Viele Argumente waren in den ersten drei Spielen seit der Winterpause nicht zu finden für Nuri Sahin. Bei der 2:3-Niederlage gegen Leverkusen konnte sich der Trainer von Borussia Dortmund noch hinter der ersatzgeschwächten Viererkette und dem nach dem frühen Rückstand beherzten Auftritt verstecken. Für die 2:4-Niederlage in Kiel gab es hingegen keine Ausreden mehr – die war einfach nur peinlich. Und als wäre der Druck auf Sahin nicht schon gross genug gewesen, folgte am Freitagabend in Frankfurt die dritte Niederlage im dritten Spiel des Jahres.
«Peinlich, beschämend und unwürdig», lautete das knallharte Fazit von Sport-Geschäftsführer Lars Ricken nach der Pleite beim Aufsteiger Kiel. Sahin bezichtigte sein Team einer «Nicht-Leistung». Nach der 0:2-Niederlage bei Eintracht Frankfurt rutschte der BVB in der Bundesliga dann auf Platz 10 ab.
Der Rückstand auf die Champions-League-Plätze beträgt bereits sieben Punkte. «Die Situation ist katastrophal und dem Verein nicht gerecht. Das ist nicht unser Anspruch», stellte Sahin klar. Ricken erklärte: «Es ist ein weiterer Tiefschlag. Nur ein Sieg aus den letzten acht Spielen – das ist frustrierend. Die Tabellensituation ist desaströs.»
Noch halten Sport-Geschäftsführer Ricken und Sportdirektor Sebastian Kehl aber an Sahin fest. Der 36-Jährige wird am Dienstagabend in der Champions League in Bologna definitiv noch auf der Trainerbank sitzen, daran liessen die Verantwortlichen keine Zweifel aufkommen. Gegen aussen demonstrieren sie Einigkeit – dabei soll in Dortmund hinter den Kulissen so richtig die Hölle los sein.
Denn nicht alle teilen die Meinung von Ricken und Kehl. So berichtet die Süddeutsche Zeitung am heutigen Montag, dass sich Berater Matthias Sammer und der Technische Direktor Sven Mislintat für eine Entlassung des Trainers ausgesprochen hätten – und für das Aus von Sportchef Kehl. Dabei wurde der Vertrag von Kehl, dem einstigen Abräumer im Dortmunder Mittelfeld, erst vor anderthalb Wochen bis 2027 verlängert.
Dass es beim Ballspielverein so viele Funktionen und Personen in der Führungsriege gibt, die allesamt ein Wort mitreden wollen, ist eher ungewöhnlich. Und es scheint in Krisen nicht besonders förderlich zu sein.
Nicht zum ersten Mal ist von einem Machtkampf zu hören. Besonders zwischen Kehl und Mislintat, der einst als Scout bei dem Klub arbeitete und im Sommer als Technischer Direktor zu Borussia Dortmund zurückgekehrt ist, gab es angeblich schnell Zoff. Es ist daher nicht unbedingt überraschend, dass Mislintat jetzt gerne auch Kehl aus dem Amt befördern würde.
Wichtig ist für den 44-Jährigen, dass neben Ricken auch der mächtige Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hinter ihm steht – ebenso wie hinter Sahin. So geht das klubinterne Ringen um Macht zwischen den mächtigeren Ricken und Kehl als Befürwortern des Trainers und den weniger mächtigen Mislintat und Sammer als Sahin-Gegner vorerst weiter.
Klar ist jedoch, dass sich Sahin wohl keine vierte Niederlage in Serie erlauben darf. Denn Ricken versah das Versprechen, dass der frühere türkische Nationalspieler in Bologna auf der Trainerbank sitzen werde, mit dem Zusatz: «Mit der klaren Erwartungshaltung, dass wir Siege und Ergebnisse einfahren.»
Die Verantwortlichen müssen sich aber auch die Frage stellen, ob das Team unter einem neuen Trainer wirklich besser würde. Natürlich sind die Schwächen der Dortmunder teils eklatant und ist besonders beim Erarbeiten von Chancen keine richtige Idee erkennbar. So kritisiert Lothar Matthäus: «Sahin hat nicht die Mannschaft gefunden, die die DNA hat, die wir von Borussia Dortmund kennen.» Ausserdem fehle es an einer klaren Hierarchie, «es ist keiner da, der die Mannschaft führt, wie ein Xhaka in Leverkusen», so Matthäus. Sahin hätte versuchen sollen, «erst mal die ersten 13 bis 14 Spieler zu finden».
Gleichzeitig performen aber auch die Spieler teilweise deutlich unter ihrem gewohnten Niveau. Matthäus führt vermeintliche Führungsspieler und Leistungsträger wie Julian Brandt und Emre Can an, denen jegliche Konstanz fehlt. Brandt sei selbst nach zehn Jahren Profifussball «ein Talent und kein Unterschiedsspieler. Da kommt einfach nichts», schimpft Matthäus. Kapitän Can habe mehr mit sich selbst zu kämpfen. «Wie kann er dann der Mannschaft helfen?» An der Inkonstanz der Spieler scheiterten vor Sahin schon andere Trainer wie Edin Terzic, Marco Rose oder auch Lucien Favre.
Jedoch weiss auch Sahin, dass am Ende er die Verantwortung tragen und im Falle von Misserfolg den Kopf hinhalten muss. «Ich weiss, wie das Geschäft läuft», so der Trainer, der noch auf Verstärkung hofft. Wie schon im Sommer will der BVB auf dem Transfermarkt auch jetzt noch einmal aktiv werden. Der Ex-Basler Renato Veiga soll von Chelsea kommen, auch der abgangswillige ManUnited-Star Marcus Rashford steht für eine Leihe auf der Liste.
Dortmund und sein Trainer brauchen aber sofortige Besserung. Mit einem Sieg in der Champions League gegen Bologna hätte man die direkte Qualifikation für den Achtelfinal wohl wieder in der eigenen Hand. Gelingt dieser gegen das Team um Remo Freuler, Michel Aebischer und Dan Ndoye aber nicht, könnte die Ära Sahin beim BVB nach etwas mehr als einem halben Jahr schon wieder zu Ende sein.
Dortmunds Probleme würden sich dadurch aber wohl kaum alle auf einmal lösen.