Christian Zimmermann lebt im solothurnischen Flumenthal und reist gerne. Sein letztes grosses Projekt war eine «Wanderung» von Darwin nach Adelaide. Der Stuart Highway führt da über 3059 Kilometer mitten durch das Outback. Vier Monate war der 49-Jährige unterwegs. Die Route von Norden nach Süden wählte er absichtlich, denn so hatte er die Sonne meist im Rücken.
Christian Zimmermann, du hast ein Einkaufswägeli durch Australien geschoben. Wie kommt man auf so eine Idee?
Christian Zimmermann: Ich suchte nach einem aussergewöhnlichen Projekt. Ich mache zwar viele Reisen in mir unbekannte Länder, aber während der letzten zehn bis zwölf Jahre blieb es bei «allgemeinen Unterfangen».
Warum gerade zu Fuss durch Australien?
Es ist mein Lieblingsland. Ich war schon dreimal dort, zuletzt allerdings vor 17 Jahren. Australien stand deshalb schon länger zuoberst auf der Liste. Einmal fuhr ich mit dem Velo 10'000 Kilometer durchs Land, einmal war ich mit dem Auto unterwegs. Zu Fuss zu gehen, blieb als einzige Option übrig.
Okay. Das leuchtet fast noch ein. Aber jetzt nochmals: Warum das Einkaufswägeli?
Ich wusste von Anfang an, dass ein Rucksack nicht geht, das wäre zu schwer. Es musste etwas mit Rädern sein. Ich studierte an einem Kinderwagen rum und an irgendwelchen anderen Gefährten. Dann kam mein Bruder mit der glorreichen Idee: Nimm doch einen Einkaufswagen, den kann man überall für zwei Franken «mieten».
Und, war die Idee so glorreich, wie von deinem Bruder angekündigt?
Es funktionierte tiptop. Klar, bei Gegenwind und wenn die Strasse ansteigt, musst du schon schieben, um 120 Kilogramm vorwärts zu bringen. Aber Probleme hatte ich nie.
Dann bist du also nach Darwin geflogen, hast im Supermarkt ein Wägeli «gemietet» und bist losgelaufen?
Nein, das Wägeli aus einem Supermarkt mitnehmen, war die letzte Option. Ich fand eine kleine Bude, welche Transportgeräte wie Einkaufswagen an Grossverteiler verkauft. Die haben mir eines geschenkt. Und wir nahmen noch minime Anpassungen vor: Etwas breitere Räder aus massivem Vollgummi, eine verbreiterte Achse und eine dünne Metallplatte oben drauf.
Was hattest du an Gepäck dabei?
Wie gesagt waren dies bis zu 120 Kilogramm. Neben meiner Campingausrüstung, Kamera und Kleidern nicht viel. Wasser konnte ich bis zu 30 Liter transportieren. Ich wollte – oder musste auch – als Selbstversorger unterwegs sein.
Hat das geklappt?
Ja, bis auf ein Mal. Im Norden waren die Etappen von Ort zu Ort 80 bis 90 Kilometer, was etwa drei Tagesmärschen entspricht. Gegen Süden wurden die Strecken zwischen den nächsten Verpflegungsmöglichkeiten länger, die grösste Distanz waren 250 Kilometer. Ich konnte Proviant für sieben bis acht Tage laden. Auf dieser Rekordetappe musste ich einmal um Wasser fragen, was mir ein Paar, das mit einem Camper unterwegs war, aber sofort gab.
Dann war die Versorgung eigentlich geregelt. Was war die grösste Herausforderung?
Die Hitze. Ich lief bei teilweise 34 Grad im Schatten. Dazu kam die hohe Luftfeuchtigkeit. Nach 15 Minuten bist du völlig durchgeschwitzt. Dazu kam der Staub. Und natürlich musst du vier Monate «alleine» sein können. Ich wusste allerdings von meinen vorherigen Reisen, dass ich das kann.
Was hast du gegen die Hitze gemacht?
Oft lief ich um 4 Uhr morgens los, als es noch kühler war. Dann gönnte ich mir über Mittag rund vier Stunden Siesta, um der grössten Hitze auszuweichen.
Der Verkehr war kein Problem? Man hört immer wieder Geschichten von Roadtrains auf dem Stuart Highway.
Nein, eigentlich nicht. Die Strasse ist immer geteert. Zudem siehst du die Fahrzeuge schon von weit her kommen. Ich lief immer auf der rechten Strassenseite, also dem Verkehr entgegen. Wenn ich merkte, dass mich der Fahrer nicht sieht, konnte ich noch frühzeitig ausweichen.
Es gab nie eine brenzlige Situation?
Doch. Einmal merkte ich nicht, dass von hinten auch ein Auto kam. Der Fahrer des Wagens, der mir entgegen kam, bremste kein bisschen und raste mit über 100 km/h an mir vorbei.
Er fluchte und zeigte mir die geballte Faust. Ich tat es ihm gleich. Da stand er auf die Bremse und drehte um. Er fuhr neben mir her, liess die Scheibe runter und hat wirklich geschaumt. Er warf mir die gröbsten «Schlötterli» an den Kopf. Ich reagierte nicht und lief einfach weiter. Nach zwei Minuten hatte er genug und liess mich alleine.
