Es ist eine der Auffälligkeiten an dieser Europameisterschaft: die schwache Trefferquote bei den Penaltys. Der dramatische Höhepunkt: das Penaltyschiessen zwischen England und Schweden im Viertelfinal. Nur 5 der 14 Versuche aus elf Metern – und damit knapp 36 Prozent – fanden ihr Ziel. Sechs meist schwach geschossene Penaltys wurden gehalten, zwei gingen übers Tor und einer knallte an den Pfosten. Über das ganze Turnier ist die Trefferquote immerhin 58,5 Prozent, was aber immer noch sehr tief ist.
Verglichen mit früheren Turnieren im Fussball der Frauen ist es der schlechteste Wert, so weit die Statistik zurückreicht. Einzig an der EM 2013 war die Trefferquote bis zum Ende der Viertelfinals ähnlich schlecht, wie die Daten von Opta zeigen. Bis vor der laufenden Europameisterschaft in der Schweiz landeten seit 2011 72,99 Prozent der Penaltys im Tor, bei den Männern waren es seit 2010 mit 70,56 Prozent etwas weniger. Jetzt treffen die Frauen aber nur gut die Hälfte ihrer Elfmeter.
Aber womit ist das zu erklären? Um dies herauszufinden, sprach die BBC unter anderem mit dem Fussballprofessor und Sportpsychologen Geir Jordet. Der Norweger erforscht das Phänomen Elfmeter seit über 20 Jahren und sagt: «Die Forschung zeigt, dass Penaltyschützen anfällig für Druck sind.» Zwar sei diese vor allem bei Männern durchgeführt worden, doch habe sich gezeigt: «Je höher der Druck, desto schlechter die Leistung.» Unterstützt wird diese These zum Beispiel durch den Vergleich zwischen der allgemeinen Trefferquote und jener an grossen Turnieren. Erstere ist bei den Männern bei rund 78 Prozent, letztere wie erwähnt bei gut 70.
Auch die Statistik an dieser EM zeigt klare Unterschiede zwischen der Gruppenphase und der K.-o.-Phase, wo mehr auf dem Spiel steht. Waren in den Gruppenspielen noch 7 von 9 Penaltys (77,8 Prozent) drin, war dies in den Viertelfinals nur noch bei 17 von 32 (53,1 Prozent) der Fall. Im Penaltyschiessen sinkt die Quote im Vergleich zu der regulären Spielzeit ebenfalls. Klar ist aber auch, dass die Partie zwischen England und Schweden einen grossen Einfluss auf die schwache Quote hat. Ohne sie ist die Trefferquote insgesamt bei soliden 70,4 Prozent und in den verbleibenden Viertelfinals immerhin bei 66,7 Prozent.
Dennoch scheint der Druck einen Einfluss zu haben. Und bei den Frauen ist das Interesse am Fussball in den letzten Jahren explodiert. «Ich bin neugierig, ob das einen Effekt auf die Spielerinnen hat», erklärt Penaltyexperte Jordet. Spiele vor Zehntausenden Zuschauerinnen und Zuschauern und einem Millionen-Publikum im Fernsehen sind für viele der Fussballerinnen neu. «Der Druck ist grösser, als er war. Es braucht Erfahrung damit, um Wege zu finden, damit umzugehen», glaubt Jordet.
Einen Einfluss könnte auch die verbesserte Datenlage haben. Durch das zusätzliche Interesse stiegen nämlich auch die finanziellen Möglichkeiten, wodurch einerseits das Scouting und andererseits das Training verbessert werden konnte. Sowohl die schwedische Torhüterin Jennifer Falk, die vier der englischen Penaltys parierte, als auch die Deutsche Ann-Katrin Berger hatten einen Zettel mit Informationen zu den Schützinnen neben dem Tor. Berger sicherte ihrem Team mit zwei Paraden im Penaltyschiessen den Halbfinaleinzug.
«Die Elfmeterschützinnen wurden rigoros analysiert – die Goalies kennen sie deutlich besser als in der Vergangenheit», erklärt Geir Jordet der BBC und ergänzt: «Wenn die Spielerinnen unter Druck stehen, neigen sie dazu, in ihr Standardmuster zurückzufallen und so zu schiessen, wie sie es sich gewohnt sind.»
Ein weiterer Umstand, der zu besseren Torhüterinnen führt, ist die zusätzliche Professionalisierung. Lange hinkten die Goalies im Fussball der Frauen der Entwicklung auf den anderen Positionen hinterher. Doch durch das bessere Goalietraining und die grössere Anzahl an guten Trainerinnen und Trainern holen die Torfrauen derweil auf. «Sie finden Wege, schlauer zu sein und ihre Gegnerin zu lesen», so Jordet. Englands Ersatzgoalie Khiara Keating erklärte dem Radiosender BBC 5 Live zudem: «Torhüterinnen erhalten nicht genug Anerkennung. Es passiert viel hinter den Kulissen, das ihr gar nicht seht: die Analyse, die harte Arbeit im Training, das Lesen der Körpersprache. Das Level der Goalies wird viel besser.»
Bei den Männern gibt es einige Schützen wie Robert Lewandowski oder Bruno Fernandes, die ihren Schuss so lange herauszögern, bis der Goalie sich für eine Seite entscheidet, und dann einfach in die andere Ecke schieben. Jordet nennt dies die «vom Goalie abhängige Technik». Diese ist bei den Frauen noch nicht so häufig zu sehen. Beim Viertelfinal zwischen England und Schweden wartete keine der 14 Elfmeterschützinnen wirklich darauf, was die Torhüterin macht. Dabei wäre dies eine sehr effektive Methode für ein Penaltyschiessen.
Mit der fortschreitenden Entwicklung im Fussball der Frauen ist zu erwarten, dass auch diese «Goalie-Abhängigkeit» immer stärker Verwendung findet.
Möglicherweise gibt es aber auch gar keinen Grund für die schlechte Trefferquote bei Penaltys. Vielleicht war die Partie zwischen Schweden und England einfach eine Ausnahme und am Ende des Turniers erreichen die Fussballerinnen über die restlichen Spiele gesehen eine ganz normale Erfolgsquote bei Elfmetern. Dies sagt auch Jordet: «Es könnte schlicht Zufall sein.» Beweisen könnten dies England und Italien bereits am heutigen Dienstagabend, wenn sie um 21 Uhr im Halbfinal aufeinandertreffen. Am Mittwoch um dieselbe Zeit spielen dann Spanien und Deutschland um den Finaleinzug.
Also müssten es die Penalyschützinnen eigentlich einfacher haben als die Penaltyschützen.