Noch vor Anpfiff des Champions-League-Finales Manchester City gegen Inter Mailand in Istanbul am 10. Juni diesen Jahres hagelte es Kritik. #Neumann wurde auf allen sozialen Medien zum Hype. Mit Beleidigungen überschütteten User die deutsche ZDF-Fussballkommentatorin Claudia Neumann, bevor der Ball überhaupt rollte. «Unqualifizierte Labertante» oder «Hauptsache die Frauenquote stimmt», waren noch die netteren Aussagen.
Dabei schrieb Neumann gerade Geschichte: Sie war die erste Frau, die einen Champions-League-Final im deutschen Fernsehen kommentierte. Während dem Spiel leistete sie sich dann allerdings einige verbale Patzer. Die Reaktionen im Netz folgten prompt: «Neumann ist nicht mehr tragbar, schmeisst die Alte endlich raus» oder «Dieses Geschrei halten meine Ohren nicht aus.»
Das ZDF stellte sich vor Neumann und schrieb in einer Stellungnahme zu den vielen Hasskommentaren: «Claudia Neumann ist eine professionelle und erfahrene Kommentatorin, was sie beim Champions-League-Finale einmal mehr unter Beweis gestellt hat. Konstruktive und sachliche Kritik an ihrer Arbeit ist völlig okay. Völlig inakzeptabel ist jedoch das grosse Ausmass an Hass und Beleidigung.»
Sport, vor allem Fussball, wird am Fernsehen von vielen männlichen Zuschauern konsumiert. Als Expertinnen im Studio oder als Reporterin am Spielfeldrand werden Frauen von Fans, Spielern und Zuschauern heute auf allen Sendern toleriert, doch beim Livekommentar hört die Akzeptanz auf. Warum ist das so?
«Frauen als Kommentatorinnen haben im Fussball einen schweren Stand», bestätigt Mario Nauen, Fussball-Chef bei Sky Deutschland. «Die fachliche Kompetenz ist die Basis fürs Kommentieren, das gilt für Frauen und Männer gleichermassen. Der grosse Unterschied ist die unsachliche Form der Kritik, der sich Kommentatorinnen insbesondere in den sozialen Medien oftmals ausgesetzt sehen.» Beim grössten Sportbezahlsender Deutschlands arbeitet derzeit keine Frau als Fussball-Kommentatorin. Denn es brauche nicht nur Fachkompetenz und Mut. «Man muss es nicht nur unbedingt wollen, sondern auch wissen, was einen auf dem Weg erwartet», so Nauen.
Die Netzwerkorganisation «Fussball kann mehr», bei der Vorreiterin Claudia Neumann Einsitz hat, setzt sich unter anderem für Geschlechtergerechtigkeit und Diversität im Fussball ein, wozu auch die Förderung von Frauen als Kommentatorinnen zählt. Auch Sky Deutschland ist im Projekt dabei und hat sich zum Ziel gesetzt, langfristig Frauen als Kommentatorinnen aufzubauen.
Der Sender schöpft hierfür aus dem Fundus der Profi-Fussballerinnen. In «Fussball kann mehr» werden Frauen gezielt gefördert, aufgebaut und gestärkt. «Im Männerfussball weht Frauen noch immer ein rauer Wind entgegen, den sie aushalten müssen», so Sky-Fussball-Chef Mario Nauen, der sich künftig auf keine Frauen-Quote festlegen will. Trotzdem will er, dass sich in den nächsten Jahren das Männer-Frauen-Verhältnis klar verändert. «Das Ziel ist die Integration von Frauen und am Ende muss es egal sein, ob ein Mann oder eine Frau ein Fussballspiel kommentiert.»
Dass vorwiegend Männer Kommentatorin Claudia Neumann auf sozialen Kanälen attackieren, deutet der Luzerner Ethik-Professor Peter G. Kirchschläger so, dass «der Mensch ausgrenzt, was ihm gefährlich werden könnte». Kirchschläger verurteilt Hasskommentare wie gegen Claudia Neumann als ethisch höchst inakzeptabel. «Der Moment ist längst gekommen, auf solche diskriminierenden Verletzungen hinzuweisen und diese deutlich zurückzuweisen», sagt er.
