Nach dem Spiel feierte ihn sogar der Gegner: Spaniens Spieler standen Schlange, um Toni Kroos nach dessen letztem Profi-Einsatz zu verabschieden. Die spanischen Fans applaudierten ihm, während der 34-jährige Mittelfeldspieler nach der 1:2-Niederlage und dem damit verbundenen EM-Aus noch eine letzte Runde auf dem Platz drehte. Und sogar die spanische Zeitung Diario AS schrieb nach dem Sieg im Viertelfinal: «Danke schön, Toni!»
🚨 Beautiful scenes. The Spanish fans are paying tribute to Toni Kroos! #ESPGER 🇩🇪 pic.twitter.com/iEG4jPYQ4a
— Florian Plettenberg (@Plettigoal) July 5, 2024
Die Ehrerweisungen von spanischer Seite liegen natürlich vor allem an Kroos' zehn Jahren als Taktgeber im Mittelfeld von Real Madrid. Doch es zeigt auch, wie hoch die Wertschätzung in der Fussball-Welt für den deutschen Nationalspieler, der schon im Mai sein baldiges Karriereende verkündete, ist.
Kroos selbst zeigte sich nach dem Abpfiff emotional, kämpfte gar mit den Tränen und ging später mit feuchten Augen in die Katakomben – ungewöhnlich für den ansonsten eigentlich stets gefassten Ruhepol. Im Interview mit der ARD sagte er: «Wir hatten ein grosses Ziel, das wir erreichen wollten. Dieser Traum ist jetzt einfach geplatzt. Das ist extrem bitter, vor allem, wenn man so nah dran ist.»
🙌 RESPECT:
— MARCA in English 🇺🇸 (@MARCAinENGLISH) July 5, 2024
The Spanish players lined up to greet Toni Kroos one by one, as he played his final professional match today ❤️#EURo2024 pic.twitter.com/A3sDdP5mPX
Für den Weltmeister, sechsfachen Champions-League-Sieger, vierfachen spanischen und dreifachen deutschen Meister – alle Erfolge aufzuzählen, würde zu lange dauern – muss es ein ungewohnter Moment gewesen sein, den Platz in einem so wichtigen Spiel als Verlierer zu verlassen. Seine Bilanz in Finalspielen ist beeindruckend: Neun von elf Endspielen gewann er. Vor allem mit Real Madrid wurde er zu einem absoluten Gewinnertypen, fünf Titel in der Königsklasse in zehn Jahren sprechen eine deutliche Sprache.
Und dabei war Kroos stets ein integraler Bestandteil der Königlichen. Gemeinsam mit Luka Modric und Casemiro hielt er das Mittelfeld zusammen, unterband gegnerische Angriffe und leitete eigene ein. Während der 38-jährige Kroate mittlerweile aber vor allem Edeljoker und der 32-jährige Brasilianer bei Krisenklub Manchester United ist, war Kroos auch in seiner letzten Saison bei Real Madrid noch unangefochtener Stammspieler.
Beim 2:0-Erfolg im Champions-League-Final gegen Borussia Dortmund schlug er die grandiose Flanke vor dem Führungstor durch Dani Carvajal. Es war der perfekte und sinnbildliche Schlusspunkt für zehn Jahre im Trikot der Blancos. Insgesamt 465 Mal stand Kroos für Real Madrid auf dem Platz, 28 Tore erzielte er dabei, 99 weitere bereitete der Edelfuss vor. Die Madridistas, wie sich die Fans des Klubs nennen, lieben und verehren ihre Nummer 8. Kein Wunder, ist Kroos seit seiner Ankunft aus München im Sommer 2014 heimisch geworden und möchte er auch nach seiner Karriere in der spanischen Hauptstadt bleiben.
🤍🎱 @ToniKroos 🤍🎱#Kroos2024 pic.twitter.com/JcJcFWcf06
— Real Madrid C.F. (@realmadrid) June 21, 2023
Hier weiss man ihn und seine Qualitäten zu schätzen. Kroos ist keiner, der die Zuschauerinnen und Zuschauer mit verrückten Tricks oder traumhaften Toren – wobei er auch einige davon erzielt hat – aus ihren Sitzen reisst. Vielmehr tut er einfach immer das Richtige. Kroos verfügt über eine unglaubliche Spielintelligenz, macht kaum Fehler und hat in seinem Spiel eigentlich keine Höhen und Tiefen. Wer Toni Kroos in seinem Team hat, bekommt eigentlich immer dasselbe – und das auf beeindruckend hohem Niveau.
Spätestens seit er an der Weltmeisterschaft 2014 auf dem Weg zum Titel zwei Tore sowie vier Assists erzielte, gehört er zu den besten Fussballern auf seinem Planeten. Dabei stellte er sich stets in den Dienst der Mannschaft und war auch deshalb so beliebt bei seinen Mitspielern. Als er seinen Rücktritt angekündigt hatte, meldeten sich viele seiner Teamkollegen öffentlich. So schrieb beispielsweise Luka Modric: «Die Fussballwelt ist traurig, weil ein historischer Fussballer abtritt. Auch ich bin sehr traurig. Ich habe es sehr genossen, an deiner Seite zu spielen. Es war mir eine Ehre.»
