Rachel Rinast: «Für mich war klar: Egal, wie gut ich es mache – ich kriege auf den Sack»
Sie haben während der EM im Sommer als erste Frau im Schweizer Fernsehen ein Fussballspiel live kommentiert. War Ihnen die Rolle als Pionierin bewusst?
Rachel Rinast: Theoretisch war es mir bewusst. Aber erst als es dann so weit war, habe ich den ersten richtigen Druck gespürt. Ich habe mir gedacht: Ich darf auf gar keinen Fall versagen. Denn wenn ich versage, dann heisst es: «Die Frauen können das nicht!» Ich hatte wirklich ein, zwei schlaflose Nächte, weil ich auch davon träumte, dass mir etwas ganz Schlimmes passiert beim Kommentieren.
Zum Beispiel?
Wie ich Spielerinnen vertausche. Das ist ja Quatsch. Warum sollte ich die vertauschen, ich kenne sie ja alle. Dinge, die eigentlich nicht passieren können. Aber ich weiss eben auch, unter Druck macht das menschliche Hirn manchmal komische Dinge.
Wie sind Sie damit während des Turniers umgegangen?
Relativ entspannt. Da war ich im Arbeitsmodus. Vorbereiten. Kommentieren. Was muss ich tun während des Spiels? Was muss ich sehen? Da bin ich voll im Fokus. Auch während eines Spiels. Und überlege auch nicht mehr grossartig. Was mir in den Sinn kommt, geht raus über den Sender – und alles andere halt nicht. Deswegen war ich während der Spiele relativ gechillt, wie man so sagt. Was da aber genau passiert ist, realisierte ich erst nach der EM.
Nämlich?
All das, was ich mir irgendwie erhofft habe, ist wirklich passiert. Zu sehen, wie mir eine Mutter ein Bild ihrer Tochter schickt und schreibt: «Würde mich mega freuen, dich einmal zu treffen, weil: dank dir möchte meine Tochter jetzt Kommentatorin werden.» Da denke ich einfach: Wie cool ist das denn!
Fürchteten Sie sich vor den unverbesserlichen Kommentaren à la: «Eine Frau, die Fussball kommentiert – das geht gar nicht!»?
Auf jeden Fall. Ich habe schon mitbekommen, wie das sein kann. Claudia Neumann in Deutschland ist ja das beste Beispiel dafür. Jeder, der Claudia Neumann hört, weiss – wenn man den Kritikern recht gibt: «Ah, das ist die Frau, die den Champions-League-Final versaut hat». Ehrlich gesagt, war das mit Sicherheit nicht ihr bestes Spiel. Aber heisst das, nur weil sie ein Spiel vielleicht nicht so gut kommentiert hat wie andere Spiele, dass sie deswegen eine schlechte Kommentatorin ist? Das ist einfach nicht fair. Bei einem Marcel Reif oder Bela Réthy wäre das Thema nach zwei Wochen durch gewesen. Aber bei ihr steht halt der Stempel: «Frauen können nicht kommentieren!» Davor hatte ich Angst. Dass mir dasselbe in der Schweiz passiert.
Waren Sie denn mit negativer Kritik konfrontiert?
Da kamen einige Nachrichten. Aber die Quote war eine negative Rückmeldung auf 20 positive. Ich fand es schon verrückt, wie viele Reaktionen es gab. War wahrscheinlich tatsächlich dem Fakt geschuldet, dass ich die erste Kommentatorin von Fussballspielen in der Schweiz bin. Da war schon ordentlich Schwung drin. Das wird sich hoffentlich auch wieder legen. Wenn dann eine nächste Frau dazukommt, ist hoffentlich alles etwas entspannter.
Einmal mussten Sie Kritik einstecken. Als Ihnen das Wort «fuck» über die Lippen rutschte.
Ja. Genaugenommen habe ich das Wort sogar inhaliert. Weil ich nach einem Tor der Schweizerinnen gegen Island zu schnell aufgesprungen bin, und mir kurz schwarz wurde. Dann habe ich «fuck» gesagt.
Aus den Emotionen heraus?
Ich finde es lustig, dass das so riesengross gemacht wurde. Wenn ich jetzt das ominöse Wort laut geschrien hätte, okay. Aber so war das ja nicht. Eben, ganz leise, als hätte ich es inhaliert. Ich habe mir die Szene natürlich auch noch gefühlt tausendmal angesehen und angehört. Ich habe es selbst gar nicht wahrgenommen. Also ich fand es übertrieben. Ich kann aber auch verstehen, dass es Leute gibt, die das gestört hat. Und darum habe ich mich im Nachhinein auch entschuldigt.
