Ein 44-jähriger Grossvater ist die letzte Hoffnung eines verzweifelten NFL-Teams
Anfang November führten die Indianapolis Colts die AFC, eine der beiden Conferences der NFL, mit sieben Siegen aus acht Partien noch an. Die Stimmung war hervorragend, die Colts sahen sich als Anwärter auf den Super Bowl und fädelten einen Mega-Trade für Star-Verteidiger Sauce Gardner ein. Es war aufgrund des hohen Preises ein grosses Risiko, das die Colts eingingen.
Einen guten Monat später ist der Plan von Indianapolis, in dieser Saison all-in zu gehen und auch in Zukunft mit Daniel Jones als Quarterback konkurrenzfähig zu sein, wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Von den letzten fünf Partien gewannen die Colts nur noch eine, nach aktuellem Stand wären sie nicht in den Playoffs dabei.
Doch nicht nur der Fall in der Tabelle sorgt für gedämpfte Stimmung. Cornerback Gardner verletzte sich im vorletzten Spiel an der Wade, aktuell ist unklar, wann er zurückkehren wird. Und am vergangenen Wochenende zog sich auch Quarterback Jones eine Verletzung zu. Bei der schmerzhaften Niederlage gegen Division-Konkurrent Jacksonville riss die Achillessehne des 28-Jährigen, der wohl nicht nur den Rest dieser Saison verpassen wird.
Der neue Hoffnungsträger trat vor 5 Jahren zurück
Weil die Colts ihre Erstrundenpicks in den nächsten beiden Drafts im Gardner-Trade an die New York Jets abgetreten haben, tun Niederlagen doppelt weh. Je mehr sie davon sammeln, desto besser sind nämlich ihre Picks – die nun den Jets gehören. Als nach Jones am Montag auch noch Ersatz-Quarterback Riley Leonard gesundheitliche Probleme beklagte, befand sich Indianapolis deshalb in einer verzweifelten Position. Das einstige Supertalent Anthony Richardson ist nämlich noch immer nicht von seiner Augenverletzung kuriert.
Also riefen die Verantwortlichen um General Manager Chris Ballard und Trainer Shane Steichen bei einem alten Bekannten an: Philip Rivers. Der 44-Jährige spielte seine letzte Saison 2020/21 für die Colts, zuvor spielte er 16 Jahre in San Diego und Los Angeles für die Chargers, woher er auch Steichen kennt. Der heutige Colts-Head-Coach arbeitete dort als Offensivkoordinator und pflegt seither eine gute Freundschaft zum vier Jahre älteren Rivers.
Rivers hat zehn Kinder und ist schon Grosspapa
Nachdem Rivers die Colts zu elf Siegen aus 16 Spielen geführt und in der 1. Playoff-Runde in Buffalo den Sieg nur knapp verpasst hatte, trat er im Januar 2021 zurück. Seit fast fünf Jahren hat er also nicht mehr professionell American Football gespielt. Stattdessen arbeitete er als Trainer an einer Highschool in Alabama, wo er zuletzt auch seinen Sohn Gunner, ebenfalls Quarterback, coachte. Rivers hat nicht nur neun weitere Kinder, sondern gar schon ein Enkelkind, das seine älteste Tochter Halle Ende 2024 auf die Welt gebracht hat.
Aufgrund der prekären Situation auf der Quarterback-Position dachten Ballard, Steichen und Co. nun trotzdem an Grosspapa Rivers. Die Alternativen sind rar – Trades sind zu diesem Zeitpunkt der Saison nicht mehr erlaubt. Ausserdem kennt Philip Rivers die Offense von Steichen sowie die Organisation der Colts. An seinem 44. Geburtstag erschien er am Montag zum Probetraining und wurde am nächsten Tag mit einem Vertrag ausgestattet. Vorerst gehört er zwar nur zum sogenannten Practice Squad, nimmt also nur an den Trainings, nicht aber an den Spielen teil. Doch kündigte Coach Steichen an, dass Rivers schon an diesem Wochenende spielen könnte. Dadurch würde er direkt zum ältesten aktiven NFL-Profi.
Gegenüber ESPN äusserten mehrere Mitarbeiter des Teams ihr Staunen über Rivers' Verfassung im ersten Training. Natürlich sei er nicht in Matchform, aber: «Er kann den Ball immer noch werfen», heisst es aus dem Team. Eine andere Quelle sagt über den Spielmacher, der schon immer einen starken Arm hatte: «Ich bevorzuge ihn auch in seiner jetzigen Verfassung gegenüber den meisten 22- oder 23-jährigen Ersatzquarterbacks.»
Einer der besten Quarterbacks der Geschichte
Dass der selbstbewusste und für seinen Trashtalk – stets frei von Fluchwörtern – bekannte Rivers selbst daran glaubt, nach wie vor auf höchstem Niveau zu bestehen, scheint ausser Frage. Im Sommer erklärte der Mann mit den sechstmeisten Touchdown-Pässen (421) und den siebtmeisten Pass-Yards (63'440) der NFL-Geschichte: «Ich bin ein wenig schwerer als früher, aber ich könnte noch immer ein Spiel absolvieren. Womöglich bräuchte ich am nächsten Morgen einen Rollstuhl. Aber, ja, ich kann noch immer ein bisschen spielen.»
Grandpa Phil slinging the rock 🚀 pic.twitter.com/rtZ9vavBzu
— NFL (@NFL) December 9, 2025
Star-Receiver Michael Pittman Jr., der in seiner Rookie-Saison bereits mit Rivers gespielt hat, äusserte in der NFL-Show «Up & Adams» zwar seine Überraschung über die Verpflichtung, sagte aber auch: «Wenn es einen Typen gibt, der so etwas schafft, ist es definitiv er.» Der 28-Jährige glaubt noch immer an die Titelchancen seines Teams: «Wir sind noch am Leben.»
Um diese Chancen nicht sterben zu lassen, zählen die Colts nun auf einen 44-jährigen Opa. Rivers bringt die Erfahrung aus zwölf Playoff-Spielen mit, von denen aber sieben verloren gingen. Um die Playoffs zu erreichen, müssen die Colts zuvor wohl noch zwei der vier verbleibenden Regular-Season-Spiele gewinnen. Angesichts der verbleibenden Gegner – Seattle, San Francisco sowie die Division-Konkurrenten Jacksonville und Houston – wird dies eine schwierige Aufgabe.
«Es ist einer dieser Momente, in denen sich eine Tür öffnet und du entweder hindurchgehst und herausfindest, ob du es tun kannst, oder davon rennst», sagte Rivers über seine Rückkehr zu den Colts. Und er ist keiner, der davon rennt, da macht das bisschen Zusatzgewicht im Vergleich zu seinen besten Zeiten auch nichts aus. Zumal er ohnehin nicht genau weiss, wie viel er wiege. Der 1,96-m-Mann will jetzt herausfinden, ob er es noch drauf hat.
