Und dann passiert es doch noch. Fiorentina trifft zum 3:1, als alles schon fürs Penaltyschiessen bereit war. Der Gästeblock tobt, die Basler Spieler liegen regungslos am Boden. Es ist nicht zu fassen. Der Treffer in der 130. Minute war der Abschluss eines nervenaufreibenden Spiels im St.Jakob-Park. Die Chronologie eines denkwürdigen Abends.
Abmarsch in Richtung Stadion. Ab dem frühen Nachmittag haben sich die FCB-Fans in der Steinenvorstadt besammelt, um sich auf den Match einzustimmen.
🔴🔵 Le début de l'infini cortège bâlois! Direction le stade et l'histoire 💪#rotblaulive pic.twitter.com/kdwtt2VoBA
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Auf den knapp 3,5 Kilometern wärmen die Fans schon mal ihre Stimmbänder ein. Davon zeigt sich auch FCB-Präsident David Degen begeistert.
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Nach einer knappen Stunde erreicht der Fanmarsch das Stadion. Dabei müssen die rund 7000 Fans auch den Gästesektor passieren. Schon rund zweieinhalb Stunden vor Anpfiff kocht die Stimmung zwischen den beiden Fanlagern hoch. Einige italienische Fans werfen mit Pyros und Böllern in Richtung der Baslerinnen und Basler. Die Kantonspolizei Basel-Stadt muss «massiv Einsatzmittel einsetzen», wie sie mitteilt. Die Situation kann aber schnell in den Griff bekommen werden.
Im «Joggeli» wird es ein erstes Mal laut. Als die Spieler der Fiorentina den Rasen besichtigen, sind aus der Muttenzerkurve, die schon knapp anderthalb Stunden vor dem Spiel gefüllt ist, Buhrufe und ein gellendes Pfeifkonzert zu hören. Nur ein Spieler wird herzlich begrüsst: Arthur Cabral. Der Brasilianer winkt dankend in Richtung der Fans, die ihn während drei Jahren anfeuerten und 65 seiner Tore bejubeln durften.
🥹 Willkomme dehei, Arthur ❤️💙#FCBasel1893 #MirSinBasel #rotblaulive pic.twitter.com/jwl3gVVttI
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Durchsage im Stadion: «Nevio suecht sini Mammä.» Die Fiorentina-Fans scheinen nicht ganz zu verstehen, worum es geht, und beginnen zu pfeifen.
Die FCB-Spieler kommen zum Aufwärmen aus der Kabine und werden lautstark begrüsst. Die Muttenzerkurve stimmt «Wär nid gumpt, dä isch kai Basler» an und die bereits anwesenden Zuschauerinnen und Zuschauer springen und singen mit. Das Publikum ist heiss.
Die Gäste lassen sich von ihren mitgereisten Fans ebenfalls nochmal einheizen. Auch auf der Haupttribüne sind einige violette Trikots und Schals zu sehen. Beide Seiten – sowohl Spieler als auch Fans – wissen, worum es an diesem Abend geht.
Meno 30 minuti#rotblaulive 🔴🔵#ForzaBasilea 💪🏻#Basilea #FCBacff#Fiorentina#ConferenceLeague pic.twitter.com/nfm9AwlN4C
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Ein FCB-Fan läuft vorbei und fordert: «Schriibsch de kei Seich.» Ich gebe mein Bestes.
Die FCB-Fans haben eine Menge Arbeit in die Choreo gesteckt. Die Gegentribüne wird von einem überdimensionalen Basilisken geschmückt, das erstmals seit Langem vollständig ausverkaufte Stadion ist in Rot und Blau getaucht.
This tifo from the FC Basel supporters is unbelievable 🤩 pic.twitter.com/Uff1yiyXxh
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Auf einem Banner quer durchs Stadion steht geschrieben: «Beflüglet vom Draum». Begleitet wird das vom Gesang der Muttenzerkurve: «Alli, alli zämme, immer wiiter, immer lüter.» Alle der 36'000 Zuschauerinnen und Zuschauer stehen. Eine Kulisse, die diesem Spiel mehr als würdig ist. Absolute Gänsehautstimmung!
Gänsehut!#rotblaulive pic.twitter.com/pUuOPYpG7Y
— Simon Walter (@itsSimonW) May 18, 2023
Die Stimmung wird einzig von Böllern der Gästefans, die zudem mit Pyros in Richtung der Sicherheitskräfte und des Sektors hinter dem Tor werfen, getrübt. Schade.