Fast schon eine Liebeserklärung waren die Worte von Federico Valverde. Der 25-jährige Uruguayer, der Kroos' Nummer 8 bei den Madrilenen erben wird, gestand dem Deutschen, dass er ihm «einen Teil dessen, was ich bin, verdanke». Dann fügte er an: «Als Kinder hatten wir alle ein Idol, von dem wir dachten: ‹Wenn ich gross bin, möchte ich so sein wie er.› Wir träumten davon, mit diesem Idol zu spielen. Dieses Kind war ich. Dieses Kind erfüllte sich seinen Traum. Heute weiss ich mit einem seltsamen Gefühl und einem Kloss im Hals, dass ich gerne noch zehn Jahre lang mit dir gespielt hätte. Denn ich habe nie aufgehört, dieser Junge zu sein, der dich immer bewundert hat.»
Und wenn man Kroos auch während der für ihn nun zu Ende gegangenen Saison sowohl im Klub als auch im Nationalteam beobachtet hat, meint man, er könnte noch 100 Jahre so weiterspielen, wie er das die letzten zehn Jahre gemacht hat. Die Fussball-Zeitschrift «Kicker» beschreibt Kroos so treffend als «Mann ohne Prime». Es sei unmöglich, zu sagen, wann der Mittelfeldspieler am besten war. Er war einfach immer gleich gut, ein Leistungsabfall war auch vor seinem Karriereende nicht festzustellen.
Und doch stand die Liebe und Wertschätzung, die er in Spanien erfährt, lange im diametralen Unterschied zu seinem Ruf in Deutschland. In seinem Heimatland wurde er von einer Armada an Fans, angeführt von Bayern-Patron Uli Hoeness, als «Querpass-Toni» verschmäht. Die Errungenschaften eines der besten deutschen Fussballer der Geschichte wurden kleingeredet, seine Qualitäten ihm abgesprochen. Wohl auch deshalb erklärte er nach dem enttäuschenden Achtelfinal-Aus an der EM 2021 seinen Rücktritt aus dem Nationalteam.
Wenige Monate vor der Heim-EM kam er jedoch zurück. Deutschland hatte ihn fast schon angefleht, den Karren für das am Boden liegende Nationalteam aus dem Dreck zu ziehen. Und Kroos willigte auf Bitten von Bundestrainer Julian Nagelsmann ein. Auch hier brachte er sofort Erfolg. In den Testspielen im März schlug Deutschland erst Frankreich und dann die Niederlande, in beiden Spielen glänzte Kroos als Vorbereiter. Durch die Siege kehrte auch die Hoffnung zurück.
Die Europameisterschaft wurde auch dank Kroos zumindest zu einem kleinen Erfolg. «Das Land hat sich trotz der Niederlage im Viertelfinal wieder mit der Nationalmannschaft versöhnt», schreibt Die Zeit nach der bitteren Niederlage gegen Spanien. Und Kroos erfuhr endlich auch in seiner Heimat die Wertschätzung, die er verdient. Nach dem Eröffnungsspiel gegen Schottland, in dem er 101 von 102 Pässen an den Mann brachte, schwärmten plötzlich alle von ihrem Toni.
Zwar konnte er diese Passquote über das gesamte Turnier gesehen wenig verwunderlich nicht ganz aufrechterhalten und blieb ohne Skorerpunkt, doch war er ein wichtiger Fixpunkt im Team von Julian Nagelsmann, kontrollierte das Spiel und gab den Takt an, wie er es zehn Jahre lang bei Real Madrid tat.
Am ARD-Mikrofon sagte Kroos nach seinem Abschiedsspiel auf allerhöchstem Niveau: «Ich bin froh, wenn ich da ein bisschen mithelfen konnte, dass wir in Fussball-Deutschland wieder die Hoffnung oder den Anspruch haben, weiterzukommen und besser zu werden.» Auf Instagram schrieb er am Tag nach dem Spiel: «Zum Schluss eine Bitte: Jetzt wo Deutschland sein liebstes Kind zurückgewonnen hat: lasst es nicht mehr los! Der Weg dieser Mannschaft geht weiter. Deutschland ist wieder wer.» Schon im Interview nach dem Spiel zeigte er sich überzeugt, dass seine Kollegen in Zukunft wieder erfolgreich sein würden, «aber es gehört auch dazu, dass wir heute extrem traurig sind, weil wir hier noch ein bisschen länger hätten dabei bleiben wollen».
Von den deutschen Fans, die ihn einst verschmähten, wurde Kroos nach dem Ausscheiden mit am meisten gefeiert. Es ist also ein trauriger Abschied vom Profifussball für Toni Kroos, irgendwie so gar nicht passend für diesen Gewinnertypen. Und trotzdem irgendwie versöhnlich.