Vor zwei Jahren sprachen wir im Interview über Ihren grossen Erfolg. Sie waren der wohl charismatischste Hockeytrainer im Land. Jetzt unterhalten wir uns über Scheitern und Arbeitslosigkeit. Ist diese Wende des Schicksals unerwartet gekommen?
Kevin Schläpfer: Erwartet nicht. Es wäre ja schlecht, im Sport den Misserfolg zu erwarten. Aber ich musste immer damit rechnen. Scheitern gehört zu einer Karriere im Sport. Eine Formschwäche gehört dazu.
Bei Ihnen ist es extremer. Die Formschwäche hat zur Entlassung und zu Arbeitslosigkeit geführt.
Das bringt die Besonderheit des Trainerberufs mit sich.
Wie gehen Sie mit der Situation um?
Wichtig ist die Analyse, die selbstkritische Aufarbeitung. Ich muss wissen, warum es so gekommen ist und die Fehler auch bei mir suchen. In meinem Fall gilt es auch, die besonderen Umstände zu berücksichtigen. Wenn man eine Antwort hat, ist die Verarbeitung einfacher.
Haben Sie diese Antwort gefunden?
Ja, ich denke schon. Biel und Kloten sind zwei verschiedene Fälle. Gut, am Ende habe ich in Biel meine Arbeit vor Ablauf meines Vertrags beendet. Eine Entlassung wie in Kloten war es nicht. Ich hatte einfach keine Energie mehr und liess es meinen Sportchef wissen, und erst daraufhin bin ich freigestellt worden. Es war einfach das Ende einer erfolgreichen Zeit. Inzwischen ist mir klar, dass es ein grosser Fehler war, die Arbeit wieder aufzunehmen, bevor ich gesund war, und mit Krücken an der Bande zu stehen. (Kevin Schläpfer erlitt im Sommer 2015 eine schwere Infektion des Knies; Anm. d. Red.)
War es Selbstüberschätzung, so früh zurückzukehren?
Nein, der natürliche Ehrgeiz. Wir waren bis dahin ja erfolgreich. Wenn es läuft, sagt niemand etwas. Am Anfang hatte man ja noch gelacht, als ich während des Spiels auf einem Spezialstuhl an der Bande stand. Auch ich selber machte Sprüche. Es war ein Fehler, aber hinterher ist man ja immer klüger.
Also doch Selbstüberschätzung: Sie glauben, dass es alles leiden mag.
Nein, es war nicht Selbstüberschätzung. Es war der Gedanke: «Ich muss das jetzt machen. Ich muss wieder zurück an meine Arbeit.» Alle erwarteten das von mir, und ich sah keinen Grund, warum es nicht möglich sein sollte. Ich merkte erst nach und nach, dass ich nicht mehr die gleiche Energie und Ausstrahlung hatte wie vorher, als ich noch gesund war. Meine Spieler kannten mich, und es war ein riesiger Unterschied, ob ich forsch in die Kabine kam und explodierte oder ob mir jemand die Türe aufhalten musste, damit ich in die Kabine humpeln konnte.
Aber in Kloten waren Sie fit.
Ja, ich war fit und es war für mich ein Abenteuer.
Wie analysieren Sie dieses Abenteuer?
Es war ein Fehler, dass ich alleine nach Kloten gegangen bin und keinen Assistenten mitgenommen habe.
Verzeihen Sie den Ausdruck – aber es ist ein Anfängerfehler, alleine einen Krisenklub zu übernehmen.
Es war das erste Mal, dass ich ausserhalb von Biel einen Trainerjob übernommen habe. Ein Fehler beim ersten Mal – ja, das ist ein Anfängerfehler.
Haben Sie Ihre Wirkung überschätzt, als Sie während der Saison in Kloten eingestiegen sind?
Nein, das glaube ich nicht. Ich wusste, dass es sehr schwierig wird, und allen war von allem Anfang an klar, dass wir zu 95 Prozent nicht um die Playouts herumkommen.
Aber die Niederlage in den Playouts und den Sturz in die Liga-Qualifikation hatte niemand erwartet.
Wir haben auch dieses Szenario besprochen, und ich habe gesagt, dass es in einem solchen Fall darum geht, Ruhe zu bewahren.
Was nicht der Fall war. Sie sind entlassen worden.
Diese Entlassung kam für mich überraschend. Ich ging davon aus, dass ich die Liga-Qualifikation beginnen würde.
Hätten Sie Kloten in der Liga-Qualifikation gerettet?
Ja sicher, ich hätte es geschafft.
Hoppla, was macht Sie da so sicher?
Das muss ich doch so sagen. Sie kennen mich doch.
Und jetzt ganz ernsthaft?
Ich hätte es geschafft.
Warum?
Die Liga-Qualifikation bringt ganz anderes Hockey und ich kenne das aus eigener Erfahrung. Deshalb hätte ich einen Vorteil gehabt und wahrscheinlich bereits eine der ersten beiden Partien gewonnen.
Heisst Ihr Scheitern in Kloten, dass Kevin Schläpfer ausserhalb von Biel nicht funktioniert?
Diese Frage musste kommen, natürlich. Sie wird jedem Trainer gestellt, der länger als zehn Jahre beim gleichen Klub tätig war. Dabei müssten Sie mir doch ein Kompliment machen, dass ich so viele Jahre in Biel als Sportchef und dann als Trainer erfolgreich war.
Das Scheitern hat Sie also überrascht?
Nein. Ich wusste sehr wohl, wie schwierig es werden würde. Beim ersten Meeting habe ich die Verantwortlichen darauf aufmerksam gemacht, dass der Trainerwechsel zu früh sei. Und so war es auch. Kaum war ich Trainer, kamen die schlechten Nachrichten über Spieler, die bereits vorzeitig bei anderen Klubs unterschrieben hatten. Dabei hatte man mir bei meinem Amtsantritt versichert, dass Denis Hollenstein ganz sicher nicht zu den ZSC Lions wechseln werde.