Das Spiel beginnt.
Wieder knallt es im Fiorentina-Block. Gleichzeitig wird Zeki Amdouni im Mittelkreis gefoult. Beides gefällt dem Basler Publikum überhaupt nicht. Ein hitziger Start in diese Partie.
Fiorentina kontrolliert zu Beginn das Spielgeschehen wie schon im Hinspiel. Ernsthaft für Gefahr sorgen die Gäste bisher aber noch nicht. Jede Basler Balleroberung und jeder Befreiungsschlag werden beklatscht. Bei einem Konter sackt Wouter Burger nach einem Zweikampf im gegnerischen Strafraum zusammen und hält sich das Gesicht. Ein Foul war nicht zu erkennen.
Dan Ndoye bricht auf der rechten Seite durch, da ist viel Platz für den 22-Jährigen. Das Stadion erhebt sich schon in voller Erwartung, da auch Amdouni mitgelaufen ist. Doch Ndoye legt in den Rückraum, wo ein Verteidiger im Weg steht.
Wieder dribbelt sich Ndoye auf seiner Seite in Richtung Strafraum. Anstatt auf Diouf zu spielen, sucht er selbst den Abschluss, der aber am Tor vorbeigeht.
Es sind die Minuten des FC Basel. Oder besser: Es sind die Minuten des Dan Ndoye. Wieder dringt er durch, dieses Mal ist er nur durch ein Foul zu stoppen. Das gesamte Basler Publikum springt empört auf. Igor sieht die erste Gelbe Karte des Spiels.
Florenz-Trainer Italiano wähnt sich in seiner Coaching-Zone wohl im Strassenverkehr. Die lediglich gestrichelte Linie überquert er regelmässig. Der 45-Jährige befindet sich fast häufiger ausserhalb des begrenzten Bereichs als darin.
Zweimal klärt Basel einen Eckball ins Toraus. Beim dritten Versuch von Cristiano Biraghi klappt es dann leider aus Sicht der Italiener. Nicolas Gonzalez steigt am höchsten und köpft den Ball unbedrängt ins Tor. Die Gäste jubeln als Erstes. Und wieder fliegen aus dem Fiorentina-Block Pyros.
Nun wird Italiano vom vierten Offiziellen tatsächlich zurückgepfiffen. Es geht aber nur wenige Sekunden, bis der Trainer seine Coaching-Zone wieder verlassen hat.
Der FCB gerät in dieser Phase stark unter Druck. Wieder sorgt ein hoher Ball für Gefahr vor dem Tor von Marwin Hitz. Mit einer sensationellen Reaktion kann der Goalie das 0:2 aber verhindern.
«Stönd uff, wenner Basler sind», hallt es aus der Muttenzerkurve. Das gesamte Stadion erhebt sich, auch die paar Dutzend Florenz-Fans auf der Haupttribüne stehen auf, weil sie sonst nichts mehr sehen würden. Diese Italiener haben die Basler also schon mal im Sack.
Der spanische Schiedsrichter pfeift zur Pause. Basel liegt mit einem Tor in Rückstand, dank des Auswärtssiegs ist aber nach wie vor alles offen.
Wieder der Fan von vor dem Spiel. Ich solle doch einfach schreiben, dass Basel führt. «Merkt niemer», versichert er. Na ja, ich weiss ja nicht, ob das etwas bringen würde.
Die zweite Halbzeit beginnt überpünktlich. Nicht einmal 15 Minuten nach Ende des ersten Abschnitts rollt der Ball in Basel wieder.
Zu Beginn der zweiten Halbzeit passiert sehr wenig. Der bei Kontakt leicht fallende Dodo wird bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen, der Schiedsrichter unterbricht das Spiel häufig und Arthur Cabral erreicht den Ball im Basler Strafraum nach einem etwas ungenauen Zuspiel zum Glück nicht. Das war alles aus diesen ersten knapp zehn Minuten.
Und manchmal muss man sich nur beschweren. Was für ein Zuspiel von Andy Pelmard auf Zeki Amdouni, der sich im 1-gegen-1 durchsetzt und zum 1:1 einschiesst. Der Dezibel-Pegel steigt ins Unmessbare und die Muttenzerkurve brennt. Hier bleiben die Pyros – anders als bei den Italienern – aber dort, wo sie hingehören: im Block.
Das «Joggeli» verwandelt sich in einen Hexenkessel. Als Andy Diouf an der Mittellinie gefoult wird, schnellt das Publikum direkt von den Sitzen und schreit auf. Wenig später erkämpft sich Augustin einen Eckball, das ganze Stadion steht nun.
