Und wieder hat es nicht gereicht. Einmal mehr ist Borussia Dortmund auf der Zielgeraden eingeknickt. Hat den Titel in der Bundesliga verspielt und muss zuschauen, wie der Erzrivale aus München mit der Meisterschale feiert. Es ist der grösste Schock in einer elfjährigen Leidenszeit, die weiter andauert. Ein Rückblick.
Die Ergebnistafel im Berliner Olympiastadion zeigt 5:2. Borussia Dortmund gewinnt nach der Meisterschaft auch den Pokalfinal – und das mit einer Gala gegen den FC Bayern. Der BVB ist mit dem Gewinn des Doubles im siebten Himmel angekommen und kann seine vorübergehende Vormachtstellung im deutschen Fussball untermalen. An diesem Abend im Mai 2012 hätte wohl nicht einmal der grösste Pessimist geahnt, wie hart der Klub in den kommenden Jahren am Boden aufschlagen wird.
Doch erst einmal beginnt der Stern der Borussia noch heller zu leuchten. Zwar wird Dortmund 2012/13 in der Bundesliga abgehängt, Bayern feiert schon am 28. Spieltag die Meisterschaft, so früh wie nie zuvor. Doch in der Champions League erlebt das Team von Jürgen Klopp einige magische Abende. Siege gegen Manchester City und Real Madrid im heimischen Stadion schon in der Gruppenphase, dann die Wahnsinns-Aufholjagd im Viertelfinal gegen Malaga – und natürlich der 4:1-Erfolg dank vier Lewandowski-Toren im Halbfinal gegen Real Madrid. Erstmals seit 1997 steht der BVB 16 Jahre später erneut im Final der Champions League. Der Höhenflug scheint gar nicht abzuflachen.
Das Endspiel findet im legendären Wembley statt, der Gegner heisst Bayern München – ausgerechnet. Die Störgeräusche aus München beginnen schon Wochen vor dem Duell, BVB-Jungstar Mario Götze soll zum Rekordmeister wechseln. Die Giftpfeile fliegen hin und her, Dortmund ist aufgrund der Ausstiegsklausel in Höhe von 37 Millionen Euro jedoch machtlos. Bereits vor dem Londoner Final ist klar, dass Götze im Sommer nach München geht. Am 25. Mai 2013 belagern deutsche Fans aus beiden Lagern die englische Hauptstadt.
Die beiden Kontrahenten begegnen sich in einem ausgeglichenen Spiel auf Augenhöhe. Am Ende entscheidet Arjen Robben die Partie mit einem Tor in der 89. Minute. «Gegen die Enttäuschung ist im Moment schwer anzukommen», sagt Mats Hummels. Dennoch sind die Dortmunder stolz auf ihre Leistung. Trainer Klopp sagt fast prophetisch: «Wir werden wieder angreifen, wann das gelingen wird, weiss ich nicht.»
Der Zenit der Ära Klopp beim BVB ist mit der Niederlage im Champions-League-Final endgültig überschritten. In der Saison 2013/14 wird Dortmund erneut nur Zweiter. Im Pokal erreicht Dortmund zwar den Final, muss sich nach Verlängerung aber auf – vor allem wegen eines nicht gegebenen Tors von Mats Hummels – bittere Art und Weise 0:2 geschlagen geben. Im Sommer wechselt mit Robert Lewandowski der nächste Leistungsträger nach München. Auch bei anderen Spielern kommen immer wieder Gerüchte über ein Interesse von Bayern auf.
Nach dem Abgang des Torschützenkönigs stürzt Dortmund regelrecht ab: Tabellenletzter nach 19 Spieltagen lautet die traurige Bilanz. Ciro Immobile, Kevin Kampl sowie die Rückkehrer Shinji Kagawa und Nuri Sahin stellen sich als Fehltransfers heraus. Der beliebte Trainer Jürgen Klopp glaubt nicht mehr daran, das Ruder noch herumreissen zu können. «Das ist der richtige Moment für eine Veränderung bei Borussia Dortmund. Dafür muss ein grosser Kopf weg – und das ist meiner», sagt der damals 47-Jährige im April 2015 auf dem 10. Platz stehend. Dortmund schafft als 7. immerhin noch die Qualifikation für die Europa League, in Klopps letztem Spiel unterliegt der BVB im Pokalfinal aber Wolfsburg. Es ist ein bitteres Ende der so erfolgreichen Ära.
