
Sag das doch deinen Freunden!
» Der FIFA-Kongress im Liveticker
So zügig ist in der ganzen Weltgeschichte noch nie eine Monarchie in eine Demokratie umgewandelt worden. Die Reformen sind bewilligt, die FIFA ist im 21. Jahrhundert angekommen.
Die Kulisse lässt die sporthistorischen Umwälzungen nicht erahnen. Unter einer fahlen Wintersonne wirkt das Hallenstadion nicht wie eine Kulisse für grosse Ereignisse. Eher wie eine geduckte Werkhalle. Vor jedem Qualifikationsspiel der ZSC Lions sind Gedränge und Aufregung vor dem Stadion grösser. Das wird auch morgen, wenn der HC Davos im Hallenstadion spielt, wieder so sein.
Der Fremde vermutet keinen Kongress von historischer Bedeutung eines Sportverbandes mit Milliardenumsätzen. Beinahe alles geht seinen gewohnten Gang. Ganze 17 Personen haben sich draussen versammelt, um mit dünner Stimme gegen die anstehende Wahl von Scheich Salman bin Ibrahim al-Khalifa zum neuen FIFA-Präsidenten zu protestieren. Sie prangern dessen politische Rolle im Land an und in den Sprechchören, die von der kalten, sanften Bise verweht werden, ist das Wort «Diktator» herauszuhören.
Die Demonstranten wirken nicht bedrohlich. Eher wie eine versprengte Gruppe Zugvögel, die den grossen Zug nach Süden verpasst haben. Mehr Resignation als Zorn. Die paar Ordnungshüter wirken leicht amüsiert. Die TV-Teams und Fotografen sind froh um die Abwechslung und ein paar Bilder. Gut geschnitten und bearbeitet, dürften sie durchaus dramatisch wirken. Aufbegehren als Folklore.
Nun hat die FIFA also moderne Strukturen. Die politische und die wirtschaftliche Entscheidungsebene sind getrennt, Amtszeitbeschränkungen wurden eingeführt. Moderne Strukturen halt. Und wie so oft in der richtigen Welt ist diese Reform nicht ganz freiwillig durchgeführt worden. Sondern auf den Druck der US-Justiz. Sonst hätte man gerne weitergemacht wie bisher.
Und wie bei einer richtigen Revolution und bei Reformen gibt es gestürzte Titanen. Der bisherige König Sepp Blatter ist nicht da. 41 Jahre lang hat er der FIFA gedient und es wird ihm nicht gestattet, sich ganz offiziell zu verabschieden. Das mag juristisch korrekt und politisch erwünscht sein. Aber wie man es dreht und wendet – es ist schäbig. Stillos.
Eine neue Staatsform, eine neue Organisationsstruktur, garantiert noch keineswegs eine Besserung auf allen Ebenen. Das lehrt uns die Geschichte. Strukturen, Organisationen und Staatsformen werden von Personen gelebt. Die Rebellen, die Reformer von heute, sind oft die Despoten von morgen. Jede Revolution, jede Reform, zieht Leute an, die mit den Ideen der Revolution und der Reformen nicht das Geringste zu tun haben. Das könnte auch bei der FIFA so sein.
Der neutrale Beobachter denkt ganz arglos: Wie glaubwürdig sind Reformen des Welt-Fussballverbandes, wenn ein «Prinz aus dem Morgenland», aus einer der unruhigsten Regionen des Planeten, aus einer Weltgegend, in welcher der Fussball keinerlei Bedeutung hat, der neue grosse Vorsitzende wird? Ein Mann, gegen den draussen im kalten Biswind vor dem Wahllokal (in diesem Falle ist es ein Wahlstadion) ein bedauernswertes Häufchen verlorener Aufrechter jetzt schon protestiert?
Die klug durchdachten FIFA-Reformen sind in trockenen Tüchern. In bemerkenswert kurzer Zeit ist auf dem Papier eine neue FIFA entstanden. Das hat so schnell und so gründlich noch kein anderer Sportverband geschafft.
Aber wie viel diese neue Staatsform des Fussball-Weltverbandes in den nächsten Jahren tatsächlich wert ist, ob sie gelebt wird, das entscheidet sich erst am Nachmittag bei der Wahl des neuen Präsidenten. Und je nachdem wie diese Wahl ausgeht, könnten sich jene, die sich eine neue FIFA mit transparenten Geldflüssen und Entscheidungsprozessen, mit demokratischen Lichtgestalten in den entscheidenden Positionen erhoffen, in der gleichen ohnmächtigen Rolle wiederfinden wie die 17 Demonstranten vor dem Hallenstadion.