kanadier wären

epa06745240 Players of Canada celebrate winning the IIHF World Championship quarter final ice hockey match between Russia and Canada at Royal Arena in Copenhagen, Denmark, 17 May 2018. EPA/LISELOTTE S ...
Kanadier sind Kanadier und das macht es so schwer.Bild: EPA/SCANPIX DENMARK
Eismeister Zaugg

Alles wäre so einfach – wenn die Kanadier nicht Kanadier wären

Es gibt keinen hockeytechnischen Grund, weshalb wir im Halbfinale nicht auch die Kanadier schlagen können. Ausser einen: die Kanadier sind Kanadier.
18.05.2018, 16:07
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Finnland hat Kanada in der Vorrunde gleich mit 5:1 vom Eis gefegt. Also haben wir, da wir ja besser sind als die Finnen, erst recht eine Chance gegen Kanada. Solche «Resultat-Milchbüchleinrechnungen» gehen natürlich nie auf. Sonst wären ja beispielsweise die SCL Tigers Serienmeister.

Was richtig ist: es gibt hockeyfachlich keinen Grund, warum wir die Kanadier im Halbfinale nicht besiegen können.

Natürlich ist Connor McDavid der wahrscheinlich dynamischste, schnellste Stürmer der Welt. Aber wir haben hinten mit Roman Josi auch einen der besten Verteidiger der Welt.

Natürlich haben die Kanadier nur Feldspieler aus der NHL und mithin mehr NHL-Power. Aber auf dem grossen europäischen Eisfeld sind die Besten unserer heimischen Liga bei einer WM so gut brauchbar wie ein durchschnittlicher NHL-Profi.

Natürlich sind die Kanadier kräftiger und robuster. Aber mit der Präsenz von so vielen NHL-Spielern in der Kabine und auf dem Eis wie nie zuvor, kennen auch die Schweizer keine Furcht.

Players of Switzerland celebrate after the Ice Hockey World Championships quarterfinal match between Finland and Switzerland at the Jyske Bank Boxen arena in Herning, Denmark, Thursday, May 17, 2018.  ...
Die Schweizer kennen keine Furcht mehr.Bild: AP/AP

Das Problem ist nicht spielerischer und taktischer Natur. Das Problem ist die Mentalität. Verrückte, schmähliche Niederlagen gehören zur finnischen Hockeykultur. Auch bei WM-Turnieren. Wie 2003, als die Finnen im Viertelfinale der Heim-WM gegen Schweden 5:1 führten und 5:6 verloren. Vielleicht gehören gelegentliche Schmach-Niederlagen auch ein wenig zur finnischen Mentalität. Schliesslich erzählt kein Filmregisseur kultigere Verlierergeschichten als Finnlands preigekrönter Aki Kaurismäki. Er ist auf eine gewisse Weise der Gotthelf der Finnen.

Finnish director Aki Kaurismaki poses for photographers after receiving the Silver Bear for Best Director for 'The Other Side of Hope' at the awards ceremony of the 67th Berlinale Film Festi ...
Aki Kaurismäki, der Gotthelf der Finnen.Bild: AP/Pool dpa

Der Gotthelf der Kanadier aber ist der im Jahre 2000 verstorbene Poet Al Purdy. Wenn wir Aki Kaurismäkis Filme sehen, verstehen wir, warum die Finnen gegen die Schweizer verlieren konnten. Wenn wir Al Purdy Gedichte lesen, ahnen wir, dass es im Halbfinale für die Schweiz schwierig wird. Seine Bücher lassen uns auf besondere Weise die Siegermentalität der Kanadier erahnen. Der Zyniker Charles Bukowski, ein Freund Al Purdys, sagte einmal: «I don't know of any good living poets. But there's this tough son of a bitch up in Canada that walks the line.» Von Al Purdy, diesem «harten Hurensohn da oben in Kanada» stammt die so treffende, martialische Formulierung: «Eishockey ist eine Mischung aus Mord und Ballett.»

