Zum Abschluss gab es noch einmal einen Rekord. 87'192 Zuschauerinnen und Zuschauer waren im Wembley-Stadion in London beim Final dabei. So eine hohe Zahl gab es bei Europameisterschaften noch nicht einmal bei den Männern. Die Fans sahen, wie Gastgeber England gegen Deutschland 2:1 nach Verlängerung siegte und damit erstmals den EM-Titel gewann.
Es war ein spannendes Endspiel mit vielem, was den Fussball so schön macht. Nebst der eindrücklichen Stimmung und dem Spielniveau gehört auch die Diskussion um einen umstrittenen Schiedsrichterentscheid dazu, die am Tag nach dem Final noch anhält. Und die Engländerinnen traten mit ihrem Zeitspiel am Ende der Partie den Beweis dafür an, dass es entgegen der häufig verbreiteten Behauptung durchaus unsportlich zu und her gehen kann, wenn das weibliche Geschlecht den Rasen betritt.
Dass England gewonnen hat, ist im Sinne des gesamten Sports. Denn der Titelgewinn wird dem Frauenfussball auf der Insel einen weiteren Schub geben. Schon jetzt gilt die Women's Super League als beste Liga der Welt. Stars wie Sam Kerr, Vivianne Miedema, Lia Wälti und fast alle Engländerinnen um Beth Mead verdienen ihr Geld bei Chelsea, Arsenal oder Manchester United. Eine solche Liga als Zugpferd hilft auch den anderen.
In der Schweiz heisst die Liga ebenfalls Women's Super League, aber damit enden die Parallelen schon beinahe. Wer kann, wechselt früh ins Ausland, wo es wenigstens ein bisschen etwas zu verdienen gibt. Die Klubs verlieren ihre Schweizer Talente, übrig bleiben die weniger guten und die Rückkehrerinnen, die sich auf den Übergang ins Leben nach der Fussballkarriere vorbereiten. Nach dem Vorrunden-Aus der Schweiz an der EM hiess es, sie habe in den vergangenen Jahren ein wenig den Anschluss an die Spitzennationen verloren, beziehungsweise dass anderswo aufgeholt wurde.
Wie sich dies ändern liesse, scheint simpel: mit mehr Geld. So könnten Spielerinnen eher gehalten werden, so würden sie zu einem besseren Niveau beitragen, zu einer Attraktivitätssteigerung der Liga. Dass die Löhne nicht von jetzt auf gleich auf das Level der Männer steigen können, leuchtet jedem mit einem Funken Ahnung ein. Professioneller Sport ist ein Teil der Unterhaltungsbranche und massgebend ist das Interesse des Publikums. Was Zuschauer ins Stadion oder vors TV-Gerät lockt, ist für Sponsoren spannend. Schaut hingegen niemand zu, gibt auch niemand Geld.
Insofern war dieses EM-Turnier ein grosser Schritt. Das SRF zeigte die meisten Spiele live im Fernsehen, viele andere Medien berichteten ausführlich. Sie sorgten damit dafür, dass überhaupt ein Interesse geweckt werden konnte. Einen besseren Steigbügel als diese Europameisterschaften im Mutterland des Fussballs kann es nicht geben.
Vielleicht war es bloss die Arbeit der Regie, aber gerade beim Final sah man im Stadion auffällig viele englische Mädchen jubeln. Sie haben jetzt Idole, zu denen sie aufschauen können. Auf dem Pausenplatz müssen sie nicht mehr zwangsläufig Phil Foden oder Harry Kane nacheifern, sondern können zwischen Chloe Kelly oder Ella Toone wählen. Für jedes Mädchen, das im Wembley dabei war, dürfte klar sein: Der Fussball der Frauen lässt es nicht so schnell los.
Nun sind diejenigen gefordert, die in den Kommentarspalten oder in realen Debatten behaupten, sich nicht mehr für die abgehobene Welt des Männerfussballs zu interessieren und dass sie stattdessen bei den Frauen den «wahren» Fussball entdeckt hätten. An ihnen liegt es, dass der Frauenfussball nicht bis zum Turnier in der Versenkung verschwindet. Dazu müssen sie auch im Liga-Alltag die Frauen-Spiele schauen, die ihnen so viel bedeuten. Müssen Freunde davon überzeugen, einmal mitzukommen. Steter Tropfen höhlt den Stein.
Gefordert bleiben zudem die Vereine. Wenn das Frauen-Team mehr als ein Anhängsel sein soll, das gut fürs eigene Image ist, müssen Investitionen her. Damit sind nicht einmal unbedingt die Gehälter gemeint. Wieso nicht statt eines Ergänzungsspielers für das Männerteam einen neuen Nachwuchstrainer im Frauenbereich? Wieso kein weiterer Masseur, wieso keine neuen Bälle? Und wieso nicht mehr Partien in einem richtigen Stadion, anstatt auf einem Trainingsplatz?
Der Frauenfussball erlebt gerade eine aufregende Zeit des Aufbruchs. Am 20. August beginnt in der Schweiz die neue Saison, gleich mit der Neuauflage des Playoff-Finals. Servette Chênois hofft auf Revanche gegen den Meister FC Zürich. Dann wird man ein erstes Mal sehen, was von der EM-Euphorie übrig geblieben ist.