Weisse Engel und Hockey – wie geht das? Nun, Ajoie spielt auswärts in wunderschönen weissen Dresses und die Jurassier fliegen als «HC Davos der NLB» übers Eis. Und sie können, wie vor einem Jahr, die rettenden Engel des NLA-Playout-Verlierers sein. Wird Ajoie nämlich erneut NLB-Meister entfällt die Ligaqualifikation. Der HC Ajoie hat keine Aufstiegsbewilligung.
In Langenthal flogen die «weissen Engel». Es ist das Duell der offensivstärksten Mannschaft gegen die stabilste Abwehr der Liga (Ajoie 202:136, Langenthal 181:105 Tore). Trainer Gary Sheehan ist der «Arno Del Curto» des welschen Hockeys. Der Kanadier pflegt ein ähnlich bedingungsloses, schnelles Vorwärtshockey wie Arno Del Curto. Er sagt: «Wir sind nicht kräftig genug um hinten hineinzustehen. Unsere einzige Chance ist diese Vorwärtsstrategie.»
Diese Strategie wäre beinahe aufgegangen. Langenthal kassiert zum ersten Mal in dieser Saison auf eigenem Eis sechs Treffer. Die Torfolge dokumentiert eines der grössten Playoff-Dramen dieses Jahrhunderts. Langenthal führt 2:0, gerät 2:5 in Rückstand, kommt auf 4:5 heran, kassiert das 4:6, schafft doch den Ausgleich zum 6:6 und gewinnt in der Verlängerung 7:6.
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— SC Langenthal (@seit1946) 5. März 2017
Die besten NLB-Teams haben ein intaktes Selbstvertrauen. Sie können Rückschläge überwinden. Ambri, zurzeit der wahrscheinlichste Teilnehmer an der Ligaqualifikation, kann in der aktuellen Verfassung nach einem Zweitorerückstand in der taktischen Pfeife geraucht werden.
Die alles überragende und letztlich tragische Figur in diesem Drama ist Ajoies NLB-Topskorer Philip-Michaël Devos (26). Diese Partie zeigt, warum er die zweithöchste Liga dominiert und doch in der NLA wohl chancenlos wäre.
Der geniale Mittelstürmer hat hölzerne Füsse, ein magisches Auge und goldene Hände. Seine Spielübersicht und seine Passqualität mahnen in lichten Augenblicken ein wenig an Wayne Gretzky. Aber der «Jura-Gretzky» ist zerbrechlich wie Porzellan.
In der gesamten Nationalliga gibt es keinen Spieler mit seiner Übersicht. Er spielt Pässe, die erst Erstaunen auslösen («wohin spielt er jetzt bloss wieder …») und dann doch bei einem Mitspieler ankommen. Seine perfekt getimten Zuspiele legen eine ganze Abwehr lahm. Und er ist dazu in der Lage, aus allen Positionen direkt zu schiessen. Nicht scharf. Aber genau.
Devos scheint den Puck zu streicheln, nicht zu schlagen. So kompensiert er seine läuferischen Limiten, die im Vergleich zu seinen schnellen Mitspielern noch viel mehr auffallen. Er ist der überragende Lenker und Denker. Aber kein Renner und auch zu wenig kräftig. In der NLA wäre er gut genug als Powerplay-Spezialist, aber zu wenig robust, um den ersten Block zu führen. Ajoie rennt, Philip-Michaël Devos denkt und lenkt.
Der Kanadier orchestriert die spektakuläre Wende vom 0:2 zum 5:2 mit direkter Beteiligung am zweiten, vierten und fünften Treffer. Hinter einer schwindlig gespielten Abwehr muss Langenthals Marco Mathis nach dem fünften Gegentreffer und einer Fangquote von 68,75 Prozent ausgewechselt werden.
Keine Frage nach dem 2:5: Wenn es nicht gelingen wird, Philip-Michaël Devos zu stoppen, dann ist Langenthal verloren. Deshalb packen die Berner den Knüppel aus. Zehn Sekunden vor der zweiten Pause erreichen sie schliesslich ihr Ziel. Erst geraten Langenthals Aurelien Marti und Ajoies zweiter Kanadier Jonathan Hazen aneinander und dann gelingt es Stefan Tschannen, Ajoies Lenker und Denker in ein Faustgefecht zu verwickeln. Die Folgen entscheiden das Spiel.
Langenthals Captain kommt mit zwei Minuten davon, Ajoies Zaubercenter kassiert vier plus zehn Minuten. Er muss beim Stande von 5:2 die Strafbank aufsuchen und als er 14 Minuten später zurückkehrt, steht es nur noch 6:5. Er kassiert erneute eine Strafe und dieser Ausschluss führt zum 6:6. Er findet nicht mehr zurück ins Spiel. Die bange Frage: Haben ihm die Langenthaler den Nerv gezogen?
Langenthal hat mit Härte, mit Checks, mit Provokationen und mit direktem Zug zum Tor den Gegner zermürbt. Torhüter Eilen Raupe wurde mit Schüssen nur so eingedeckt und die robusten SCL-Stürmer sind viel zu oft vor den Verteidigern an die Abpraller herangekommen. Der «SCB der NLB» erzwingt fünf Tore (inklusive Siegestreffer) ohne Beteiligung der ersten Linie und der Ausländer. Für die NLB eine bemerkenswerte Ausgeglichenheit.
Der Riese Arnaud Montandon (193 cm/98 kg), für die NLA zu wenig schnell, personifiziert mit seiner Wucht die physische Überlegenheit des Qualifikationssiegers. Der Bub der Legende Gil Montandon trifft in der Verlängerung zum 7:6. Dieses Langenthal kann an einem guten Abend auch die SCRJ Lakers, La Chaux-de-Fonds und – sollte es soweit kommen – Ambri zermürben.
Keine Frage: Mit dem Ausschluss von Philip-Michaël Devos ist Ajoies offensives Stromnetz zusammengebrochen. «Das war die Entscheidung», wird Trainer Gary Sheehan hinterher sagen. «Langenthal wurde nach dem 2:0 leichtsinnig und verlor die Disziplin. Wir profitierten davon – und liessen uns dann nach dem 2:5 provozieren und von unserer Linie abbringen. Devos hat gegen Tschannen die Handschuhe fallen lassen und das hat ihm letztlich den Zehn-Minuten-Ausschluss beschert. Er sagte mir, er habe sich nur schützen wollen, er habe auf einmal Tschannens Faust gesehen und demnach haben die Schiedsrichter nicht gesehen, dass auch sein Gegenspieler die Handschuhe ausgezogen hatte.»
Wir sehen: Es hat gerockt und gerollt. 13 Tore, spielerische Highlights und auch das «Böse», von den sehr guten Schiedsrichtern im Rahmen der Reglemente gehalten, ist nicht zu kurz gekommen.
Ambri sollte zu den Hockeygöttern beten, dass es Ajoies gefallenen «weissen Hockeyengeln» irgendwie gelingt, wieder aufzustehen, mit Schnelligkeit die robusten Langenthaler doch noch durcheinanderzuwirbeln, ins Finale zu kommen, dort La Chaux-de-Fonds oder Rappi davonzufliegen und NLB-Meister zu werden. Damit die Ligaqualifikation wie im Vorjahr entfällt. Denn sonst fällt Ambri.