Die ARD hat es wieder getan. Kurz vor den Olympischen Winterspielen in Peking im Februar strahlte der Fernsehsender eine Dokumentation aus, in der sich der frühere Skirennfahrer Felix Neureuther kritisch mit dem Grossanlass auseinandersetzte. Am Montag folgte die Fortsetzung zur Fussball-WM in Katar, diesmal mit Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger.
Es war in beiden Fällen eine kluge Wahl. Neureuther und Hitzlsperger gehören zu den seltenen Sportlern, deren Blickfeld weiter reicht als bis zur Tor- oder Ziellinie. Der Fussballer ist zudem schwul, wobei er sich erst nach seiner aktiven Karriere geoutet hatte. Es ist einer der Gründe, warum sich Hitzlsperger mit der Endrunde im Emirat Katar schwertut.
Der Film mit dem Titel «Katar – warum nur?» ist dennoch bloss zum Teil gelungen. Irritierend ist die moralisierende Tonalität, die auch im Titel anklingt. Es stimmt, Katar ist homophob und frauenfeindlich. Man kann von «Geburtswehen» einer archaisch-patriarchalischen Gesellschaft sprechen, die direkt aus dem Mittelalter in die Moderne katapultiert wurde.
Es ist eine Erklärung, aber keine Entschuldigung. Das gilt erst recht nicht für den Umgang des Emirats mit seinen «Gastarbeitern», von denen womöglich Tausende auf Baustellen für die WM ums Leben kamen. Selbst wenn sich einiges gebessert haben sollte, bleibt es erbärmlich, dass ein schwerreiches Land wie Katar seine Arbeitskräfte so mies behandelt.
Die Bilder, die Thomas Hitzlsperger aus dem bitterarmen Nepal, dem Herkunftsland vieler Arbeiterinnen und Arbeiter, mitgebracht hat, sind die eindrücklichsten seines Films. Es gibt weitere Gründe, warum die Weltmeisterschaft in Katar ein Unding ist. Der kleine Wüstenstaat hat keinerlei Fussballtradition, das Turnier dient einzig der Imagepolitur.
Der Zeitpunkt im «Winter», wenn tagsüber dennoch über 30 Grad herrschen werden, wie Naticoach Murat Yakin im «Sportpanorama» etwas perplex festgestellt hat, ist ein weiterer irritierender Aspekt. Aber nicht nur aus diesen Gründen hält sich meine Lust auf die (zu) vielen Spiele in Katar (Japan – Costa Rica anyone?) in sehr engen Grenzen.
Dabei habe ich seit der WM 1974 in Deutschland jedem Turnier entgegengefiebert und möglichst jeden Match verfolgt. Später war ich für einige Zeit Sportjournalist. In dieser Funktion war ich nie an einer WM, aber 2006, erneut in Deutschland, habe ich die einmalige Stimmung des legendären «Sommermärchens» mehrfach vor Ort miterlebt und aufgesogen.
Ich habe den Fussball und besonders die Weltmeisterschaft immer geliebt. Doch bei meiner Beschäftigung mit Katar habe ich etwas irritiert festgestellt, dass in den letzten Jahren eine schleichende Entfremdung stattgefunden hat. Ich verfolge die Super League und den FC Zürich, aber mit dem Fussball auf höchster Ebene kann ich immer weniger anfangen.
Der Fisch stinkt vom Kopf her, also vom Weltfussballverband FIFA auf dem Zürichberg. Er hat sich im Laufe der Jahre von einer bescheidenen und «armen» Organisation zu einem Milliardenkonzern entwickelt, der von der Schweiz dennoch wie ein «Chüngelizüchterverein» behandelt wird. Eine Schlüsselrolle spielte der schillernde Walliser Sepp Blatter.
Ich kenne ihn recht gut und habe ihn mehrfach getroffen, auch zum Interview. Er hat als Generalsekretär und Präsident die FIFA gross und reich gemacht, aber auch das korrupte System etabliert, in dem sich gierige Funktionäre wie Jack Warner und Ricardo Teixeira schamlos bedienen konnten. Und das alles nur zur Absicherung von Blatters Macht.
