Ruben Vargas – der Kleine mit Köpfchen, der in der Nati aufblüht
Die Bühne ist gross. Vielleicht noch etwas gar gross für Ruben Vargas. Erstmals ist er auserwählt, um am Tag vor einem Länderspiel zur Lage der Nation zu sprechen. Der Grund ist ganz einfach: In beiden Spielen der vergangenen Woche, gegen Israel und den Kosovo, schiesst Vargas ein Tor. Sorgt dafür, dass sich die Nati das EM-Ticket vorzeitig sichert. Und ihr damit der Nervenkitzel zum Schluss gegen Rumänien erspart bleibt.
Da sitzt er also im Stadion von Bukarest neben Nationaltrainer Murat Yakin auf einem Podium. Bald einmal sagt Vargas: «Eigentlich hätte ich auch mehr als zwei Tore schiessen können. Dann hätten wir die Spiele gewonnen und würden jetzt nicht über all das reden.»
All das? Vargas ist gefragt worden, warum denn trotz EM-Qualifikation keine Euphorie herrscht und der Trainer angezählt ist. Er gibt jedenfalls sein Bestes, um Yakin zu verteidigen. «Wenn man die letzten Spiele anschaut, dann waren wir immer das bessere Team. Wir haben nie viel zugelassen und wurden immer direkt bestraft. Aber so ist das jetzt. Nun haben wir noch einmal eine Chance, das zu ändern.»
Die Erinnerungen an den EM-Achtelfinal 2021
Für Vargas wie für viele andere Schweizer Nationalspieler gilt: Dieses Stadion in Bukarest ist mit vielen schönen Erinnerungen verbunden. Hier besiegte die Schweiz am 28. Juni 2021 im EM-Achtelfinal Frankreich. «Auf dem Weg zum Stadion ist vieles wieder hochgekommen», erzählt Vargas.
Nach 79 Minuten in diesem Spiel wird er eingewechselt. 1:3 liegt die Schweiz zu diesem Zeitpunkt zurück. Am Ende aber steht der geschichtsträchtige Sieg. Wobei Vargas einen der Penaltys verwandelt.
Auch im Viertelfinal gegen Spanien wird er wieder eingewechselt. Doch diesmal verschiesst er aus elf Metern. Seine Tränen danach, und wie ihn Spaniens Thiago Alcantara trösten, gehen um die Welt. Die Szene hat Vargas eine Protagonisten-Rolle im Nati-Kinderbuch beschert, das danach veröffentlicht wurde. «Ich weiss auch, wie es ist, wenn man mal einen Rückschlag verarbeiten muss», sagte er bei der Präsentation.
Das Lob von seinem Ex-Chef Seoane
Vargas wächst in der Nähe von Luzern, in Adligenswil, auf. Im Dorfklub beginnt er auch mit Fussball. Doch sein Interesse am Sport beschränkt sich nicht auf den Fussball. Vargas spielt auch Baseball und Golf. Sein Vater arbeitete als Golflehrer und spielte Baseball. Irgendwann muss sich Vargas entscheiden. Er wählt Fussball. Und sorgt sich, wie der Vater darauf reagiert. Ganz easy, stellt sich heraus.
Bald einmal wechselt Vargas zum FCL. Im Vergleich zu seinen Junioren-Kollegen ist er stets klein und schmächtig. Es ist ein Thema, das ihn immer wieder beschäftigt. Wenn er wieder einmal nicht aufgeboten wird für ein Turnier, fliessen Tränen. Und jedes Mal, wenn die Verantwortlichen entscheiden, welche Spieler den Sprung in den nächsten Jahrgang schaffen, zittert Vargas. Mit 17 wechselt er für ein Jahr nach Kriens. Dann folgt ein Wachstumsschub, der vieles erleichtert.
Vargas wechselt zurück zum FCL. Und debütiert mit 19 in der ersten Mannschaft. Die ersten sporadischen Einsätze hat er unter Markus Babbel. Stammspieler wird er dann im Frühjahr 2018 unter Gerardo Seoane.
Wenn der jetzige Gladbach-Trainer Seoane über Vargas spricht, dann fällt ihm als Erstes ein: «Stark im eins gegen eins, sehr dribbelstark, sehr zielstrebig, torgefährlich auch – und das Kopfballspiel war schon immer gut.» Das geht gerne vergessen bei einem Spieler, der «nur» 1,77 Meter gross ist. Auch Seoane erwähnt das frühere Handicap der Physis. «Er war lange ein bisschen unterentwickelt und schmächtig, dadurch fiel er vielleicht nicht immer so auf. Doch er war stets geduldig und hat gerne trainiert.»
Der Wechsel nach Augsburg und die Frage: Wie weiter?
Zwei Jahre nach seinem Debüt beim FCL, mit 21 Jahren, kommt das Angebot aus Augsburg – die Bundesliga lockt. Im ersten Jahr läuft es gut. In diese Zeit fällt auch seine Nati-Premiere: am 8. September 2019 gegen Gibraltar. Aber je länger Vargas in Augsburg bleibt, desto eher verstärkt sich der Eindruck, dass er stagniert. Mittlerweile steht er bereits in der fünften Saison in Augsburg. Einem Wechsel wäre er nicht abgeneigt, aber auch in diesem Sommer bleibt ein Angebot aus, das ihn reizen würde.
Nun geht es für Vargas auch darum, endlich den Eindruck abzulegen, den er über all die Jahre nie so richtig losgeworden ist: Dass sein Spiel zu viel Kunst und zu wenig Effizienz beinhaltet.
Gegen Rumänien wird er aller Voraussicht nach sein 40. Länderspiel absolvieren. Die Tore in der letzten Wochen waren Nummer sechs und sieben. Eines fällt bei ihm schon seit geraumer Zeit auf: Das Nati-Dress scheint ihn zu beflügeln, nicht zu hemmen. Es ist ein schöner Kontrast zu manch anderem Nationalspieler in diesen Tagen.
Und wer weiss, vielleicht löst die – wenn auch erst kleine – Nati-Tor-Serie ja noch einmal etwas aus in ihm.