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Nizza-Fans gedenken Terror-Opfern – Schiedsrichter unterbricht Partie

OGC Nice v Olympique Lyonnais - Ligue 1 McDonald s 2025/2026 26 Melvin BARD ogcn - 92 Jonathan CLAUSS ogcn during the Ligue 1 McDonald s match between Nice and Lyon at Allianz Riviera on October 18, 2 ...
Nizza setzte sich gegen Olympique Lyon mit 3:2 durch – für Gesprächsstoff sorgte aber eine andere Szene.Bild: IMAGO/Icon Sport

Ein Spielunterbruch zwischen Nizza und Lyon sorgt für einen politischen Skandal

Das Ligue-1-Spiel Nizza gegen Lyon (3:2) am Samstagabend wurde vom Schiedsrichter kurzzeitig unterbrochen. Der Grund für diese Entscheidung sorgt für eine Kontroverse, die über den Fussball hinausgeht.
20.10.2025, 18:5720.10.2025, 18:57
Yoann Graber
Yoann Graber

Es ist die 86. Minute des Ligue-1-Spiels zwischen Nizza und Lyon am Samstagabend. Nizza führt mit 3:1, als plötzlich der Schiedsrichter Jérôme Brisard das Spiel unterbricht. Der Grund? Er hat homophobe Gesänge auf den Tribünen gehört. Gemäss dem Protokoll im französischen Fussball muss der Schiedsrichter das Spiel vorübergehend unterbrechen, bis diese Gesänge aufhören.

Nur: Die TV-Kommentatoren von beIN – und sie sind bei weitem nicht die einzigen – sind fassungslos über die Entscheidung des Schiedsrichters:

«Nein, aber da irrt sich Jérôme Brisard! Er weiss nicht ... Ja, es fallen Beleidigungen von den Tribünen, aber diese Beleidigungen richten sich gegen diejenigen, die am 14. Juli das Unaussprechliche begangen haben. Da irrt sich Jérôme Brisard, er kennt diese Geschichte nicht ...»

Tatsächlich kennt der Schiedsrichter die Tradition der Fans aus Nizza nicht, deren problematischer Gesang lautet: «Daech, Daech, wir ficken dich!» Seit 2016 gedenken sie bei jedem Heimspiel in der 86. Minute den 86 Opfern des Anschlags, zu dem sich die Terrororganisation Islamischer Staat (auch Daech gennant) bekannt hat und der am 14. Juli 2016 in Nizza verübt wurde.

Zusätzlich zu diesem Anti-Daech-Gesang werden auf den Großbildschirmen des Stadions Herzen mit den Namen der Opfer projiziert, und alle Zuschauer schalten die Taschenlampen ihrer Mobiltelefone ein.

Die Szene im Video:

Video: watson

Die Unterbrechung dieser Ehrung durch den Schiedsrichter – auch wenn sie vulgäre Ausdrücke enthielt (allerdings gegenüber einer Terrororganisation) – schockierte Zuschauer, Spieler, Mitarbeiter und Führungskräfte von Nizza, die alle gegenüber dem Schiedsrichter auf dem Spielfeld ihr Unverständnis zum Ausdruck brachten.

Um die Vorschriften des französischen Fussballverbands (FFF) genauestens einzuhalten, bat Jérôme Brisard den Stadionsprecher, eine offizielle Durchsage zu machen, um diesen Gesang zu unterbinden. Der Stadionsprecher kam dieser Aufforderung nach und schüttelte dabei entsetzt den Kopf. «Hier ist meiner Meinung nach Augenmass gefragt. Das ist lächerlich! Das geht auf eine Fehleinschätzung zurück», empörten sich die TV-Kommentatoren über die Entscheidung des Schiedsrichters.

Es sei angemerkt, dass dies nicht den gewünschten Effekt hatte, ganz im Gegenteil! Jedes Mal, während der Unterbrechung und unmittelbar nach der Wiederaufnahme des Spiels zwei Minuten später, wurde der Anti-Daech-Gesang von den Ultras aus Nizza noch lauter angestimmt, unter dem Beifall von Trainer Franck Haise.

«Mangelnder Respekt vor den Opfern»

Das Handeln von Schiedsrichter Brisard löste nach dem Spiel (das Nizza am Ende mit 3:2 gewann) ebenfalls heftige Reaktionen aus. Allen voran die des Vereins OGC Nice, der eine Pressemitteilung mit dem eindeutigen Titel «Inakzeptabel» verfasste, in der sich der Präsident Fabrice Bocquet äusserte:

«Das ist inakzeptabel. Es ist respektlos gegenüber den Opfern des 14. Juli, ihren Familien und der ganzen Stadt Nizza. Nicht nur gegenüber dem OGC Nizza. Wir haben diesen Moment als äusserst schmerzhaft empfunden.»

Der Nizza-Boss weist in der Folge auf die mangelnde Kenntnis des Kontextes seitens des Schiedsrichters hin:

«Das war ein Mangel an Vorbereitung und Sensibilität, und das hätte niemals passieren dürfen. Der Schiedsrichter-Delegierte hat das auch so gesehen. Der Schiedsrichter hat sich entschuldigt. Wir werden noch diese Woche die notwendigen Schritte beim französischen Fussballverband (FFF), bei Philippe Diallo (Präsident der FFF) und bei Anthony Gautier (Leiter der Schiedsrichterabteilung) einleiten, damit so etwas nie wieder vorkommt.»

Auch der Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi, kritisierte auf X die «völlig unverständliche Entscheidung», das Spiel in der 86. Minute zu unterbrechen. Er fügte hinzu, dass «ein wenig Vorbereitung und Urteilsvermögen in solchen Situationen nicht schaden würde».

Der französische Schiedsrichterchef Antony Gautier verteidigte seinen Kollegen, räumte jedoch ein, dass er das Spiel nicht hätte unterbrechen dürfen. «Ich habe mich nach dem Spiel kurz mit Jérôme unterhalten. Er hat zwar deutlich ‹on t'enc ...› gehört, aber das erste Wort, nämlich ‹Daech›, nicht. Hätte er den Kontext gekannt, hätte er das Spiel ausnahmsweise nicht unterbrochen», erklärte er gegenüber L'Equipe.

Antony Gautier fasst zusammen:

«Die Schiedsrichter können nicht die Gewohnheiten aller Fanclubs hier und dort kennen. Noch einmal: Wäre er (Jérôme Brisard) informiert gewesen, hätte er das Spiel nicht ausnahmsweise abgebrochen. Das ist gesunder Menschenverstand.»

Es bleibt also abzuwarten, ob der französische Verband künftig kurze Kurse für seine Schiedsrichter über die Besonderheiten jedes Vereins und seiner Fans anbieten wird, um die Spielleiter bestmöglich vorzubereiten und neue Missverständnisse wie am Samstagabend in Nizza zu vermeiden.

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Die beliebtesten Kommentare
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Looca23
20.10.2025 19:56registriert März 2022
Und alle wollen sich wieder empören. Ein Schiedsrichter hat seinen Fokus auf das Spiel zu richten. Dies ist genug anspruchsvoll. Ihn dann in die Pfanne hauen zu wollen, weil er den Gesang des Publikums nicht komplett deuten konnte, passt zum heutigen Zeitgeist.
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