Sie haben zwei unterschiedliche Rollen inne. Eine, wenn sie zusammen mit Calvin Stettler die Spiele der Schweizer Frauen-Nati kommentieren. Eine andere, wenn Sie ein Spiel alleine kommentieren. Was bewegt die Leute mehr?
Für einige Leute ist der Unterschied tatsächlich verwirrend. Die erste Frage, die ich erhalte, ist häufig: Warum bist du denn so ernst, wenn du alleine kommentierst? Weil ich mit Calvin Stettler im Duo ja gerne auch mal einen Witz mache. Oder wir in den Unterhaltungsmodus kommen. Aber solche Dinge passieren, wenn zwei kommentieren, die die Gedankengänge des anderen verstehen und du einfach das Gefühl hast, du bist in der Situation, wo du mit einem Freund vor dem TV über Fussball sprichst. Wenn ich alleine kommentiere, bin ich logischerweise viel sachlicher. Ich mach ja nicht einen Witz und lache mir noch ins Fäustchen. Das wäre komplett cringe. Gut, andererseits wäre mir das durchaus zuzutrauen (lacht).
Ihr Image ist eher jenes der Unterhalterin als das der sachlichen Kommentatorin.
Ist so. In einem der ersten Artikel über mich nach der Premiere stand tatsächlich: Souverän – wundert keinen. Fussballerisch total auf der Höhe. Aber erstaunlicherweise extrem seriös. Da dachte ich: Tja, ich kann auch seriös.
Und darüber haben Sie sich sehr gefreut?
Klar. Weil ja das genau der Punkt ist, bei dem Frauen häufig die Legitimation abgesprochen wird. Nach dem Motto: Was will die mir den Fussball erklären? Gerade in Deutschland ist diese Meinung schon ziemlich verbreitet. Mann hört eine Frau am TV und denkt sich: Warum erklärt die mir jetzt eine abkippende Sechs. In Deutschland habe ich das schon häufiger mitbekommen, in der Schweiz tatsächlich gar nicht. Ich weiss nicht, ob das an der Kultur liegt. Ob die Schweizer generell einfach ein bisschen höflicher sind, selbst wenn sie haten.
Sie waren lange Fussball-Profi. Nun kommentieren Sie seit gut zwei Jahren. Ist es für Sie klar, dass Sie künftig voll darauf setzen?
Im Moment ist es mein Beruf. Und ich wüsste auch gerade nichts anderes. Also ich wüsste schon viele Sachen, die ich machen könnte. Aber zeitlich würde das nicht funktionieren. Meine Mutter hat kürzlich gesagt: «Schön so! Vielleicht kannst du ja einfach mal von der Routine, die jetzt irgendwann einkehrt, profitieren.» Ich bin schon eine Person, bei der immer was Neues aufploppt. Und wenn mich jemand fragt: Kannst du dir das vorstellen? Dann sage ich eigentlich immer ja.
Zum Beispiel?
Kannst du dir vorstellen, sportliche Leiterin zu werden? Ja, probiere ich aus. Trainerin? Ja, warum nicht. Lehrerin? Ja klar! Moderatorin? Auf jeden Fall. Kommentatorin? Nö, Moment, das war ja so lustig. Weil Kommentatorin wollte ich zunächst auf gar keinen Fall werden!
Warum das denn?
Da wurde mir nahegelegt, ich soll nochmals gut nachdenken. Für mich war klar: egal, wie gut ich es mache – ich kriege auf den Sack! Und ich weiss, am Anfang wird es nicht so gut sein. Weil ich erst mal reinkommen muss. Ein Fussballspiel kommentieren, das ist ja wirklich der Endgegner-Job im Medienbereich. So komplex. Und subjektiv bewertet. Ich wusste, es werden Leute sagen: Rinast, ey, coole Socke! Aber andere auch: Rinast? Ne, die nervt total!
Und davor hatten Sie Respekt?
Ich bin schon relativ resistent. Aber es gibt nur wenige Menschen, die sagen: ist mir völlig egal, was andere über mich denken. Und da gehöre ich nicht dazu. Es geht mir schon auch nahe, wenn mich dann jemand richtig kritisiert.
Sie haben Claudia Neumann erwähnt. Ist es auch Ihr Traum, den Champions-League-Final zu kommentieren?
