Marco Streller, nach der Niederlage haben Sie gefordert, dass jeder Einzelne sich hinterfragt. Sie selber mit eingeschlossen. Was ist bei Ihnen dabei heraus gekommen?
Marco Streller: Ich habe mich gefragt: Was habe ich falsch gemacht? Was kann ich besser machen? War es zu viel Bewegung im Kader im Winter?
Und, waren es zu viele Wechsel im Winter?
Abschliessend kann man das erst im Sommer sagen. Aber man muss auch sehen, dass es gewisse Momente und Möglichkeiten gibt. Wenn du einen Fabian Frei im Winter holen kannst und es wirtschaftlich machbar ist, musst Du zuschlagen. Zudem war uns bewusst, dass es möglich ist, dass wir im Sommer Führungsspieler verlieren könnten. Dann brauchst du ein Gerüst, auf dem du aufbauen kannst. Mit Fabi und Valentin Stocker haben wir genau diese zwei Führungsspieler holen können, von denen wir wissen, dass sie die nächsten Jahre funktionieren werden.
Aber jetzt tun sie das noch nicht, trotz riesiger Vorschusslorbeeren.
Die Frage ist doch, was von einem Spieler erwartet wird und ob er Zeit kriegt. Aber die kriegt man in Basel nicht. Das ist klar. Nach dem ersten Spiel gab es schon die volle Dosis Kritik. Aber ich bin hundertprozentig überzeugt, dass sie uns in Zukunft noch viel Freude bereiten werden. Ob das auch kurzfristig der Fall sein wird, wird sich zeigen.
Wäre es nicht möglich gewesen, einen erst im Sommer zu holen?
Es ist kein Wunschkonzert. Wir haben uns im September, als es nicht lief, Gedanken gemacht. Dann waren natürlich diese beiden Namen schon auf dem Tisch. Aber, und das ist auch klar: Wäre Renato Steffen nicht gegangen, hätten wir Vali erst im Sommer geholt, weil es sonst keinen Sinn gemacht hätte. Auch wenn das geheissen hätte, dass er noch ein halbes Jahr mehr ohne Spielpraxis ist. Aber dann hat es sich ergeben, wir haben handeln müssen und hatten Fabi schon zu diesem Zeitpunkt. Am Ende haben wir beide aus Überzeugung geholt. Genauso wie Samuele Campo. Der hat unglaubliche Fähigkeiten, das ist wirklich sensationell. Aber das sind mittel- bis langfristige Projekte. Alle drei.
Kommuniziert wurde aber, Stocker, sei ein 1:1-Ersatz für Steffen.
Das ist er aber nicht. Sonst hätte er sofort dieselben Leistungen bringen müssen, wie das Steffen getan hat. Nur ist Stocker weit davon entfernt, auch, weil er noch nicht bei 100 Prozent ist. Das gibt er selber zu. Es ist hypothetisch und müssig, sich zu überlegen, ob man mit Renato gewonnen hätte oder nicht. Und man muss auch sehen, dass Vali der Spieler war, der fast an jeder gefährlichen Aktion beteiligt war.
Dennoch: Hat man Steffens Einfluss vielleicht unterschätzt und ihn zu leicht hergeschenkt?
Renato hat etwas ganz Spezielles. Er ist ein «giftiger Siech», das braucht es in einer Mannschaft. Aber ich bin überzeugt, dass Vali diese Lücke sehr kurzfristig füllen kann. Und hergeschenkt haben wir Renato nicht. Hinzu kommt, dass wenn ein Spieler 26 ist, ins Ausland will und das in jedem Gespräch sagt, er ein Angebot hat und sich bewusst ist, was er dort verdienen kann, es die Bundesliga ist und es womöglich seine letzte Chance für einen Wechsel ist, dass es dann schwer ist, ihn davon abzuhalten. Und ein unzufriedener Spieler hilft dir am Ende auch nicht weiter. Dann hatten wir am selben Tag die Chance, einen Spieler ablösefrei zu holen, von dem du weisst, wozu er fähig ist. Dann finde ich ist das Risiko überschaubar.
Nur hat es sich bis jetzt nicht ausbezahlt.
Das ist Ihre Meinung.
