GC in Finanznot. Eine der grossen, kuriosen Geschichten, die nur der Sport schreiben kann. Eine der traditionsreichsten, berühmtesten Fussball-Firmen Europas steckt in der Welthauptstadt des Fussballs (in der Stadt, in der die FIFA ihren Sitz hat) in finanziellen Schwierigkeiten. Das ist ungefähr so, wie wenn einem königlichen Tankstellenbesitzer in Katar der Sprit ausgeht.
Aber es ist, wie es ist. Und ein weiteres Kuriosum: Kein Vertreter der Zürcher Geldaristokratie präsidiert GC. Sondern ein erfolgreicher Architekt und Generalunternehmer aus dem oberaargauischen 15'000-Seelen-Städtchen Langenthal. Aus der (von Zürich aus gesehen) tiefsten Provinz.
Dabei passt GC wie kaum ein anderer Sportverein zur konservativen Zürcher Wirtschaftswelt. Die vornehme NZZ hat den GC-Vorsitzenden und -Mitbesitzer denn auch schon maliziös als den «guten Menschen» aus dem Oberaargau bezeichnet. Das tönt nicht nach Respekt.
Die Frage ist letztlich: Will bzw. kann Stephan Anliker mittel- und langfristig bei GC auch noch den Part von Heinz Spross als Mäzen übernehmen? Ein Mäzen ist eine Person mit Geld, die eine Institution wie beispielsweise ein Fussball- oder Eishockey-Unternehmen unterstützt, ohne eine direkte Gegenleistung zu verlangen. Will bzw. kann Stephan Anliker notfalls jährlich wiederkehrend Millionenbeträge «à fonds perdu» ins Fussballgeschäft einschiessen? In eine Fussballfirma wie GC, die unter einem strukturellen Defizit leidet, das in Millionen gemessen wird? Im Grunde in ein Fass ohne Boden?
Nach einem Rundgang durch Langenthal und ein paar Tassen Kaffee mit Gewährsleuten neigt der Chronist zur Ansicht: Eher nicht. Es gibt eine ganz unpolemische Einschätzung aus der Fachliteratur, die uns sagt, dass Stephan Anlikers Sparbuch wahrscheinlich eine Nummer kleiner ist als jenes von Heinz Spross. Das Wirtschaftsfachmagazin «Bilanz» führt in der Liste der 300 reichsten Schweizerinnen und Schweizer die Familie Spross mit 250 bis 300 Millionen Vermögen. Stephan Anlikers Namen finden wir in der Liste der 300 reichsten helvetischen Personen nicht.
Formell ist Stephan Anliker ja immer noch Präsident der Hockeyfirma SC Langenthal. Auch wenn die Übernahme des Vorsitzes durch den bisherigen Geschäftsführer Gian Kämpf aufgegleist ist – die wirtschaftliche Existenz des SC Langenthal hängt weiterhin an Stephan Anliker. Im nächsten Spätherbst steht eine wichtige Volksabstimmung auf dem Weg zu einem neuen Stadion auf der Traktandenliste. Soll die gewonnen werden, muss der SCL sportlich rocken.
Zwar wird das Wort «sparen» offiziell sorgsam vermieden. Aber in der Hockeyszene verdichtet sich der Eindruck, dass die Langenthaler, die zu Recht als Hockey-Vorzeigeunternehmen gelten und mit einem Budget von 4,2 Millionen Franken für die 1. Mannschaft in der Swiss League operieren, die Kosten reduzieren wollen. Sparen beim Hockeyverein im Dorf, aber investieren beim maroden Fussballclub in Zürich? Das wäre politisch wahrlich keine kluge Strategie.
Stephan Anliker hat Langenthal in den letzten 20 Jahren architektonisch ganz wesentlich mitgestaltet. Ein politisch einflussreiches Amt hat er hingegen nie angestrebt. Für die Politik fehlt ihm die diplomatische Geduld. Das ist einer der Gründe, warum der Stadion-Neubau in Langenthal nach wie vor an den Turmbau zu Babel mahnt.
Als Unternehmer kann Anliker noch so erfolgreich sein – Schlagzeilen und Storys über finanzielle Schwierigkeiten «seiner» Fussballfirma GC, gar in der in Wirtschaftskreisen so einflussreichen NZZ, kann er sich eigentlich nicht leisten. Sie sorgen auch im eigenen Dorf für den Schwefelgeruch des Versagens.
Wäre Stephan Anliker als GC-Vorsitzender und Mitbesitzer der wahre Stephan Anliker, dann könnte er mit ziemlicher Sicherheit «aufräumen» und GC erfolgreich sanieren. Aber das Fussballgeschäft kennt der ehemalige Spitzen-Leichtathlet nicht von Grund auf. Er ist Einflüsterern und Beratern ausgeliefert, deren guten Rat er teuer bezahlt.
Wer dieses charismatische Alphatier privat kennt, wer ihn schon bei Auftritten im Zusammenhang mit «seinem» SC Langenthal gesehen hat, reibt sich verwundert die Augen, wenn er Stephan Anliker in der Rolle als GC-General erlebt. Hat er zum Frühstück Kreide «gefressen»? Hat ihm jemand Valium in den Morgen-Kaffee geschüttet? Steht er unter Amtsvormundschaft? Im Rahmen seiner öffentlichen Fussballauftritte ist zu spüren: Hier steht er nicht auf sicherem Grund und Boden wie daheim in Langenthal. In dieser Rolle ist er nicht authentisch.
Eigentlich wäre für GC der sportliche Abstieg ein finanzieller Segen. Dann wäre ein Neubeginn, eine Neujustierung bei vielen Verträgen und eine Reduktion des strukturellen Defizits möglich. Eigentlich. Aber im Fegefeuer der Eitelkeiten mag auch Stephan Anliker nicht als Abstiegspräsident in die zwinglianische Fussball-Historie eingehen. Er kann der Eitelkeitsfalle nicht entrinnen. Und die GC-Profiteure reiben sich die Hände.