Eishockey ist als nationaler Wintersport in der kanadischen Verfassung festgeschrieben. Eine ernste Sache also. Natürlich verlieren auch die Kanadier ab und an wichtige Spiele. Das gehört zur Natur eines unberechenbaren Spiels auf rutschiger Unterlage. Aber sie haben erst einmal verloren, weil sie den Gegner unterschätzt haben: gegen die Sowjets im ersten Spiel der «Super-Serie» von 1972. Im «heiligen» Forum zu Montréal ging die erste Partie einer kanadischen NHL-Auswahl gegen die Sowjets 3:7 verloren. Aber die Kanadier korrigierten die Schmach, gewannen die Serie im 8. und letzten Spiel in Moskau durch das Tor von Paul Henderson. Was als Schmach begonnen hatte, endete als Mythos, der für Kanadas Nationalbewusstsein eine ähnliche Bedeutung hat wie der Fussball-WM-Titel von 1954 für Deutschland.

Um es in einem Satz zu sagen: Die Kanadier werden uns, anders als die Finnen, ganz sicher nicht unterschätzen. Das ist das grösste Problem. Die kanadischen Coaches bereiten sich akribischer als ihre Berufskollegen auf jedes Spiel vor, unabhängig davon, wer der Gegner ist. Und die Spieler kümmert es nicht, wer der Gegner ist. Sie setzen einfach, wenn es wirklich zählt, im Namen des Vaterlandes alles daran, den Job zu machen. Deshalb passiert es ihnen nicht, in einem Spiel, das zählt, den Gegner zu unterschätzen. Deshalb sind sie 26 Mal Weltmeister und 9 Mal Olympiasieger geworden.

Alle Eishockey-Weltmeister

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Diese Nationen wurden schon Eishockey-Weltmeister
Kanada: 28 × Gold, 15 × Silber, 9 × Bronze; zuletzt Weltmeister: 2023.
quelle: keystone / pavel golovkin
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Ach, wenn die Kanadier nur nicht Kanadier wären, wäre es so einfach und wir hätten so gute Finalchancen.

Die Kanadier werden auch nicht den Fehler der Finnen machen, nach einer Führung zu passiv und zu defensiv zu spielen. Ganz im Gegenteil: sie haben eine hochkarätige «Spengler Cup-Mannschaft». In der DNA dieses Teams ist alleine schon von der Besetzung und der Mentalität her der Vorwärtsdrang eingebrannt.

Die Frage wird also sein: gelingt es, die enorme offensive kanadische Feuerkraft zu neutralisieren? Möglich ist es, aber schwierig.

Die Chancen stehen hingegen gut, dass wir gegen die Kanadier vier Tore erzielen. Die Torhüter sind durchschnittlich, die defensive Organisation ist durchlässig. Aber eben: wir dürfen dann nicht mehr als vier Tore zulassen.

Russland schoss vier Tore gegen Kanada – doch es reichte nicht.Video: YouTube/IIHF Worlds 2018

Vom Sieg gegen Finnland war ich überzeugt. Vom Triumph gegen Kanada bin ich es nicht. Sicher ist nur, dass es ein spektakuläres Spiel wird. Womöglich vom Unterhaltungswert her ein «Jahrhundert-Spiel». Weil wir vielleicht auf Jahre hinaus nie mehr mit einem so guten WM-Team die Kanadier in einem so wichtigen Spiel auf Augenhöhe herausfordern können.

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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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zico77
18.05.2018 17:08registriert Mai 2018
kleine Präzisierung: 1972 hiess die Serie zwischen Kanada und der Sowjetunion „Summit Series“. Die „Super Series“ hingegen waren Spiele zwischen NHL-Teams und sowjetischen Teams ab 1976..
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Sapere Aude
18.05.2018 19:43registriert April 2015
Ich staune immer wieder darüber wie oft Zaugg sein geliebtes Langnau irgendwo in einem Artikel unterbringen kann, obwohl dieser keinen Bezug zur Klaus grossen Liebe hat.
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Jakal
18.05.2018 18:30registriert Mai 2016
Man kann es auch anders sehen: Die Schweiz steht im Halbfinale, nicht weil sie gespielt haben wie Russen, oder Schweden. Und schon gar nicht, weil sie gespielt haben wie Schweizer. Sie stehen in diesem Halbfinale, weil sie gespielt haben wie Kanadier. Im diesem Halbfinale trifft nun also Kanada auf Kanada. Und am Ende gewinnen die Kanadier. Die einzige Frage, welche offen bleibt: Haben die siegreichen Kanadier ein Blatt oder ein Kreuz auf der Brust?
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