Es wirkt, als wären Stocker und Frei momentan noch zu beschäftigt mit sich selber. Kann das gefährlich werden?
Ich habe das auch durchgemacht, als ich zurückgekommen bin. Meine erste Saison war sehr gut, dafür die zweite katastrophal. Sie sind beide nicht hergekommen, um gleich zu sagen, wo es durchgeht. Auch wenn ich das in Zukunft von ihnen verlange. Intern geben wir ihnen Zeit. Druck ist aber immer da. Das muss man beim FCB aushalten können. Sie mussten sich bewusst sein, dass sie bei Manchen als erstes schuld sind, wenn es nicht läuft. Nur: Fabi stand gegen St.Gallen nicht auf dem Platz.
Da darf man sich auch fragen, wieso.
Wäre er in Form und die Führungsperson, die er sein will, wäre er auf dem Platz gestanden. Vielleicht braucht man auch mal einen Moment Zeit.
Er sagt aber, er sei von der ersten Sekunde an bereit.
Das ist sein Anspruch und ich mag Menschen, die selbstbewusst sind.
Als die Transfers von Stocker und Frei bekannt wurden, haben Ihnen viele Menschen auf die Schultern geklopft. Kamen jetzt schon die dummen Sprüche?
Ich kann all diese Reaktionen einschätzen. Wir wollten Spieler holen, die wissen, was es bedeutet, für diesen Club zu spielen. Der Vorwurf, die Rückkehren von Vali und Fabi seien nur unserer Freundschaft geschuldet, ist aber falsch. Damit hat das null Komma null zu tun. Das war ein einstimmiger Entscheid der Technischen Kommission.
Oder ein von Fussballromantik geleiteter Entscheid und Weg?
Wir haben genug Fussball-Fachwissen in unserer Technischen Kommission. Das könne Sie mir glauben. Und abgesehen davon haben wir für diesen Weg die Zustimmung der Mitglieder bekommen. Mittlerweile haben wir 12 Spieler aus dem eigenen Nachwuchs. Wenn man Identifikation will, muss man auch Geduld haben.
Apropos Geduld: Die hatte Manuel Akanji nicht. Wieso hat man es bei ihm nicht wie bei Breel Embolo damals geschafft, ihn trotz Wechselwunsch im Winter bis im Sommer zu halten?
Auch, da es Ihr ausdrücklicher Wunsch war, dass er bleibt. Das ist richtig. Aber wenn die Konstellation passt und es der Wunsch des Spielers ist, kann ich noch lange sagen, dass wir Angebote aus England haben und er bleiben soll. Unsere Forderungen wurden erfüllt und so ist das Geschäft.
Aber vielleicht war es zu viel des Guten mit den Wechseln.
Das kann ich Ihnen im Sommer sagen.
Sie hätten Akanji ja auch im Sommer noch für 20 Millionen verkaufen können.
Und was, wenn er sich verletzt? Es gibt zu viele Faktoren. Wäre er geblieben, hätte gegen Manchester City gespielt, wäre der Marktwert eventuell zusammengefallen. Ob wir aber nur wegen ihm gewonnen hätten, bei allem Respekt vor seiner Qualität, weiss ich nicht. Aber man muss auch das ganze Bild sehen: Auch mit Léo Lacroix müssen wir Schweizer Meister werden können. Ich wusste, dass wir wohl nur noch zwei internationale Speile haben würden. Und für die Meisterschaft ist das Kader gut genug.
Raphael Wicky sagt gar, die Mannschaft sei qualitativ besser als jene 2017. Der Beweis dazu fehlt aber noch.
Die Mannschaft funktioniert noch nicht so wie 2017. Hinzu kommt, dass mit Eder Balanta der Innenverteidiger, auf den wir ganz grosse Stücke halten, zurzeit ausfällt. Aber ich vertraue denen, die auf dem Platz stehen. Renato ist für mich 1:1 ersetzt, Samuele bringt Kreativität und Fabi Persönlichkeit. Und wenn alle wieder auf ihrem Niveau spielen, haben wir mehr Qualität. Das sehe ich gleich wie Raphi.
Was sind denn die Gründe für die Krise?