Er selbst hat sich vermutlich nie bereichert, und er war tatsächlich überzeugt, dass seine Winkelzüge und Machenschaften einzig dem Wohl des Fussballs dienten. Denn man hatte bei Sepp Blatter, dem einstigen und mässig begabten Stürmer beim FC Visp, trotzdem das Gefühl, dass sich tief in seinem Innern ein Rest Fussballromantik erhalten hatte.
Bei seinem Nachfolger Gianni Infantino sind nicht einmal Spurenelemente zu erkennen. Ihm geht es nur um Macht und Geld. Der Sport ist reines Mittel zum Zweck. Das Bekenntnis zu Reformen, das er bei seinem Amtsantritt treuherzig abgelegt hatte, ist vergessen. Infantino ist bei der FIFA mehr Alleinherrscher, als es Blatter jemals war.
Seine seit 2016 präsentierten Pläne dienen einzig dazu, immer noch mehr Geld aus dem Fussball herauszuholen. Dazu gehören eine aufgeblasene Klub-WM und eine globale Nations League, finanziert durch dubiose Investoren. Dazu gehört die Aufstockung der WM-Endrunde auf 48 Teams und die Halbierung des Zyklus von vier auf zwei Jahre.
Es ist ein schwacher Trost, dass Gianni Infantino mit diesen fragwürdigen Ideen (vorerst) gescheitert ist. Nur die WM mit 48 Mannschaften, die zu einer weiteren Verwässerung und einem konfusen Spielplan führen dürfte, wird 2026 Realität. Und es ist schwer vorstellbar, dass der «andere» Walliser seine Pläne einfach so begraben wird.
Seinen Wohnsitz hat Gianni Infantino nach Katar verlegt. Und eine WM in China – wo denn sonst? – ist ein weiteres Ziel des FIFA-Präsidenten. Der Fussball wird immer mehr zur Geldmaschine, ohne Rücksicht auf Spieler und Fans. Das ist nicht nur die Schuld des Weltverbands. Auch die Entwicklung im Klubfussball ist zunehmend bedenklich.
Klubs, vor allem in England, werden von Oligarchen und Ölscheichs gekauft. Geld spielt keine Rolle. Das führt zu einer grotesken Wettbewerbsverzerrung. Im US-Profisport gibt es Mechanismen, die für einen gewissen Ausgleich sorgen. Im Weltfussball gibt es nichts dergleichen. Das Financial Fairplay der UEFA ist nicht viel mehr als ein zahnloser Papiertiger.
Es ist einer der Gründe, warum ich mit dem Fussball zunehmend «fremdle». Und ich überhaupt keine Lust auf die WM in Katar verspüre. Schon die Winterspiele in Peking im Februar habe ich nicht ganz, aber weitgehend boykottiert. Und dabei nie das Gefühl gehabt, ich hätte etwas verpasst. Sport ist halt doch eine – an sich schöne – Nebensache.
Vielleicht schalte ich ein, wenn die Schweiz wider Erwarten gut abschneiden sollte. Und vielleicht werde ich beim Final schwach. Aber ehrlich gesagt: Wann haben wir das letzte Mal ein wirklich gutes WM-Endspiel gesehen?
Vor allem die CL ist für mich komplett fremd und uninteressant geworden. Wo sich früher legendäre Klubs und Spieler sich die Stirn boten, sind jetzt mit “Stars” zusammengewürfelte Teams (die gefühlt jede Saison zum Erzrivalen wechseln) ohne Tradition, Herzblut oder Treue zu den Fans. Ganz zu Schweigen von Spielern die ihre ganze Karriere bei dem einem Klub gespielt haben.
Auch wenn auf technischer und athletischer Ebene der Fussball wahrscheinlich so gut wie noch nie ist.