Wird Katar als schwächster Gastgeber einer WM abschneiden? Gut möglich, doch gerade in der Schweiz sollte man sich vor vorschnellem Lästern hüten. Schliesslich verlor die Nati vor genau vier Jahren ein Testspiel gegen Katar nach einem lustlosen Auftritt in Lugano mit 0:1.
In der Gruppe A hat Katar durchaus die Möglichkeit, in die Achtelfinals vorzustossen. Denn die Auslosung hätte dem Turnier-Gastgeber härtere Gegner bescheren können als Ecuador und Senegal. Den zweiten Platz hinter Favorit Niederlande zu erreichen, ist im Bereich des Möglichen.
Rund 300'000 Bürgerinnen und Bürger hat Katar. Das ist ein kleines Reservoir, um ein schlagkräftiges Nationalteam auf die Beine zu stellen. Andererseits ist die Bevölkerungszahl mit jener von Island vergleichbar, das an der EM 2016 für Furore sorgte, England rauswarf und in die Viertelfinals vorstiess.
Katar arbeitete schon vor der WM-Vergabe im Jahr 2010 daran, 2022 eine starke Truppe beisammen zu haben. In der Aspire Academy, dem grössten Trainingszentrum der Welt, wurden und werden Talente gefördert.
Diese Arbeit trug schon Früchte. 2014 gewann Katar die U19-Asienmeisterschaft, Spieler dieser Auswahl triumphierten fünf Jahre später bei den Erwachsenen. Der Gewinn der Asienmeisterschaft 2019 ist der grösste Erfolg der katarischen Fussballgeschichte.
Akram Afif und Almoez Ali waren bei beiden Erfolgen dabei. Die zwei Offensivkräfte sind Schlüsselspieler in der Mannschaft von Felix Sanchez. Der Spanier steht seit 2006 und nach einem Jahrzehnt als Nachwuchstrainer beim FC Barcelona auf der Lohnliste der Scheichs. Er stieg als Trainer in der Aspire Acadamy ein, begleitete die Talente danach zuerst als U19- und U23-Nationaltrainer und ist seit 2017 für die A-Nationalmannschaft verantwortlich.
«Wir versuchen, uns abzuschotten und uns auf unsere bestmögliche Leistung zu konzentrieren», sagte Trainer Sanchez zuletzt der «Marca», angesprochen auf den Druck, der auf einem Heimteam lastet. Dem 46-Jährigen ist bewusst, dass sich dieser nicht vollständig ausblenden lässt: «Es ist schwierig. Wenn man auf den Platz geht, sind da 60'000 Leute. Es ist das erste WM-Spiel in der Geschichte des Landes und die Erwartungshaltung ist so gross, dass es eine schwierige Aufgabe werden wird.»
Die beiden Stars Ali (85 Länderspiele, 42 Tore) und Afif (89/26) haben ihre Wurzeln im Ausland. Ali kam im Sudan auf die Welt, noch als er ein Kind war, zogen die Eltern nach Katar. Dort wurde Kollege Afif als Sohn eines Tansaniers und einer Jemenitin geboren.
Der WM-Gastgeber ist damit keine Ausnahme. Im Weltfussball – gerade auch in der Schweiz – ist es längst an der Tagesordnung, dass die Familien von Nationalspielern nicht schon seit Generationen im Land leben. Das Vorurteil, Katar bürgere wahllos Spieler anderer Nationen ein, ist allerdings falsch. Es gibt zwar einige Akteure, die im Ausland auf die Welt kamen, auch Ró-Ró, der als Pedro Miguel Carvalho Deus Correio in Portugal aufwuchs, 2011 als 21-Jähriger nach Katar wechselte und dort sesshaft wurde. Aber die meisten seiner Mitspieler wurden in Katar geboren.
Auffällig ist, dass sämtliche 30 Spieler aus dem vorläufigen Aufgebot in der einheimischen Liga aktiv sind. Im Ausland hat sich bislang kein Fussballer aus Katar nachhaltig durchsetzen können. Afif gehörte Villarreal, wurde aber meist ausgeliehen, Ali versuchte sich in Österreich. Und: Beide waren wie weitere Katarer im belgischen Eupen engagiert. Den dortigen Klub hatte Katar 2012 übernommen mit dem Ziel, katarische Spieler via Eupen an den Spitzenfussball heranzuführen. Der Erfolg blieb überschaubar.
Aufgrund der eingeschränkten Auswahl an Spielern – es gibt nur etwa 6000 Lizenzierte, das sind weniger als im Kanton Thurgau – setzt Katar auf Routine und darauf, ein eingespieltes Team zu sein. 13 Spieler haben mehr als 50 Länderspiele, fünf haben über 100 auf dem Buckel und Captain Hassan Al-Haydos bringt es auf sagenhafte 169 Länderspiele (36 Tore), obwohl er während der WM erst seinen 32. Geburtstag feiert.
Obwohl sich die meisten Spieler schon lange kennen, wurde in der unmittelbaren Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft noch einmal intensiv miteinander gearbeitet. Trainer Sanchez zog seine Spieler vor rund drei Monaten zusammen, in Spanien und in Österreich sollten sie zur WM-Form gelangen. Diese Vorbereitung ist ein starker Kontrast zu den Topnationen, deren Spieler noch an diesem Wochenende in den Meisterschaften im Einsatz stehen und praktisch aus dem Stand an der WM spielen müssen.
Nebst vielen Trainings stand auch eine Reihe von Testspielen auf dem Programm. Die Formkurve zeigt nach oben, die letzten fünf Partien wurden alle gewonnen. Auch wenn die Gegner kein WM-Format hatten, gilt: Sieg ist Sieg, und jeder Sieg ist gut für die Moral.
«Wir kennen unsere Rolle und wissen, dass wir nicht die Favoriten sind», betonte Trainer Sanchez im «Marca»-Interview. Sein Team müsse sich trotzdem im Rahmen der Möglichkeiten hohe Ziele setzen und versuchen, das Maximum zu erreichen. Dann sei vieles möglich, wie die Vergangenheit belege: «2019 war es auch sehr schwer zu glauben, dass Katar Asienmeister wird, aber wir haben es geschafft.»
Der Spanier will seine Mannschaft defensiv einstellen. Nur so scheint das physisch unterlegene Katar eine Chance zu haben. «Wir versuchen, als Einheit zu spielen und bei Kontern gefährlich zu sein. Gegen Gegner von diesem Kaliber ist es sehr schwierig, die Initiative zu ergreifen, wir werden uns anpassen müssen. Es wäre Selbstmord, wenn wir versuchen würden, das Spieldiktat an uns zu reissen.» Das Ziel ist es, in der Abwehr kompakt zu stehen, so wenige Chancen wie möglich zuzulassen und bei Balleroberung schnell umzuschalten.
Der Aufbau des Teams ist nun abgeschlossen, am Sonntag in einer Woche gilt es gegen Ecuador zum ersten Mal an der WM ernst. Dann wird die Fussballwelt erstmals sehen, was in Katar über Jahre geschaffen wurde.
der innere Fussballfan so: "Wie weit kommt die Nati diesmal?"