Ich sehe momentan Spieler, die zu viel machen wollen. Die wollen die Welt retten. Das ist schön und gut, aber manchmal muss man sich einfach auf das Wesentliche konzentrieren. Darauf müssen wir uns wieder besinnen.
Und doch wirkt es, als hätte man den Fussball von Raphael Wicky in der Winterpause verlernt. Wie erklären Sie sich das?
Wir sind nicht so schlecht wie im Spätsommer, aber auch nicht so gut wie im letzten Herbst. Aber es bringt nichts, darüber zu reden. Wir müssen einfach ruhig bleiben. Auch wenn das nicht einfach ist.
Also ist es noch nicht so weit, dass Sie gewisse Dinge bereuen? Es ist immer so (hebt den Arm ganz nach oben) oder so (streckt den Arm nach unten). Du machst eine unglaublich gute Arbeit oder drei Wochen später sieht alles anders aus. Nichts dazwischen. Ich werde jetzt einfach ruhig bleiben und im Sommer Bilanz ziehen. Auch von mir selber.
Wie einfach ist es, ruhig zu bleiben?
Ich mache mir viele Gedanken. Als Spieler hast du das Ventil auf dem Platz. Aber meine Entscheidungsmacht endet mit dem Transferschluss. Und dann musst du dich nach 2 Niederlagen aus 3 Spielen erklären. Hast du alles richtig gemacht? Nein, sonst hätten wir ja alle drei Spiele gewonnen. Trotzdem glaube ich an das, was wir entschieden haben.
Das heisst, es ist auch noch zu früh, darüber zu sinnieren, ob die zweite Krise eine zu viel war?
Das wird sich ebenfalls im Sommer zeigen. Immerhin wissen wir bei der zweiten, wie wir uns in der ersten verhalten haben und wie es wieder gut gekommen ist. Im Sport scheint nicht immer die Sonne. Wir müssen unseren Weg konsequent gehen. Und wir sind nicht weit davon entfernt. Die Mischung hat vielleicht noch nicht immer gestimmt bis jetzt. Aber das kann in einem Spiel kippen. Das ist kein Zweckoptimismus, sondern das sage ich aus purer Überzeugung.
Ein Spiel wie heute wäre perfekt dafür.
Genau. Und man kann das erste Mal sagen und es ist wirklich so: YB ist der Favorit.
Schmerzt es, das zu sagen?
Überhaupt nicht. Solange wir weiterkommen, ist mir das egal (lacht). Aber ist einfach ein Fakt. Sie spielen zu Hause, auf Kunstrasen, sie sind Erster, haben 2018 noch kein Spiel verloren. Vielleicht es ist das genau die Situation, die wir brauchen in diesem Moment.
Dennoch hat der FCB viel zu verlieren.
YB aber auch. Es geht jetzt das erste Mal in dieser Saison wirklich um einen Titel. Es ist ein Alles-oder-Nichts-Spiel. Es geht nur ums Weiterkommen. Um eine Finalteilnahme. Wirklich um sehr, sehr viel. Es gibt keine Ausreden mehr. Und das ist sicher auch ein Spiel, das für den weiteren Verlauf der Saison vorentscheidenden Charakter haben kann. Wenn wir gewinnen können, dann könnten wir wieder Druck auf sie machen. Und genau das müssen wir schaffen, dass YB uns nochmal im Nacken spürt. Und dann, und das wissen Sie selber, was für eine Dynamik in dieser Stadt möglich ist. Ich will, dass noch einmal eine brutale Euphorie in dieser Stadt entsteht. Dann werden wir nochmal gefährlich. An diesen Punkt müssen wir hinkommen. Auch wenn sie heute der Favorit sind, wir sind immer noch der FC Basel.
Was, wenn sie verlieren?
Dann ist das erste Ziel futsch und in der Meisterschaft beträgt der Rückstand bei einem Spiel weniger 11 Punkte. Das dürfte die Moral brechen. Das darf nicht passieren. Auch wenn wir ausscheiden sollten, müssen wir unser Ding bis im Sommer durchziehen. (auf den Tisch klopfend) Wir müssen in der Meisterschaft jedes Spiel gewinnen. Das ist einfach Fakt. Egal, wie das heute ausgeht. Das müssen wir hinkriegen. Und nicht aufgeben.
Einfacher gesagt als getan.