Es sei notwendig, dass über solche Hasstiraden Klartext gesprochen wird. «Es kann doch nicht sein, dass wir im 21. Jahrhundert noch darüber diskutieren, ob eine Frau oder ein Mann ein Fussballspiel kommentiert», so der Ethik-Professor der Universität Luzern. «Männer haben in der Gesellschaft sehr lange mehr Macht gehabt als Frauen und diese auch ausgespielt. Das sieht man auch beispielsweise in den Sportverbänden». Auch im Schweizerischen Fussballverband sei Diversität noch immer ein Fremdwort.
«Frauen wie Claudia Neumann sind Vorreiterinnen, kämpfen gegen Vorurteile, stecken viel ein und sind aus ethischer Sicht Heldinnen», sagt Kirchschläger. «Nur mit Heldinnentaten können gesellschaftliche Veränderungen vorangetrieben werden. Doch dies verlangt von den Einzelnen sehr viel.»
Die entscheidenden Akteure seien nicht nur die Heldinnen selbst, auch nicht nur die Täter, sondern diejenigen, die wegschauen, die nicht auf Hasskommentare reagieren. «Man darf das Diskriminierungsopfer nicht allein im Regen stehen lassen. Da muss die Gesellschaft noch viel lernen, ihre Indifferenz überwinden und ins Handeln kommen.»
Auch in der Schweiz sind Fussball-Kommentatorinnen Mangelware. Kurz: Es gibt keine. Die Fussballwelt ist auch hier in Männerhand. Beim Schweizer Fernsehen moderiert Annette Fetscherin zwar sämtliche Fussballformate, doch der Kommentar im Livespiel ist Männersache.
Blue-Sport-Chefin Claudia Lässer bringt es auf den Punkt: «Den Frauen fehlt es rund um die Kommentierung eines Spiels oft am nötigen Selbstvertrauen.» Würde eine Frau mit hoher Fachkompetenz, angenehmer Stimme und genügend Schlagfertigkeit ein Casting bestehen, «würde ich sie sofort einstellen.» Eine Frau zu finden, die Leidenschaft, Fachkompetenz und Widerstandskraft habe, sei sehr herausfordernd.
Stichwort Widerstandskraft. Susan Schwaller, Chefredaktorin Sport beim Schweizer Fernsehen, versucht – wie andere Sender auch – Frauen als Kommentatorinnen für Livespiele aufzubauen. Schwaller sieht das Hauptproblem darin, dass sich auch fachkompetente Frauen nicht exponieren wollen. «Als Kommentatorin braucht es eine dicke Haut, weil das Zuschauer-Feedback gnadenlos sein kann», gibt Schwaller zu bedenken.
Beispiele wie Michèle Schönbächler als Kommentatorin von Ski-Weltcup-Rennen zeigen, dass es auch in anderen Sportarten schwierig ist, Frauen zu etablieren. «Frauen heben in emotionalen Situationen teilweise die Stimme, was allein schon zu heftigen Bashings führen kann», so Schwaller. Schönbächler entschied sich nach nur einem Winter und viel Kritik, ihren Ski-Kommentatorinnen-Posten zu räumen. Heute kommentiert sie erfolgreich Pferdesport, wo sie weniger exponiert ist als bei Skirennen.
Die TV-Stationen in der Schweiz und offenbar auch in Deutschland geben nicht auf, Frauen als Kommentatorin von Männerfussballspielen einzubinden und das Ziel ist klar. «Wir wollen in den nächsten Jahren eine Frau als Fussball-Kommentatorin aufbauen und auch auf dem Sender haben», sind sich Lässer und Schwaller einig.
Sobald die beiden was kommentiert haben/hatten wurden sie, oftmals zurecht, kritisiert. Und dennoch machen/machten sie weiter.