Manch ein Anhänger mag enttäuscht sein, dass Roger Federer bei den Swiss Indoors nicht mehr in die Menge winken und sich verabschieden lassen will. Gegenüber CH Media hatte er erklärt, er würde das emotional gar nicht schaffen. Für ihn ist die Geschichte in Basel zu Ende geschrieben. Sie begann als Balljunge und endete 2019 nach Höhen und Tiefen mit dem letzten seiner 103 Turniersiege. Mit zehn Erfolgen ist er auch Rekordsieger. Es ist Federers Wunsch, dass in Basel dieses Bild als Spieler haften bleibt.
In Halle liess sich Federer für eine Ehrung einspannen, in Wimbledon zeigte er sich als Balljunge, im letzten Herbst spielte er in Tokio Rollstuhl-Tennis. Für viele ist es nicht nachvollziehbar, dass der Baselbieter dafür zur Verfügung steht, aber ausgerechnet in Basel nicht dazu bereit ist, sich zu verabschieden. Die Kritik ist nicht völlig unberechtigt. Seine Tränen haben Federer nie geschadet, sondern machten ihn nahbar. Weshalb also fürchtet er die Emotionen bei einem kurzen Auftritt in der St. Jakobshalle?
Aber der Verdacht, Federer wolle Turnierdirektor Roger Brennwald keine Bühne bieten, ist konstruiert. Beide sind vernünftig genug, zu erkennen, dass es nicht um persönliche Befindlichkeiten geht, sondern um das Schweizer Tennis, um die Swiss Indoors, die Fans und einen Dank an die Zuschauerinnen in Basel. Daran ändert auch nichts, dass Brennwald am Tag, an dem Federers Absage an eine mögliche Verabschiedung öffentlich wurde, auf Anrufe von CH Media nicht reagierte, aber den Tamedia-Zeitungen sagte, für ihn sei das Thema seit dem letzten Jahr abgeschlossen.
Federer stand lange genug im Mittelpunkt, hat dem Tennis, seinen Fans, den Journalisten viel mehr gegeben als die meisten. Sicher ist das eine oder andere Bedürfnis dabei zu kurz gekommen – vielleicht weniger bei ihm als seinen Liebsten. Jetzt will er die Freiheit zurück, selber darüber zu entscheiden, wann, wie viel und wofür er sich Zeit nehmen will. Und über allem steht die Erkenntnis: Federer ist niemandem mehr etwas schuldig.
Weshalb fällt es vielen so schwer, zu respektieren, dass Roger Federer ein neues Kapitel aufschlagen und Distanz zum Tennis gewinnen will?
«Die letzten 24 Jahre waren ein unglaubliches Abenteuer. Auch wenn es sich manchmal so anfühlt, als wären nur 24 Stunden vergangen, so waren sie doch auch so tiefgreifend und magisch, dass es mir vorkommt, als hätte ich bereits ein ganzes Leben gelebt», sagte Federer bei seinem Rücktritt.
Doch Roger Federer ist erst 41-jährig und will nun nur eines: Zeit, um herauszufinden, welche Richtung er seinem Leben geben will. Geben wir ihm diese Zeit. Sie ist das kostbarste Gut, von dem wir alle zu wenig haben.
Wer argumentiert, Federer würde es nicht schmerzen, in Basel noch einmal auf den Platz zu laufen, in die Menge zu winken und ein paar Worte an die Zuschauer zu richten, mag damit nicht unrecht haben. Doch es ist eine einseitige, egoistische Sicht, die Federers Empfinden ignoriert. Dazu kommt: Wer will schon gerne dauernd für Leistungen geehrt werden, die in der Vergangenheit liegen, von der man sich lösen will?
«Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden», schrieb der dänische Philosoph Søren Kierkegaard. Federer hat diesen Satz schon als Sportler verinnerlicht, wenn es darum ging, den Blick nach Niederlagen nach vorne zu richten. Eine Fähigkeit, für die ihn viele bewunderten. Respektieren wir seinen Wunsch, das nun auch als Privatperson zu tun. Denn schuldig ist er niemandem etwas. Auch in Basel nicht. (aargauerzeitung.ch)
Punkt.
Danke für alles RF!