Das ist kein konkreter Traum von mir. Ich sage nicht: Nach dem Champions-League-Final habe ich alles erreicht. Ich finde, jedes Spiel hat seinen Reiz. Das hört sich vielleicht etwas kitschig an. Aber es ist so. Egal, welches Spiel ich gerade kommentiere, ich freue mich darüber. Nottingham – Bournemouth, Crystal Palace – Leeds, ich fühle das alles genauso sehr, weil mein Herz so stark für den Fussball schlägt.
Diese intrinsische Motivation braucht es doch für so einen Job!
Genau. Und nochmals zurück zum Champions-League-Final. Wenn mich jetzt jemand fragen würde, gäbe ich zur Antwort: nein! Gerade jetzt will ich das auf keinen Fall kommentieren.
Weil?
Ich finde schon, es gibt Stufen, die man erreichen muss. Ich habe mich in diesen zwei Jahren weiterentwickelt. Aber bis jetzt ging es einfach nur hoch, hoch, hoch. Ich kommentiere Premier League, das Frauen-Nationalteam der Schweiz, Länderspiele. Ich bin schon ganz hoch eingestiegen. Und jetzt darf ich gerne erstmal auf diesem Plateau bleiben und mich festigen. Weil sonst kann es so schnell, wie es hochgegangen ist, auch wieder runtergehen. Und das will ich auf keinen Fall.
Wie wäre es denn, wenn Sie neben Sascha Ruefer auch das Schweizer Männer-Nationalteam begleiten dürften?
Mitkommentieren? Das würde ich nie verneinen. Sascha Ruefer ist eine lebende SRF-Legende. Jeder kennt ihn. Er ist DER Kommentator bei SRF, überhaupt in der Schweiz. Darum würde ich nie nein sagen, weil das wäre eine riesige Ehre. Und das würde ich mir jetzt auch zutrauen. Es ist nur die Frage: Warum sollte ich? Ruefer bekommt dann und wann Unterstützung von Experte Beni Huggel, der das gut macht und Einblick ins Team hat. Zudem: Calvin Stettler und ich haben fast 50:50-Redeanteil. Keine Ahnung, wie das wäre mit Sascha Ruefer.
Tauschen Sie sich aktiv mit Ruefer aus?
Er hat sich bei mir gemeldet. Vor der EM bekam ich auch noch ein, zwei lobende Worte von ihm. Überhaupt kann ich sagen, dass er stets sehr unterstützend war und ist. Ich könnte ihn immer fragen, wenn ich irgendwas wissen möchte. Ich habe es bis anhin nicht gross getan, weil ich erst mal selbst auf die Strecke kommen wollte. Aber er wäre der Letzte, der nicht unterstützen würde. Im Gegenteil. Und er hat ja jetzt auch eine kleine Tochter, oder? Ich habe irgendwie das Gefühl, das setzt noch einmal etwas frei. Im Sinne von: «Wenn meine Tochter einmal Kommentatorin werden möchte, dann wäre es doch schön, wenn ihr eine andere schon mal den Weg geebnet hätte …»
Ich merke, Sie müssen Ihren Humor in der Schweiz manchmal schon erklären…
Der deutsche Humor ist schon noch einmal anders, ja. Und meiner besonders. Ich mag mal einen bösen Witz zwischendurch. Und auch Ironie und Sarkasmus. Wobei, die Sache mit der Ironie musste ich beim Kommentieren auch lernen. Ich habe einmal bei einer roten Karte nach einem Horror-Foul gesagt: «Nö, das war jetzt nix.» Als Feedback hörte ich dann: «Du hast gesagt, da sollte es keine rote Karte geben – wie kannst du das so einordnen?» Und ich dachte mir nur: hä?! Das war ja offensichtlich ironisch. Nein, funktioniert nicht. Ironie muss ich weglassen.
Ganz loslassen vom aktiven Fussball können Sie noch nicht. Sie spielen noch beim FC St. Pauli in der Regionalliga.
Das hatte ich eigentlich nicht mehr vor. Ich wollte einfach noch eine Saison ausklingen lassen, um das St. Pauli-Trikot zu tragen, weil ich seit klein St. Pauli-Fan bin. Ich dachte mir, ich möchte den Frauenfussball ein bisschen unterstützen. Das hat sich alles ein bisschen komplizierter herausgestellt, als ich dachte, dass es sein müsste. Aber das ist ja auch immer mein Thema. Es könnte doch alles viel einfacher sein!
Was hat Sie enttäuscht?