Ja, aber diese Saison ist nun einmal nicht einfach.
Was spricht denn in der Liga noch für den FCB?
Der Rückstand war zu diesem Zeitpunkt noch nie so gross. Das ist richtig. (Überlegt lange) Klar ist, wir können es nicht mehr aus eigener Kraft schaffen. Wir müssen sie in den Direktbegegnungen zwei Mal schlagen und dürfen uns sonst keine Ausrutscher mehr leisten. Gelingt uns das, dann kann es nochmal ganz eng werden.
Sie sind sich also sicher, dass es noch reicht?
Ja. Wäre ich das nicht, müsste ich aufhören.
Nährt sie in diesem Glauben der Gedanke an 2009, als man ebenfalls mit einer Pleite gegen YB in die Saison startete, im Winter 13 Punkte Rückstand hatte, diesen wett machen und am Ende der Titel geholt werden konnte?
Diese Gedanken sind sicher da. Bei YB ist das im Kopf noch weit hinten. Aber sobald wir die Direktduelle gewinnen können, der Rückstand auf fünf oder später zwei Punkte schmilzt, dann werden auch sie wieder an die Vergangenheit denken.
Erzählen Sie den Spielern, die das grösstenteils nicht miterlebt haben, davon?
Natürlich. Ich habe ihnen gesagt: «Boys, it’s not over». Das mache ich immer wieder in Einzelgesprächen.
Planen Sie eine Motivationsrede in der Kabine für heute, wie das Bernhard Heusler vor dem Cupfinal gegen Sion getan hat?
Als Verantwortlicher, der nicht im Staff ist, hast du in meinen Augen eine Chance, um vor die Mannschaft zu stehen. Nur eine. Und die will ich noch nicht jetzt nutzen.
Wann dann?
Das entscheide ich aus dem Bauch heraus. Die Kabine ist sowieso das Hoheitsgebiet des Trainers. Also muss es mit Raphi abgesprochen sein. Aber wenn ich das Gefühl habe, dass jetzt der Zeitpunkt ist, dann schaue ich das mit ihm an. Du musst aber den richtigen Moment erwischen. Aus meiner Erfahrung weiss ich aber, dass die Jungs heiss genug sind auf das heutige Spiel. Da braucht es mich nicht.
Geben Sie einen Tipp ab für das Spiel?
Nein, ich tippe nicht. Aber es ist auch völlig egal, Hauptsache, wir kommen weiter.
Und wenn nicht?
Ich beschäftige mich nicht mit Niederlagen.
Das erste Ziel wäre aber verpasst und das zweite ist weit weg. Haben Sie sich mit dem Gedanken befasst, der Sportchef sein zu können, unter dem die Meisterserie reisst?
Mir war im Sommer bewusst, dass es einfacher ist, mit YB Meister zu werden als mit dem FCB. Von ihnen haben alle erwartet, dass sie Zweiter werden, bei und wäre es das eine Tragödie. Ich hasse es, zu verlieren, aber die Welt würde nicht unter gehen. Das gehört zum Leben und zum Fussball dazu. Dass irgendwann der Tag kommt, an dem ein anderes Team Meister wird und der FCB nicht, das wussten wir. Ob das in diesem Jahr ist oder erst später, wird sich zeigen. Aber mit diesem Szenario haben wir uns natürlich auseinander gesetzt im Zuge des grossen Umbruchs im Sommer. Konkret daran denken will ich aber noch nicht.
YB konnte die Mannschaft im Winter zusammen halten. Kann das zum entscheidenden Unterschied werden?
Es ist vielleicht einfacher, Spieler vom Verbleib zu überzeugen, wenn man eine einmalige Chance auf einen Meistertitel hat, als wenn man einen zu halten versucht, der schon zwei Mal Meister geworden ist. Wenn das am Ende den Ausschlag gibt, dann habe ich etwas daraus gelernt.
Es aber teuer bezahlt.
Ich wehre mich, jetzt schon alles in Frage zu stellen. Ich will nicht der sein, der nach acht Jahren nicht Meister wird. Aber ich habe es nur bedingt in den Händen. Wenn wir aber nochmal an sie ran kommen, wird es noch eine lange Saison für sie. (aargauerzeitung.ch)