
Sag das doch deinen Freunden!
Gianni Infantino ist neuer Fussballkönig, Gott sei Dank. Der Stossseufzer ist nicht dem Stolz geschuldet, dass weiterhin ein Schweizer eine der mächtigsten Organisationen des Weltsportes führt. Die Erleichterung gilt der Sache. Gianni Infantino befreit den Fussball von einem Albtraum.
Dass die 207 Delegierten tiefgreifenden FIFA-Reformen zugestimmt haben, ist keine Überraschung. Zu gross war der Druck der US-Justiz. Ohne diese Reformen wäre die FIFA zur kriminellen Organisation erklärt worden. Die Wahl von Gianni Infantino ist hingegen eine angenehme Überraschung. Denn die «alte Garde», also viele jener, die Sepp Blatter noch gewählt haben, kürten nun auch den neuen König.
«Le roi est mort, vive le roi» («Der König ist tot, es lebe der König»). Das sind die geflügelten Worte bei einem Machtwechsel. So wurde einst in Frankreich der Tod des alten Königs bestätigt, zugleich der neue ausgerufen und den Untertanen klargemacht: Es wird so weitergehen wie bisher.
Tief im Herzen hoffen die meisten Delegierten immer noch, auch für die FIFA möge gelten «Le roi est mort, vive le roi». Es möge trotz allem, trotz Reformen irgendwie alles so weitergehen wie bisher. Wie unter Sepp Blatter.
Als Favorit galt deshalb Scheich Salman bin Ibrahim al-Khalifa, ein zutiefst undemokratisches Mitglied der Herrscherfamilie von Bahrain. Die neue FIFA regiert und repräsentiert von einem Mann aus einem Kulturkreis, dem Fussball so fremd ist wie uns Kamelrennen? Ein Albtraum. Denn noch so gute Strukturen nützen wenig, wenn sie nicht gelebt werden. Den Schwefelgeruch des Bösen hätte die FIFA mit dem Mann aus dem Morgenland nicht aus den Kleidern gebracht.
Aber Scheich Salman bin Ibrahim al-Khalifa ist nicht gewählt worden. Seine Wahl wäre das Ende der Sportweltmacht FIFA gewesen. Die «alte Garde» hat Gianni Infantino bereits im zweiten Wahlgang zum neuen Präsidenten gekürt und damit die Zukunft gewählt. Ein sicheres Zeichen, wodurch selbst den erzkonservativsten Fussballfunktionären klargeworden ist, dass die Zeiten geändert haben, dass es eine neue FIFA braucht. Das ist überaus erfreulich.
Das zentrale Problem wird in den nächsten Jahren nämlich nicht einmal die US-Justiz sein.
Die Verhaftungen und Rechtshändel, die in den letzten Monaten so viele Schlagzeilen produzierten, werden dereinst nur noch Fussnoten der FIFA-Geschichte sein. Es ist von allen Aufgaben die kleinste, in den Büros des Weltfussballverbandes nun die Geldströme offenzulegen und korrekt zu verbuchen und Entscheidungsprozesse transparent zu machen. Dafür können Fachleute, Buchhalter, Buchprüfer, Bürokraten sorgen. Mit den gestern bewilligten Reformen ist das Fundament für eine neue FIFA gebaut worden.
Es geht um eine viel grössere Herausforderung. Noch ist die FIFA Herrscherin über die Fussballwelt. Sie hat so viel Geld an die nationalen Verbände zu verteilen, dass sie ihren Willen bis in die hintersten Winkel der Welt durchsetzen kann. So gesehen ist der Präsident der FIFA, ob er nun seine Befugnisse durch Reformen eingeschränkt ist oder nicht, fussballpolitisch allmächtig. Die Quelle dieser Macht ist das Geld, das durch die WM verdient wird.
Aber die Fussball-Welt verändert sich im 21. Jahrhundert dramatisch. Die grossen Klubs aus den grossen Ligen haben inzwischen globale Ausstrahlung.
Eine ganz simple Frage führt uns zum Kern des Problems: Woher kommen eigentlich die WM-Stars? Die Spieler also, die es der FIFA ermöglichen, mit der WM Milliarden zu verdienen? Sie kommen aus den grossen Ligen. Ihre Arbeitgeber sind Klubs, die immer mächtiger und reicher werden. Längst braucht ein Spieler nicht mehr WM-Ruhm für eine grosse Karriere und fürs grosse Geld.
Die FIFA von morgen kann nicht mehr so diktieren wie gestern, der neue FIFA-Präsident kann nicht mehr so regieren wie sein Vorgänger. Die FIFA kann nur noch in enger Zusammenarbeit mit den grossen Ligen der Welt ihre Bedeutung erhalten.
Der Tag, an dem einer der grossen Klubs seine Stars nicht mehr für die WM freigibt, bzw. die Klubs das Geld, das die FIFA jetzt noch an die Landesverbände verteilt, für sich reklamieren werden, ist nicht mehr fern.
Das bedeutet, dass der autokratische Stil wie ihn Sepp Blatter pflegte, nicht mehr möglich sein wird. Deshalb muss der neue FIFA-Präsident vom hohen Ross herabsteigen und den Schulterschluss mit den mächtigen Ligen suchen. Die Landesverbände alleine reichen als Machtbasis nicht mehr aus.
Die FIFA kann nur noch durch einen Präsidenten geführt werden, der nicht nur mit den verschiedenen Fussballkulturen vertraut ist und viele Sprachen spricht. Der Vorsitzende muss vor allem die Macht der grossen Ligen und grossen Klubs respektieren. Auch deshalb ist Gianni Infantino der perfekte neue Präsident und ein Glücksfall für die FIFA. Als Generalsekretär der UEFA (sie organisiert die Champions League) ist er bestens mit den Titanen des Klubfussballs vernetzt. Ein Technokrat mit Charme und Überzeugungskraft – und wie sein Vorgänger Sepp Blatter ein Walliser.
Die Walliser sind die talentiertesten Machiavellisten des Sportes. Ein bisschen Sepp Blatter, ein kleiner Machiavelli steckt auch in Gianni Infantino. Sonst wäre er am Freitag nicht FIFA-Präsident geworden – und sonst könnte er sich künftig nicht behaupten.
Denn die «alte Garde» der FIFA, die den neuen Präsidenten gekürt hat, wird sich nur knurrig dem neuen Chef unterziehen. Wer mag, kann ihn als geläuterte, klüger gewordene, pragmatische und moderne Ausgabe seines Vorgängers, als den Sepp Blatter des 21. Jahrhunderts bezeichnen.
Und ein wenig freuen dürfen wir uns schon, dass weiterhin ein Schweizer König des Weltfussballs sein darf. Mit Gianni Infantino hat der Kandidat des Verstandes und der Vernunft die Wahl gewonnen. Pathetisch dürfen wir als Schweizer gar sagen: Geist hat über Geld triumphiert.