Bahnhof Mirfield in West Yorkshire, es ist zwischen acht und neun Uhr abends. Ein junger Mann steht bei den Gleisen und sieht keinen anderen Ausweg mehr, als sich vor einen Zug zu werfen. Er fühlt sich am Ende: Zu viele Drogen, zu viel Alkohol, pleite und eine hoffnungsvolle Fussballkarriere in den Sand gesetzt. «Dann kam eine Lautsprecher-Durchsage, dass der Zug sich verspäte», erinnert sich George Green bei der BBC an jenen schicksalhaften Abend. «Ich sah das als Zeichen, dass es für mich noch nicht Zeit war, zu gehen. Ich brach in Tränen aus und lief weg.» Es sollte nicht der letzte Selbstmordversuch bleiben.
Dabei sieht die Zukunft noch wenige Jahre vorher rosig aus. George Green ist 15 Jahre alt, ein Offensivspieler im Nachwuchs von Bradford City. Ein so grosses Talent, dass ihn auch viele andere Klubs wollen. Im Herbst 2011 blättert der FC Everton 300'000 Pfund auf den Tisch und schnappt sich Green. Je nach Erfolgen kann die Ablöse noch bis auf 2 Millionen Pfund steigen.
Green spielt in der Junioren-Nationalmannschaft an der Seite der heutigen Stars Dele Alli und Ross Barkley. «Ich hatte das Gefühl, dass ich für ganz grosses bestimmt war», sagt er heute. «Sie haben es geschafft und ich leider nicht. Und obwohl ich keinen Groll habe, stört es mich, weil ich eigentlich auch da sein sollte und es nicht bin.»
Für Bradford City gibt es nach dem Transfer keine Zusatzeinnahmen. Denn George Green, den sie bei Everton schon als nächstes Wunderkind à la Wayne Rooney sehen, endet auf dem Abstellgleis. Heute, mit 22 Jahren, ist er bei Chester in der National League North unter Vertrag. Das ist die sechsthöchste Liga Englands, weit entfernt von der glamourösen Premier League.
Es ist keine Verletzung, die Greens Aufstieg bremst. Nicht ein Trainer, der auf andere Spieler setzt. Es ist das Geld, das dem jungen Fussballer den Kopf verdreht – und es sind die Drogen, die er sich damit kauft. «Vor meinem 18. Geburtstag ging ich nie gross aus. Aber sobald ich volljährig war, änderte sich das schlagartig», blickt Green heute zurück. «Ich trank und nahm Drogen. Das erste Mal war in einem Pub, als ich mit Kumpels dort Fussball schaute. Jemand bot mir Kokain an, ich nahm es und es veränderte mein Leben.»
Fortan lässt es Green immer öfter schneien. Schnell gerät sein Leben aus den Fugen, er schnupft täglich ein Gramm des weissen Pulvers. «Ich gab weit über 2000 Pfund im Monat für Kokain aus», erzählt Green der BBC. «Wenn ich ausging, liess ich locker mal 1500 Pfund liegen. Ich bestellte Champagner flaschenweise und wenn sich ein nettes Mädchen neben mich setzte, liess ich auch ihr eine Flasche Champagner kommen.»
Er prahlt vor den Gleichaltrigen und zeigt, was er hat. «Plötzlich hast du Geld, hast ein Auto, wirst erwachsen, kannst ausgehen und machen, was du willst. Wenn du in so jungem Alter in diese Welt voller Alphatiere geworfen wirfst, kann dich das fertig machen. Mancher kann damit umgehen, ich konnte es definitiv nicht», sagt Green rückblickend zu «The Leader».
Green schätzt, dass er in seiner kurzen Karriere – zwischenzeitlich spielte er im schottischen Kilmarnock und für Viking in Norwegen – rund 600'000 Franken verdient hat. Doch auf der hohen Kante hat er heute rein gar nichts. «Alles, was ich vorzeigen kann, ist ein iPad. So weit ist es gekommen wegen meiner Drogensucht. Ich habe alles verprasst und ich schäme mich dafür.»
Die Karriere des englischen U16-, U17- und U18-Nationalspielers gerät ins Stocken. Everton leiht ihn aus und gibt ihn schliesslich nach vier Jahren ganz ab. Ohne einen Einsatz in der Premier League wechselt Green zum drittklassigen Oldham. Er bleibt nur kurz dort, der Vertrag wird nach wenigen Monaten aufgelöst. «Ich hatte wegen der Drogen und dem Alkohol meine Liebe zum Spiel verloren und entschieden, dass ich nicht mehr spielen will.» Die psychischen Probleme des Fussballers werden zu jener Zeit immer grösser. Bald wird der Gescheiterte sich zum Bahnhof in Mirfield begeben.
2017 spielt George Green für Salford City, den Klub, welcher früheren Stars von Manchester United gehört. In dieser Zeit will er sich erneut das Leben nehmen. «Ich ging nach Hause und griff wahllos nach allen möglichen Medikamenten, die ich finden konnte. Ich wollte wirklich sterben.» Green kommt in ein Spital und Salfords Mitbesitzer Gary Neville bietet ihm seine Hilfe an. Auch Everton hatte seinen Spieler damals unterstützt, ihm wochenlange Aufenthalte in spezialisierten Kliniken bezahlt.
Mit der grossen Karriere ist zwar nichts geworden. Aber seit April 2018 sei er clean, sagt Green. Er hat eine zweijährige Tochter und erwartet mit seiner Verlobten schon bald ein zweites Kind. Die Mercedes A-Klasse hat er gegen einen kleinen Kia eingetauscht, das Geld ist eher knapp. Doch George Green lebt noch – und er hat die Liebe zum Fussball wieder entdeckt. Seit dem Sommer ist er beim sechstklassigen Chester, wo er wegen Rückenproblemen bisher noch nicht zum Einsatz kam. «Fussball ist das einzige, worin ich gut bin. Ohne ihn wäre ich tot.»
Er habe sich gut überlegt, ob er seine Probleme öffentlich machen wolle, sagt Green. «Ich dachte mir, dass die Karriere danach vielleicht vorbei ist. Aber dann sagte ich mir, dass ich besser ein einziges Mal im Leben ehrlich sein und zu meinem Problemen stehen sollte. Wenn meine Geschichte auch nur einem Menschen hilft, dann bin ich froh, dass ich sie erzählt habe.»
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— TitanOneSports (@TitanOneSports) 10. August 2018
Abseits des Rasens geht es in seinem Leben also aufwärts und in diese Richtung soll es auch auf dem Platz gehen. «Ich bin zuversichtlich, aber nicht arrogant», so Green zum Magazin «Four Four Two». «Ich habe früher behauptet, ich sei besser als Dele Alli, aber das meinte ich nicht so. Ich meinte, dass wir auf dem selben Level sind und dass Form etwas temporäres ist, aber fussballerische Klasse nicht einfach verschwindet.» Wenn er wieder richtig fit sei und Spielpraxis habe, dann könne er wieder aufblühen, vielleicht in der dritten oder sogar zweiten Liga spielen. «Daran glaube ich fest.»