Auf Klopp folgt Thomas Tuchel, der wie sein Vorgänger aus Mainz nach Dortmund kommt. Unter dem Taktikfuchs verschiebt sich die Spielweise des BVB zu einem stärker Ballbesitz-orientierten Ansatz, am Ende reicht es aber dennoch nur zu einem zweiten Platz in der Bundesliga, im Pokalfinal verliert der Klub aus Nordrhein-Westfalen im Penaltyschiessen gegen Bayern, das erneut das Double schafft.
In Tuchels zweiter Saison gewinnt Dortmund dann aber nach fünf Jahren endlich wieder einen Titel: den DFB-Pokal 2016/17. Das, obwohl vor der Saison mit Ilkay Gündogan (Manchester City), Mats Hummels (Bayern) und Henrikh Mkhitaryan (Manchester United) gleich drei Leistungsträger den Verein verlassen haben. Dies liegt neben den starken Neuzugängen Ousmane Dembélé und Raphaël Guerreiro vor allem an Pierre-Emerick Aubameyang, der im Final den entscheidenden Treffer zum 2:1 erzielt.
«Wir haben den Titel wieder nach Dortmund geholt. Unglaublich, was die Mannschaft für einen Charakter hat», sagt Marco Reus. Doch zu dem Zeitpunkt herrscht aufgrund eines Krachs zwischen Tuchel und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke bereits wieder Unruhe im Klub. Nach dem Finalerfolg sagt der Trainer zwar: «Ich habe noch drei Jahre Vertrag hier und die möchte ich erfüllen, wenn das geht.» Am Ende muss er trotzdem gehen – der dritte Platz in der Bundesliga mit 18 Punkten Rückstand auf die Bayern ist da kein ausreichendes Gegenargument.
Der erneute Trainerwechsel ist der Startpunkt einer erneut schwierigen Zeit des BVB. Peter Bosz ist ein Irrtum und nach fünf Monaten bereits wieder entlassen. Nachfolger Peter Stöger hält es auch nur rund ein halbes Jahr im Amt. Die Saison 2017/18 endet in der Bundesliga auf Platz 4, im Pokal ist im Achtelfinal gegen die Bayern Endstation und in der Champions League ist in einer Gruppe mit Real Madrid, Tottenham und APOEL Nikosia bereits nach der Vorrunde Schluss.
Es folgt Lucien Favre, der Dortmund wieder zum Erfolg zu führen scheint. Nach 27 Spieltagen ist der BVB tatsächlich wieder einmal an der Tabellenspitze der Bundesliga. Voller Hoffnung reist das Team des Schweizer Trainers zum Spitzenkampf nach München – doch zur Halbzeit führt der Gastgeber bereits 4:0. Nach der 0:5-Pleite brodelt es in Dortmund, Captain Marco Reus wurde als Stürmer aufgestellt, was diesem gar nicht gefiel: «Jeder weiss, dass ich auf dieser Position nicht spielen will», sagt der gelernte Zehner nach der Partie.
Dortmunds Hoffnung versinkt im Tränental. Die Moral ist gebrochen. Obwohl die Bayern noch zweimal Punkte liegen lassen und so angreifbar scheinen wie seit der letzten BVB-Meisterschaft nicht mehr, kann der Rivale die Münchner Schwäche nicht ausnutzen und wird mit zwei Punkten Rückstand nur Zweiter. «Natürlich sind wir enttäuscht», sagt Favre nach dem letzten Spieltag und versucht dennoch das Positive zu sehen: «Nicht viele Leute haben vor der Saison mit 76 Punkten für uns gerechnet.»
