Erhält Schottland nach 40 Jahren wieder einen anderen Meister als Celtic oder Rangers?
Ja, es ist immer noch Oktober. Ja, es sind erst neun Runden absolviert. Aber wenn nicht jetzt träumen, wann dann?
Am Sonntag schlugen die Hearts das favorisierte Celtic Glasgow mit 3:1. Nun führt der Klub aus Edinburgh die Tabelle der Scottish Premiership mit bereits acht Punkten Vorsprung auf Celtic an.
Die Hearts wie einst Aberdeen?
Wie historisch ein Meistertitel der Hearts wäre, zeigt der Blick auf die – eher kurze – Liste der schottischen Meister. Celtic und Rangers kommen auf jeweils 55 Titel, 9 weitere Klubs teilen sich die restlichen 19 Meisterschaften auf, seit diese 1891 erstmals vergeben wurde.
Das bislang letzte Team, das es schaffte, dieses Duopol zu durchbrechen? War der FC Aberdeen im Jahr 1985, trainiert von Alex Ferguson, dem späteren «ewigen» Trainer von Manchester United. In den vierzig Jahren, die seitdem vergangen sind, stemmte stets der Captain von Celtic oder jener der Rangers den Meisterpokal in die Höhe.
Zurück in die Gegenwart. Der Lärm sei zeitweise ohrenbetäubend gewesen während des mitreissenden Heimsiegs im Tynecastle Park, schwärmte der Reporter der Edinburgh Evening News nach dem 3:1-Sieg gegen Celtic.
«Moneyball» in Edinburgh
Auf der Haupttribüne feierte auch Tony Bloom den Sieg. Sein Name ist fachkundigen Fussballfans seit längerer Zeit ein Begriff. Der Mathematiker und frühere Poker-Profi mischt das Business seit längerer Zeit auf, weil er als einer der Ersten die Macht der Daten erkannte und nach ihnen handelte. Bloom besitzt den Premier-League-Klub Brighton & Hove Albion, und er legte mit seinem Einstieg das Fundament für den Aufstieg des unbekannten Union Saint-Gilloise, der im belgischen Meistertitel gipfelte.
In diesem Sommer stieg Bloom bei Heart of Midlothian ein. Für umgerechnet rund 10,5 Millionen Franken erwarb er 29 Prozent der Anteile am Klub. Die Hoffnungen der Anhänger waren gross, dass es dadurch auch mit ihren Lieblingen nach oben gehen würde. Zumal Bloom ihnen sagte, dass er enttäuscht wäre, würden die Hearts im nächsten Jahrzehnt nicht den Titel gewinnen. Die letzte der vier Meisterschaften feierten sie 1960.
Die Erfolge bei seinen anderen Klubs gaben den Fans berechtigten Grund zur Zuversicht: Bloom hatte sich in der Vergangenheit nicht als «Plauderi» entpuppt, sondern mit seinen Methoden überzeugt. Gemessen am finanziellen Einsatz war der Erfolg überwältigend.
Perlen aus der Fussballprovinz
Auch in Edinburgh wurde vor der Saison nicht mit der grossen Kelle angerührt. Sinnbild für die Arbeit von Tony Blooms Truppe ist Alexandros Kyziridis. Der 25-jährige Grieche mit bescheidener Vita kam ablösefrei vom slowakischen Michalovce und ist mit drei Toren und vier Vorlagen einer der besten Spieler der Liga. Die Hearts erkannten in Kyziridis offenbar besser als andere, was in ihm steckt.
Für 2 Millionen Euro kam Ageu, ein brasilianischer Mittelfeldspieler, von Santa Clara in Portugal. Den portugiesischen Torjäger Claudio Braga, der für eine halbe Million verpflichtet wurde, entdeckten die Hearts beim norwegischen Zweitligisten Alesund. Torhüter Alexander Schwolow kam ablösefrei von Union Berlin und liess sich in fünf Einsätzen erst einmal bezwingen.
Der Trainer dämpft zu hohe Erwartungen
Neu ist auch der Trainer, Derek McInnes. Der 54-jährige Schotte arbeitet seit bald zwei Jahrzehnten als Coach, stieg mit St. Johnstone und Kilmarnock auf, gewann mit Aberdeen den Liga-Cup. Nun ist er mit den Hearts immer noch ungeschlagen und muss bereits zu einem möglichen Meistertitel Auskunft geben.
Die Saison sei noch jung, betonte McInnes bei Sky Sports. «Wir nehmen die drei Punkte und ich denke, was das Selbstvertrauen betrifft, schadet uns der Sieg nicht. Für Aussenstehende mag es vielleicht so wirken, aber ich möchte nicht von einem ‹Statement-Sieg› sprechen.» Celtic-Coach Brendan Rodgers meinte ebenfalls, dass erst nach dem letzten Spiel im Mai abgerechnet werde.
Die Verantwortlichen bei den Hearts können sich noch so Mühe geben, die Erwartungen zu dämpfen. Wenn ihr Team weiterhin erfolgreich ist, steigt die Zahl der Träumer im Umfeld an. Alle Teams, die letzte Saison die Top 5 bildeten, wurden in dieser Saison bereits geschlagen. So kommen die «Edinburgh Evening News» zum Schluss, dass die Dynamik, die sich aufgebaut habe, bereits nicht mehr zu übersehen sei.
Es ist erst Oktober, erst 9 von 38 Runden sind absolviert. Schottlands Fussball winken spannende Monate – die vielleicht in der grössten Überraschung seit vier Jahrzehnten gipfeln.