Ich sage es mal so: Ein Verein, der mit solchen Werten wirbt und prahlt – das tönt jetzt richtig fies – aber ich bin schon enttäuscht, dass es keinen professionellen Frauenfussball gibt bei St. Pauli. Der Verein wäre doch dafür prädestiniert. Es ist alles ein bisschen kompliziert. Wir sind ein Team bestehend aus lauter Amateuren. Leider derzeit auf dem letzten Platz klassiert – auch wenn wir viel weiter oben stehen sollten. Ich warte schon auf den Moment, wo es dann heisst: Zuerst aber mal Leistung zeigen, bevor die Forderungen kommen. Oder: Wir haben keinen Platz. Wir haben kein Geld. Das waren schon die Sätze vor 10, 15 Jahren. Ich kann die nicht mehr hören. Das ist ermüdend.
Die grosse Frage rund um die Schweizer Nati lautet jetzt: Soll der Vertrag mit Nationaltrainerin Pia Sundhage verlängert werden oder nicht. Ihre Meinung?
Ich muss sagen, ich bin da relativ neutral.
Gut Schweizerisch eben.
Wobei das ja überhaupt nicht typisch ist für mich. Ich könnte einfach beides verstehen. Die Erklärung dazu: Ich finde, Pia Sundhage hat eine unglaubliche Aura, Ausstrahlung und auch Ruhe. Kombiniert mit ihrem grossen Erfahrungsschatz. Ich mag auch, wie sie sich gibt mit den Medien. Sie ist nahbar, direkt und konkret in ihren Antworten. Ich würde aber auch verstehen, wenn der Verband den Weg mit einer frischen und jungen Person gehen möchte.
Als ehemalige Nationalspielerin haben Sie sicher einen guten Draht zu den wichtigsten Spielerinnen …
Klar, ich bin noch befreundet mit einigen Spielerinnen, aber was hinter den Kulissen passiert, das bekomme ich nicht mit. Das will ich auch nicht. Wir reden nicht über sowas.
Wirklich nicht? Warum?
Ich weiss, dass aus journalistischer Sicht Dinge hinterfragt werden sollten. Und meine Kontakte zu Spielerinnen können natürlich einen Mehrwert darstellen. Aber ich bin kein Fan von Tratschen. Und ich möchte die Freundschaften vom Professionellen trennen. Worüber ich natürlich gerne rede mit den Spielerinnen, sind sportliche Fragen. Ein Beispiel: Erklär mir mal, was der Plan hinter der Nominierung von Iman Beney als Aussenverteidigerin ist.
Die Fussball-EM der Frauen hat eine Euphorie in der Schweiz ausgelöst. Für Sie als ehemalige Nationalspielerin: Mussten Sie sich manchmal kneifen, das erleben zu dürfen?
Auf jeden Fall. Ich hatte das Gefühl, alle Schweizerinnen und Schweizer stehen komplett hinter dieser EM und der Schweizer Nati. Das habe ich auch an kleinen Dingen festgestellt. Wenn plötzlich in Cafés oder Restaurants Flyers aufliegen, wo die Nationalspielerinnen beschrieben sind. Ich dachte vor der EM: Das wird ganz bestimmt super. Ich bin dann aber ins Zweifeln gekommen. Zum Glück hat mich mein ursprüngliches Gefühl nicht getäuscht – die Schweiz war die perfekte Gastgeberin.
Wie kann man diese Euphorie in die Zukunft retten?
Es gibt immer diese Momente, wo Menschen zusammenkommen und sich vereint fühlen. Genau das ist passiert. Und ich glaube, dass man nun diese Welle surfen kann und muss, um etwas zu bewirken. Weil die EM gezeigt hat: Doch, es interessiert die Leute – wenn die Möglichkeit da ist, die Spiele zu sehen und die Geschichte der Schweizerinnen zu verfolgen.
Die Frage ist aber: Interessiert es auch so sehr, ob es genug Trainerinnen und Infrastruktur für 8-jährige Mädchen gibt, die gerne Fussball spielen möchten.
Genau. Und das ist jetzt auch die Verantwortung der Vereine und des Fussballverbands, dieses Interesse zu schaffen. Ich glaube, das Interesse ist da. Und ich möchte übrigens explizit auch keine Männer ausschliessen, die sich im Frauenfussball engagieren möchten – go for it! Aber ich sehe ein anderes Problem.
Nämlich?
Ich habe das Gefühl, dass die Bürokratie noch etwas gross ist. Thema Trainerinnen-Ausbildung. Die Hürden für all die Diplome, die es braucht, sind manchmal zu hoch. Gerade, wenn es Personen betrifft, die nebenan noch arbeiten oder studieren. Ich verstehe, dass der Weg grundsätzlich seine Richtigkeit haben muss. Aber es darf auch einmal auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden, wenn dadurch ein Trainer- oder Trainerinnentalent unterstützt wird.
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