Wieder wird der FCB gefährlich. Andy Diouf findet die Lücke und spielt auf Zeki Amdouni, doch wird dieser von einem Verteidiger gestellt. Als Taulant Xhaka den Ball zurückerobert, wird der Captain vom Publikum frenetisch gefeiert.
Wieder drei Ecken am Stück für die Gäste, das hatten wir doch schon einmal. Plötzlich wird es still im Stadion. Wieder bringen die Basler den Ball nicht richtig aus der Gefahrenzone. Wieder kann Nicolas Gonzalez dies nutzen. Der Argentinier bringt Fiorentina wieder in Front. Der Schock beim Basler Publikum sitzt tief.
Fiorentina ist nun das bessere Team. Immer wieder kommen sie zu Chancen, die ganz grosse ist da, aber nicht dabei und so bleibt es erstmal beim 1:2 aus Basler Sicht. In den USA gibt es ein Sprichwort: «It sucked the air out of the room.» Also, die Luft wurde aus dem Raum gesaugt. So in etwa fühlt es sich seit dem zweiten Treffer der Fiorentina an. Einzig die Muttenzerkurve peitscht den FCB weiter unermüdlich nach vorne.
Captain Taulant Xhaka wird bei seiner Auswechslung mit einer Standing Ovation und Sprechchören verabschiedet, für ihn kommt Rekordspieler Fabian Frei aufs Feld.
Drei Minuten werden nachgespielt. Fiorentina bekommt seinen zwölften Eckball. Die Angst bei den FCB-Fans ist mittlerweile bei jedem Corner des Gegners zu spüren. Dieses Mal passiert jedoch nichts, das Publikum hat sich vom Schock des 1:2 erholt und erhebt sich noch einmal. Dennoch geht das Spiel in die Verlängerung.
Weiter geht's mit der zusätzlichen halben Stunde. Die erste echte Chance gehört Basels Zeki Amdouni. Die Hoffnung im ausverkauften St.Jakob-Park ist zurückgekehrt.
Doch dann ein weiterer hoher Ball der Italiener in Basels Strafraum, wieder kann nur ein grandios reagierender Hitz ein Gegentor verhindern. Das wird ein hartes Stück Arbeit für den FCB!
Szenenapplaus vom Basler Publikum. Geehrt wird der Schiedsrichter. Er zeigt Fiorentina-Coach Italiano die Gelbe Karte. Doch auch dieses Mal hält es den häufig wild gestikulierenden Italiener nicht lange in seiner Coaching-Zone.
Italiano hat scheinbar aus seinem Fehler gelernt. Nun steht sein Assistent am Spielfeldrand. Ausserhalb der Coaching-Zone, aber das versteht sich ja von selbst.
Ahh, da ist Italiano ja wieder – FCB-Trainer Heiko Vogel hat dafür nur ein müdes Kopfschütteln übrig. Auf dem Feld rettet Marwin Hitz sein Team einmal mehr.
Nochmal fünfzehn Minuten in dieser Verlängerung. Darian Males kommt für Wouter Burger, die Muttenzerkurve beschwört den Geist des «Joggeli».
Das Spiel wird unterbrochen. Der Grund dafür ist ein medizinischer Notfall im Gästesektor. Das Publikum hält den Atem an. Einige Minuten später kommt das erlösende Signal in Form von Applaus aus dem Gästesektor und der Durchsage, dass die betroffene Person nun auf dem Weg ins Spital sei.
Nach dem rund zehnminütigen Unterbruch ist wieder FCB-Keeper Hitz gefragt. Die einzige Chance Basels scheint nun das Penaltyschiessen zu sein.
Dann wird der FCB aber tatsächlich noch einmal richtig gefährlich. Die Gäste können aber alles abblocken. Dennoch ist jetzt auch der allerletzte der 36'000 Zuschauerinnen und Zuschauer wieder wach und feuert das Team mit allem an, was er oder sie noch übrig hat.
Und dann passiert es doch noch. Antonin Barak lässt den St.Jakob-Park in der 130. Minute verstummen. Der Gästeblock tobt, die Basler Spieler liegen regungslos am Boden. Kurz darauf pfeift der Schiedsrichter ab.
Es ist ein unfassbar bitteres Ende für die aufopferungsvoll kämpfenden Basler und das hervorragende Publikum. Dieses feiert seine Halbfinal-Helden dennoch. «Erfolg isch nid alles im Läbe.»