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Wieso Gonzalo Higuain statt bei Real Madrid beim FC Locarno unterschrieb

Juventus' Gonzalo Higuain celebrates after a goal during the Serie A soccer match between Juventus and Lecce, at the Allianz Stadium in Turin, Italy, Friday, June 26, 2020. (Fabio Ferrari/LaPress ...
Um es mit Andreas Möller zu sagen: Locarno oder Turin, Hauptsache Italien.Bild: keystone

Higuain beim FC Locarno – die Geschichte eines abenteuerlichen Transfers

Stürmer Gonzalo Higuain hat seinen Rücktritt für Ende 2022 angekündigt. Der 34-jährige Argentinier war bei sehr renommierten Klubs wie Real Madrid, Juventus, Milan, Napoli oder Chelsea unter Vertrag – aber auch bei Locarno, als er bereits ein Star war. Die Geschichte eines abenteuerlichen Transfers.
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08.10.2022, 12:2508.10.2022, 12:39
Yoann Graber
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Auf dem Papier ist es vielleicht der unwahrscheinlichste Transfer in der Geschichte des Fussballs. Der junge argentinische Fussballstar Gonzalo Higuain wird im Sommer 2006 von Real Madrid umworben und unterschreibt beim … FC Locarno in der Schweizer Challenge League.

Nur, dass der aufstrebende Star niemals einen Fuss in die Tessiner Stadt setzen wird. Nicht einmal, um dessen prestigeträchtiges Filmfestival zu besuchen. Denn die Unterschrift des Argentiniers ist nur ein Trick. Es geht – natürlich – um Geld.

Gonzalo Higuain
Geboren am 10. Dezember 1987. – Europa-League-Sieger mit Chelsea. 3x spanischer Meister mit Real Madrid. 3x italienischer Meister mit Juventus Turin, Cupsieger mit Napoli und Juventus (2x). – Vize-Weltmeister 2014 mit Argentinien. 75 Länderspiele, 31 Tore. – Serie-A-Torschützenkönig 2016. – Seit 2020 in der MLS bei Inter Miami.

Ein besonderes Geschäftsmodell

Der 18-jährige Gonzalo Higuain glänzt in der Saison 2005/06 im Trikot von River Plate. Logischerweise weckt er die Begehrlichkeiten der grossen europäischen Vereine, zu den Interessenten gehört auch Real Madrid. Ein Wechsel in die spanische Hauptstadt wäre für alle Beteiligten von Vorteil: Für Real, weil es sich ein grosses Talent angeln würde, für den Spieler, weil er zu einem der besten und glorreichsten Vereine der Welt wechseln würde, und schliesslich für River Plate, das Geld braucht.

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Jungspund: Higuain 2006 im Dress von River Plate.Bild: imago sportfotodienst

Das Problem ist, dass der Verein aus Buenos Aires, der sich in grossen finanziellen Schwierigkeiten befindet, sofort Geld braucht. Also reist der Präsident, José Maria Aguilar, im August 2006 nach London. Er beschliesst, Anteile an Spielerverträgen von River Plate zu verkaufen, die Fussballer aber im Verein zu behalten. Und wer sitzt am anderen Ende des Verhandlungstisches? Der FC Locarno.

Für 6 Millionen Dollar erwirbt der Schweizer Verein 50 Prozent des Vertrags von Higuain. Bei einem zukünftigen Wechsel zu einem anderen Team erhalten die Tessiner die ersten 6 Millionen der Transaktion (also die volle Rückzahlung ihrer Investition) plus die Hälfte des restlichen Betrags.

13 Millionen Dollar für einen Spieler, der nie beim Klub war

Für einen Schweizer Zweitligisten sind solche Einnahmen unerhört viel Geld. Und dann: Bingo! Vier Monate später, im Dezember 2006, wechselte Higuain zu Real Madrid, ohne ein einziges Spiel für den FC Locarno bestritten zu haben – er hatte River Plate nie verlassen. Insgesamt kassierte der Tessiner Verein trotzdem 13 Millionen Dollar.

Bildnummer: 02544941 Datum: 21.12.2006 Copyright: imago/Miguelez Sports Foto
Neuzugang Gonzalo Higuain (Real Madrid) zeigt im Trikot des neuen Arbeitgebers ein paar Kabinettst
Kurz vor Heiligabend schenkt Real Madrid seinen Fans einen neuen Star: Gonzalo Higuain.bild: imago-images.de

Zum Leidwesen des Tessiner Vereins und seiner wenigen Fans (im Schnitt 800 Zuschauer zu jener Zeit) landeten die Geldbündel jedoch nie in den Kassen des Vereins, sondern in den Taschen seiner zweifelhaften Besitzer, für die der FC Locarno nichts anderes als eine Briefkastenfirma war.

Die beiden Argentinier Fernando Hidalgo und Gustavo Arribas sowie der Israeli Pinhas «Pini» Zahavi, drei Spieleragenten, die die HAZ Sport Agency leiten, kauften den Verein auf, um ihn zu einer Drehscheibe für Phantomtransfers südamerikanischer Fussballer zu machen. Die Transaktionen hingegen waren sehr real und ermöglichten es den drei Männern, sich am Lago Maggiore mit Millionen zu bereichern.

Blick ins Stadion Lido in Locarno, aufgenommen am Montag, 27. August 2007. Der Tessiner Challenge-League Klub soll in undurchsichtige Transfergeschaefte mit dem argentinischen Rekordmeister River Plat ...
Das Stadion Lido in Locarno: Schauplatz eines Fussball-Krimis.Bild: KEYSTONE

Lewandowski, Neymar und der Geheimdienst

Der 79-jährige Zahavi ist hinter den Kulissen des Weltfussballs ein wohlbekannter Name. Zwar ging der FC Locarno im Januar 2018 bankrott, lange, nachdem der Israeli das Tessin verlassen hatte, doch Zahavi füllte weiterhin sein bereits sehr umfangreiches Bankkonto. Er ist unter anderem der Agent von Robert Lewandowski, der in diesem Sommer von Bayern München zum FC Barcelona wechselte, und er soll auch 10,7 Millionen Euro beim Rekord-Transfer von Neymar von Barça zu PSG kassiert haben.

Zahavis ehemaliger Geschäftspartner Gustavo Arribas war von 2015 bis 2019 Chef des argentinischen Geheimdienstes. Er wurde von seinem Freund Mauricio Macri, dem Ex-Präsidenten des Landes und einstigen Boss der Boca Juniors, ernannt. Da sieht man mal wieder, wohin der Fussball und sein Networking führen können.

Es bleibt nun abzuwarten, wohin der Weg von Gonzalo Higuain ihn nach seiner Profikarriere führen wird. Diesmal wird es wohl nicht der FC Locarno sein, der mittlerweile nur noch in der 2. Liga spielt. Aber zumindest befreit von Praktiken, die einst seine Geschichte und seinen Ruf beschmutzt haben – und die 2020 von der FIFA verboten wurden.

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