Die Geschichte klingt derart plausibel, man kann sich kaum anderes vorstellen, als dass sie sich genau so ereignet hat. Da ist ein Sportler, der sich mit bald 34 Jahren auf der Zielgeraden seiner Laufbahn befindet. Stets musste dieser Sportler im Schatten einer Überfigur leben, die ihn fast immer besiegte.
Er wurde zum «ewigen Zweiten» und damit kann nicht jeder gleich gut umgehen wie Raymond Poulidor, der in Frankreich gerade deshalb zum ewigen Velo-Idol wurde, weil er es so oft versuchte und es ihm doch nie gelang, die Tour de France zu gewinnen.
Im Versuch, sich im Herbst der Karriere doch noch zur ganz grossen Nummer aufzuschwingen, greift dieser Sportler zu Doping, weil alle legalen Möglichkeiten nicht ausreichen, um die Spitze zu erklimmen. Die vielleicht letzte Chance will er packen: Nach drei WM-Silbermedaillen in den letzten drei Jahren sollen endlich Gold und das Regenbogentrikot des Weltmeisters her.
Diese Annahme ist wohl die naheliegendste Erklärung für das, was am späten Donnerstagabend öffentlich wurde. Ob sie richtig ist, wird sich weisen. Die Meldung kam einen Tag, bevor Mathias Flückiger in München an den Start des Mountainbike-Rennens an den Europameisterschaften gegangen wäre. Dieses Timing ist eine weitere Prise Dramatik, die diesen Dopingfall würzt.
Dazu kommt vor allem die Geschichte jüngst auf der Lenzerheide. Beim Weltcuprennen im Bündnerland lag Nino Schurter, der «Roger Federer des Mountainbikes», vor Flückiger in Führung, als dieser kurz vor der Ziellinie und abseits der TV-Kameras zu einem riskanten Überholmanöver ansetzte.
Beide Schweizer stürzten. Im Ziel, wo sie deshalb nicht die Ränge 1 und 2 belegten, sondern die Plätze 3 und 4, kam es daraufhin zum handfesten Streit und in der Folge zu einem Shitstorm gegen Flückiger. In den Augen der breiten Öffentlichkeit war Olympiasieger Schurter der «Gute», während dem ewigen Zweiten Flückiger die Rolle des «Bösen» zugewiesen wurde.
Von Mathias Flückiger gibt es noch keine Erklärung zu seinem positiven Dopingtest. Bis auf Weiteres wolle er nicht Stellung nehmen, teilte Swiss Cycling mit. Der Verband steht seinem Athleten bei. Es gehe darum, den Menschen Flückiger zu unterstützen.
Dieses Hilfsangebot ist löblich. Sehr vieles war zuletzt auf den Oberaargauer eingeprasselt. «Das tat weh», gab Flückiger in einem Interview über die Nachrichten, die er nach dem Zoff mit Schurter erhielt, zu. Er könne damit zwar umgehen, führte er aus, aber es gebe viele Menschen, die solche Angriffe nicht einfach wegstecken könnten. «Solche Kommentare können Menschen bis in den Abgrund treiben», betonte Flückiger.
Ganz cool liess ihn der Vorfall auf der Lenzerheide allerdings wohl doch nicht. Flückigers Psyche sei schon vor dem Bekanntwerden des Dopingfalles belastet gewesen, sagte der Geschäftsführer des Verbands. Flückigers Team als Arbeitgeber suspendierte ihn bis auf Weiteres.
Die entdeckte Substanz Zeranol wird laut den Schweizer Dopingjägern praktisch nur in der Viehzucht verwendet. Hatte der Mountainbiker kontaminiertes Fleisch gegessen? Er wäre nicht der erste Sportler, der sich nach einer positiven Probe darauf berufen würde.
Der Mountainbiker hat, wie jeder erwischte Sportler, die Möglichkeit, die Untersuchung einer B-Probe zu verlangen. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung. In der überwältigenden Mehrzahl aller Fälle kommen A- und B-Proben zum gleichen Ergebnis, das ist ein Fakt.
Selbst wenn ausgerechnet der Fall Flückiger eine Ausnahme bilden sollte: Die Öffentlichkeit ist gnadenlos. Der Sportler wird die Doping-Geschichte nicht mehr loswerden. Dieser Schatten wird ihn verfolgen. Dabei hatte Mathias Flückiger doch den grossen Traum, dass auch er einmal das strahlende Sonnenlicht geniessen darf.
Die Zuschauerzahlen gehen zurück und das öffentliche Interesse schwindet. Dazu ziehen sich auch viele Sponsoren bzw. potentielle Sponsoren zurück und diese Gelder fehlen den Athleten.
Ich finde diese Entwicklung sehr bedauerlich.