Sie sind also in Kloten zu früh eingestiegen?
Ja, so ist es. Ich wollte helfen und bin gegen mein besseres Wissen zu früh Trainer geworden. Da habe ich einen Fehler gemacht.
Sind Sie zu naiv für diesen Beruf?
Nein. Eher zu wenig erfahren. Ich bin in Biel zum ersten Mal überhaupt entlassen worden. Diese Situation war neu für mich. Und dann kommt jemand und bietet dir einen neuen Job an. In dieser Situation wäre es arrogant gewesen, wenn ich das Angebot abgelehnt hätte. Kloten ist ein grosser Name im Eishockey. Da konnte mein Hockeyherz einfach nicht Nein sagen. Hätte ich Nein gesagt, würden Sie mir jetzt Arroganz vorwerfen.
Apropos «Nein»: Als Sie noch Trainer in Biel waren, hat Ihnen der Verband den Posten des Nationaltrainers angeboten.
Daran denke ich nicht mehr. In dieser Sache bin ich mit mir im Reinen. Ich folgte der Stimme meines Gewissens. Ich konnte damals in Biel nicht davonlaufen. Mehr gibt es dazu nicht mehr zu sagen. Wichtig ist für mich, dass ich mit allen damals Beteiligten ein gutes Verhältnis habe. Alle können den Entscheid nachvollziehen.
Jetzt mal Hand aufs Herz: Ich höre Ihre Worte, aber mir fehlt der Glaube.
Was denken Sie denn?
Dass Sie diese ganze Sache nach wie vor zutiefst aufwühlt und beschäftigt. Erst recht, wenn Sie nun sehen, dass Sie mit der Nationalmannschaft den Final erreicht hätten.
Nein, so ist es nicht. Die Nationalmannschaft ist nur noch ein Thema, weil ich ständig darauf angesprochen werde.
Aber es war der Fehlentscheid Ihres Lebens.
Wenn mir das jemand so direkt sagt, wie Sie jetzt, dann werde ich nachdenklich. Ich bin ein Mensch, der mit dem Herz entscheidet und nicht mit dem Verstand. Wenn du dem Herzen folgst, zieht das manchmal Misserfolg nach sich. Aber meine Seele, mein Herz bleiben rein. Wenn du mit dem Kopf entscheidest, dann hast du eher Erfolg, aber das Herz und die Seele leiden. Für meine Lebensqualität ist es besser, dem Herzen zu folgen.
Sie sind also Ihrem Herzen gefolgt und arbeitslos geworden.
Ja, aber ich bin zuversichtlich, dass ich wieder Arbeit im Eishockey finde und, wie in Biel, eine Chance bekomme, etwas voranzubringen. Ich bin sehr motiviert und mich plagen keine Existenzängste.
Wirklich nicht?
(schmunzelt) Jedenfalls jetzt noch nicht.
Derzeit sind alle Trainerposten besetzt. Würden Sie nochmals einen «Feuerwehrjob» wie in Kloten annehmen?
Lieber nicht. Ich würde lieber von allem Anfang an etwas aufbauen. Das ist meine Stärke, das habe ich in Biel bewiesen.
Wie verbringt eigentlich ein arbeitsloser Trainer den Tag?
Ich beschäftige mich intensiv mit Eishockey und pflege meine Kontakte. Ich kenne viele Leute und nutze die Zeit zur Weiterbildung. Ich war bei der WM und ich schaue mich bei anderen Klubs um. Ich war beispielsweise bei Chicago in der NHL und bin daran, einige Stages in Skandinavien aufzugleisen. Ich werde bei Chris McSorley in Genf und Arno Del Curto in Davos vorbeischauen. So kann ich sehr viel lernen.
Lernen ist gut. Aber wird es nicht langweilig, wenn die Herausforderung, die Spannung fehlt?
Ja, das ist so und das ist halt auch ein Grund, warum ich zu früh in Kloten zugesagt habe. Es kommt eine schlimme Zeit auf mich zu: Die Hockeysaison beginnt und ich muss in einer passiven Rolle draussen bleiben. Zum Glück habe ich eine verständnisvolle Partnerin. Aber es ist schon so: Nichtstun, während die Hockeysaison läuft, ist ganz und gar nicht meine Sache.
Wie lange halten Sie das aus?
Im Sommer ist erst mal Ruhe. Wenn die Vorbereitung und dann die Saison beginnt, hoffe ich, dass mich Trainings- und Spielbesuche etwas beruhigen.
Gibt es nicht Unruhe, wenn Sie im Training oder beim Spiel auftauchen? Heisst es dann nicht: «Aha, der Schläpfer sucht Arbeit …»
Das ist tatsächlich ein Problem. Darum gehe ich nur dort zum Training oder zum Spiel, wo man mich einlädt, wo der Trainer ein guter Freund von mir ist und weiss, dass ich keine Hintergedanken habe. Ich spiele mit offenen Karten und melde mich an, wenn ich zum Training oder zum Spiel gehen will.
Wenn Sie wieder einen Trainerjob haben – werden wir dann einen anderen Kevin Schläpfer sehen?
Ich bin, wie ich bin. Ich bleibe emotional und werde mal explodieren. Ein paar Sachen werde ich wohl anders machen. In Kloten wollte ich Ruhe und Harmonie reinbringen und hinterher sehe ich, dass ich viel emotionaler hätte sein müssen.
Also ist die Lehre aus der Geschichte: Kevin Schläpfer muss Kevin Schläpfer bleiben.
Ja, so ist es wohl.