Es soll ein Schritt auf dem Weg zurück nach oben sein. Doch auch in der Corona-Saison 2019/20 wird Dortmund nur Zweiter. Daran können auch die Millioneneinkäufe Mats Hummels, Thorgan Hazard, Julian Brandt oder Winterzugang Erling Haaland nichts ändern. Im Pokal scheitert der BVB wie im Vorjahr schon im Achtelfinal an Werder Bremen und in der Champions League reicht es ebenfalls nur in den Achtelfinal, wo man PSG unterliegt.
Nach zweieinhalb Jahren und einem enttäuschenden Start in die Saison 2020/21 wird Favre entlassen und durch Co-Trainer Edin Terzic ersetzt. Der zu dem Zeitpunkt 38-Jährige liess das Team nach einer kurzen Eingewöhnungszeit wieder erfolgreichen Fussball spielen. Besonders die sieben Spiele lange Siegesserie zum Ende der Bundesliga-Saison und der neuerliche Erfolg im DFB-Pokal liessen hoffen. Doch Terzic wurde Ende Saison durch Marco Rose ersetzt. Der Trainer von Mönchengladbach wurde bereits im Februar 2021 als künftiger Trainer verpflichtet, eine Entscheidung, welche die Verantwortlichen wenige Monate später wohl nicht mehr getroffen hätten.
Mit Jadon Sancho verliess im Sommer 2021 einmal mehr ein Leistungsträger den BVB, der schwer zu ersetzen war. Donyell Malen galt lange als Flop. Immerhin konnte mit dem Schweizer Gregor Kobel die Baustelle im Tor behoben werden. Dennoch war die Dortmunder Defensive unter Rose alles andere als sattelfest. Am Ende der Saison resultierte ein weiterer zweiter Platz, im Pokal blamierte man sich im Achtelfinal beim Zweitligisten St. Pauli und in der Champions League schied man in der Gruppe aus, bevor die Glasgow Rangers Dortmund in der Zwischenrunde der Europa League mit einem 6:4-Gesamtskore abfertigten.
Rose und die Verantwortlichen einigten sich nach der Saison darauf, die Zusammenarbeit zu beenden. Edin Terzic kehrte zurück an die Seitenlinie. «Wir werden jeden Tag alles für den Erfolg der Mannschaft und des gesamten Vereins geben», sagte der Deutsch-Kroate bei seinem Amtsantritt. Es stellte sich als goldrichtiger Entscheid heraus. Ebenso wie die Verpflichtung von Klublegende Sebastian Kehl als Sportchef.
Gemeinsam bauten sie mit sinnvollen Verpflichtungen wie Karim Adeyemi, Nico Schlotterbeck oder Niklas Süle einen starken Kader auf. Zwar gestaltete sich die Hinrunde noch schwierig, doch mit der Genesung von Sébastien Haller – dem Königstransfer des letzten Sommers – kam auch der Erfolg. Der 28-Jährige konnte selbst die durch Haalands Abgang entstandene Lücke füllen.
Besonders Adeyemi und Malen profitierten vom ivorischen Mittelstürmer und wurden gemeinsam mit diesem zu den Stars der Rückrunde. Dank 14 Siegen und nur einer Niederlage aus 18 Ligaspielen steht Borussia Dortmund vor dem letzten Spieltag der Saison 2022/23 an der Tabellenspitze und hat die Chance, endlich wieder einmal die Meisterschaft zu feiern.
Doch selbst diese Chance ist nicht gross genug für Borussia Dortmund. Wegen des 2:2-Unentschiedens gegen Mainz und des gleichzeitigen, späten 2:1-Siegs der Bayern in Köln endet die Saison des BVB erneut auf dem 2. Platz. Weder Spieler noch Fans können es fassen. Bei allen drängt sich die gleiche Frage auf: «Was muss denn noch passieren, damit Dortmund endlich einmal wieder Meister wird?» Die grösste Chance auf einen Triumph in der Bundesliga seit dem Double 2011/12 ist vergeben. Dortmunds Leidenszeit hat einen neuen Tiefpunkt – und das Warten geht auch nach elf Jahren weiter.