Was war neben dem Verkehr die brenzligste Situation?
Einmal kam einer zu mir und erzählte mir am Strassenrand zwei Stunden lang die wildesten Geschichten. Seine Frau sei die grösste Mörderin Australiens und habe auch ihn mit einem Pulver vergiften wollen. Nach zwei Stunden drückte er mir 100 Seiten seines angeblichen Manuskripts in die Hand. Er wolle darüber ein Buch schreiben. Wir verabschiedeten uns und ich lief weiter. Aber nach etwa 30 Minuten wurde mir total schlecht, mir wurde kalt und heiss. Da schoss es mir durch den Kopf: Vielleicht war er der Mörder und hat am Manuskript auch ein Pulver eingeschmiert. Ich schlug mein Zelt auf, ass etwas und hatte zum Glück Nachbarn, die auch campierten. Es ging mir zwar schnell besser, aber ich sagte den beiden: «Wenn morgen um 9 Uhr mein Zelt noch dasteht, schaut mal rein, ich bin dann vermutlich tot.»
Du scheinst überlebt zu haben.
Ja, zum Glück. Ich weiss nicht, ob das wirklich einen Zusammenhang hatte mit dem Typen, vielleicht war es auch einfach, dass ich zwei Stunden mit ihm in der Sonne stand.
Und eine positive Begegnung?
Da gibt es unzählige. Fast täglich hielten Leute an und fragten, was ich mache. Ich war dann auch als «Trolley man» bekannt. Oft hatten andere Reisende oder Einwohner schon von mir gehört. Einmal kreischte eine junge Frau vor Glück, als sie mich in einem Restaurant erkannte. Sie war mit ihrer Kollegin unterwegs und sie hatten mich einige Male gesehen, aber nie anhalten können. Beim Nachtessen wurde ich von den beiden dann mit Fragen gelöchert.
Wann hast du gewusst, dass du tatsächlich von Nord nach Süd durch Australien laufen kannst?
So etwa nach zwei Wochen. Der Anfang war brutal hart. Ich hatte Blasen an den Füssen und musste Ruhetage machen. Aber dann macht es irgendwann im Kopf «klick». Wenn die Autofahrer dich in der Einsamkeit laufen sehen, wollen sie dir immer helfen oder dich mitnehmen. Du musst einfach stark sein und immer ablehnen. «Gring abe u düre», nicht zu viel studieren. Irgendwann gewöhnen sich der Kopf und der Körper an die Strapazen. Je länger die Tour dann dauerte, desto mehr konnte ich es geniessen.
Kamst du nie an die Stelle, an welcher du aufhören wolltest?
Nein. Ich lief rund 30 bis 40 Kilometer täglich. Nie hatte ich am Morgen das Gefühl «Oh scheisse, itz muess ig wieder go tschumple». Eigentlich war es bald einmal so, wie wenn ich einfach zur Arbeit gehe. Andere steigen ins Auto, ich laufe halt 40 Kilometer.
Hattest du dich eigentlich speziell vorbereitet?
Nein, nicht wirklich. Ich schob also nicht hier in der Schweiz ein Einkaufswägeli vor mir her. Ich gehe zweimal die Woche joggen und würde mich als grundsätzlich fit bezeichnen.
Würdest du so ein Projekt Nachahmern empfehlen?
Auf jeden Fall. Die Erfahrung ist einmalig. Du musst eigentlich nur gesund sein und Zeit haben. Für jemanden mit etwas Übergewicht ist das eine super Möglichkeit, um abzunehmen. Ich hatte mir zuerst 3 bis 4 Kilo angesetzt und war am Ende 10 Kilogramm leichter. Und das, obwohl ich während vier Monaten «gfrässe wie nä Sou han», wenn ich das auf Berndeutsch so sagen darf.
Was nimmst du aus dem Projekt mit?
Man muss immer Tag für Tag schauen. Sich grosse Ziele zu setzen, macht keinen Sinn. Hätte ich am ersten Tag die ganze Australien-Karte ausgebreitet, ich hätte grad wieder aufgehört. Aber ich setzte mir kleine Ziele wie den nächsten Znünihalt oder eine runde Kilometerzahl. Die sind erreichbar und irgendwann hast du das Ganze geschafft. Das kann man auch im Berufsleben gebrauchen.
Was geschah eigentlich mit dem Einkaufswägeli, nachdem du in Adelaide angekommen bist?
Ich konnte es nicht da lassen. Es bedeutet für mich viel mehr als ein Stück Metall. Ich hatte unterwegs mit dem Wagen gesprochen und es wurde von Schülern auf «Misses Molly the Shopping Trolley» getauft. Ich liess es via Singapur und Hamburg verschiffen. Jetzt steht Molly in meiner Garage in Flumenthal und wartet auf das nächste Abenteuer. Aktuell plane ich, 2019 zu Fuss nach Moskau zu wandern.