Es ist still geworden um Granit Xhaka. Gut, das ist ein bisschen geflunkert, und relativ aus der Gesamtoptik. Gerade in Anbetracht der Schauplätze, die sich während und nach dem emotionalen 3:2 gegen Serbien auftaten um den Schweizer Captain. Noch nach Mitternacht hatte er sich als soeben gekürter «Man of the Match» den Journalisten-Fragen gestellt, sich kurz erklärt. Damit war für ihn und die Schweizer Delegation die Angelegenheit erledigt. Für die FIFA ebenfalls, die bis anhin kein Verfahren gegen Xhaka eingeleitet hat und das vermutlich nicht mehr tun dürfte. Ansonsten könnte eine Sperre drohen.
Lieber kein Fass auftun, weil dies unweigerlich weitere Diskussionen auslösen würde. Lieber die Dinge nicht heraufbeschwören und heisser kochen, als sie sind. So ungefähr lautet die Devise nach Xhakas Griff in den Schritt und dem Tragen des Jashari-Leibchens – ein Mitspieler, gewiss, aber auch der Name eines kosovarischen Freiheitskämpfers, der sich einst gegen die Unterdrückung der Serben wehrte.
Xhaka ist ebenfalls einer, der sich auflehnt, es ist die andere Seite in ihm. Welch Trugschluss, dass man glaubte, sie würde es nicht mehr geben. Wobei: Er hatte nach dem Brasilien-Spiel ja darauf hingewiesen.
Vorerst bleibt die ganze Angelegenheit also ein Sturm im Wasserglas, und das ist durchaus richtig so. Weil sich Menschen in der Schweiz diesmal nicht wie 2018 beim Doppeladler-Jubel brüskiert fühlten. Und weil man diesmal bei Xhaka vielleicht nicht gerade für alles, aber für vieles Verständnis aufbringt. Für all die üblen Schimpftiraden aus Serbien, diesen Hass der gegnerischen Fans gegenüber kosovarischen Menschen. Xhaka schien darob wie in eigener Mission unterwegs zu sein.
Ganz stumm blieb der Taktgeber des Schweizer Spiels dann doch nicht. Am Samstag widmete er seine Auszeichnung dem gesamten Staff. Dieser habe sie verdient, schrieb Xhaka in den sozialen Medien. Und am Sonntag, da meldete sich der 30-Jährige nochmals mit einem neuen Bild, versehen mit der vielsagenden Aufschrift: «Diejenigen, die sich am besten konzentrieren können, sind gegen emotionale Turbulenzen relativ immun.» Es ist fraglos so, dass im Fussball, diesem Spiel der Fehlervermeidung, die bessere Konzentrationsfähigkeit einen grossen Vorteil verschafft. Wenn es nur so einfach wäre.
Fakt ist, dass sich die Schweizer wie 2018 und 2021 wieder auf einen Nebenschauplatz verirrten – wenngleich der aktuelle weniger brisant ist. Xhaka hat sie alle verursacht, und Christoph Kramer, TV-Experte im Deutschen Fernsehen und früherer Mitspieler Xhakas bei Gladbach, sagte: «Das kriegst du aus ihm nicht mehr heraus. Aber das ist vollkommen okay, weil er nur durch diesen Charakter zu dem Spieler geworden ist, der er ist.»
Xhakas Attitüde vor dem Achtelfinal gegen Portugal lautet also so: Volle Konzentration, egal was um unsere Mannschaft und mich herum passiert. Es geht darum, sich zu fokussieren und nicht unnötig Energie zu verlieren. Womit sie irgendwie halt doch wieder da ist, diese Wagenburgmentalität, wie man sie von ihnen bei vergangenen Turnieren kennt. War es bis zum letzten Freitag ruhig um die Schweizer, ist gerade Xhaka ein Spieler, der Energie holt durch die Reibung in und mit der Öffentlichkeit. Und manchmal schafft das mit ihm auch die Mannschaft.
Wie 2021, als die Schweiz an der EM nach dem 0:3 gegen Italien in Rücklage geriet, in der Konsequenz daraus aber zwei Topspiele gegen die Türkei und im Achtelfinal dann gegen Frankreich zeigte. Wonach die Schweiz euphorisiert war. Doch der Schuss kann auch nach hinten losgehen und das Feuer auf den Nebenschauplätzen verloren gehen.
Wie 2018, als die Schweizer der aufwühlende Sieg gegen Serbien und der Doppeladler im Nachgang viel Kraft kostete, ihre Akkus sich entleerten. Und sie nach dem 0:1 im Achtelfinal gegen Schweden die Heimreise antreten mussten. Am Dienstagabend wird man wissen, ob Xhaka, ob die Schweiz sich Energie geholt oder schon alle verbraucht hat. (aargauerzeitung.ch)