259'000 Follower hatte Eileen Gu vor den Olympischen Spielen von Peking auf Instagram. Mittlerweile ist die Zahl auf 1,2 Millionen angewachsen. Kein Wunder: Zweimal Gold und einmal Silber holte die 18-jährige Ski-Freestylerin und erfüllte damit die in sie gesteckten, übergrossen Erwartungen in der Heimat ihrer Mutter vollauf.
Die Tochter einer Chinesin und eines Amerikaners wurde in den USA geboren, startet aber bei Olympia für China und geriet damit schon vor den Spielen in den Konflikt der Supermächte. In China als neue «Schneekönigin» verehrt, wird sie in den USA als «Verräterin» und «Opportunistin» abgestempelt.
Doch Gu versucht, sich so gut wie möglich aus den politischen Ränkespielen herauszuhalten. «Ich möchte den Sport nutzen, um Menschen zusammenzubringen und die Freundschaft zwischen Ländern zu fördern», sagte sie nach ihrer ersten Goldmedaille. Doch ganz so einfach ist das leider nicht. Nach den Spielen kehrt Gu in die USA zurück, wo sie neben dem Sport als Model arbeitet. Im Herbst tritt sie dann in die Fussstapfen ihrer Mutter und beginnt ein Studium an der renommierten Stanford University.
Ein aufstrebender Stern am Eiskunstlauf-Himmel war Kamila Valieva vor Olympia: Als frischgebackene Europameisterin reiste die 15-jährige Russin nach Peking, wo das Supertalent ihr Land im Teamwettkampf mit einer historischen Kür gleich zu Olympia-Gold führte. Als erste Frau hatte sie bei den Olympischen Winterspielen gleich zwei erfolgreiche Vierfachsprünge gezeigt.
Doch schon kurz danach geriet die Welt des Eiskunstlauf-Wunderkinds total aus den Fugen: Vor dem Einzelwettkampf kam ans Licht, dass Valieva bereits im Dezember positiv auf das verbotene Herzmittel Trimetazidin getestet wurde, und die Teenagerin stand plötzlich im Mittelpunkt eines juristischen Hick-Hacks und der kompletten Weltöffentlichkeit.
Zwar kriegte Valieva für den Einzel-Wettkampf eine provisorische Starterlaubnis, doch die 15-Jährige hielt dem riesigen Druck nach dem tagelangen Doping-Wirbel nicht stand. Nach dem Kurzprogramm noch in Führung liegend, patzte sie in der Kür gleich mehrfach und verliess unter Tränen das Eis. Aus dem erhofften Olympiasieg wurde nichts, Valieva wurde gar nur Vierte.
Zum Abschluss gab es mit dem Viertelfinal-Aus im Teamwettkampf zwar eine leise Enttäuschung, diese konnte die herausragende Bilanz der Schweizer Alpinen allerdings nicht trüben. Mit neun Medaillen, fünfmal davon Gold, sorgten sie für die beste Ausbeute an Olympischen Spielen der Geschichte. Alle Trümpfe von Swiss Ski stachen in den Tagen von Yanqing ausnahmslos – und jede Geschichte war schöner als die nächste.
Da waren zunächst Beat Feuz und Lara Gut-Behrami, die mit Olympiagold in Abfahrt bzw. Super-G ihre grossen Karrieren krönten. Dann Marco Odermatt, der im Riesenslalom dem riesigen Druck standhielt und bei widrigsten Bedingungen zu Gold fuhr. Schliesslich bestätigten Corinne Suter und Michelle Gisin mit ihren Triumphen in Abfahrt und Kombi eindrücklich, dass sie wie geschaffen sind für Grossanlässe.
Wendy Holdener verpasste zwar die angestrebte Einzel-Goldmedaille erneut und war deshalb kurzzeitig untröstlich, mit Slalom-Bronze und Kombi-Silber schloss die Schwyzerin aber in Sachen Anzahl gewonnener Olympia-Medaillen zur Schweizer Rekordhalterin Vreni Schneider auf. Beide haben nun fünf Medaillen auf dem Konto, wobei Schneider mit 3-1-1 gegenüber 1-2-2 noch die etwas bessere Bilanz hat.
Vor den Winterspielen in Peking waren sich alle einig: Über Mikaela Shiffrin werden nach der Schlussfeier alle reden. In allen fünf Einzel-Disziplinen gehörte die 26-jährige Amerikanerin zu den Favoritinnen auf eine Medaille – fast überall gar auf Gold.
Doch statt zur grossen Abräumerin wurde Shiffrin in Peking zur tragischen Figur. Im Riesenslalom schied die 73-fache Weltcupsiegerin bereits nach wenigen Toren aus, wodurch sie ihr Selbstvertrauen komplett verlor. Von Selbstzweifeln und Albträumen geplagt, schied Shiffrin auch im Spezial- und im Kombi-Slalom nach wenigen Toren aus. Im Super-G wurde sie Neunte, in der Abfahrt resultierte Rang 18.
Nach dem verpatzten Kombi zeigte sich Shiffrin im Zielraum schliesslich komplett rat- und emotionslos. «Ich habe keine Erklärung für das, was mir hier in Peking passiert ist. Dreimal so auszuscheiden – das ist mir in meiner Karriere noch nie passiert. Ich verstehe es nicht und ich habe auch keine Emotionen mehr, um mich darüber zu ärgern», so das Resümee ihrer Spiele.
Für einmal ging Olympia-Gold auf den Eisschnelllauf-Langstrecken der Männer nicht an die erfolgsverwöhnten Niederlande – obwohl Doppel-Olympiasieger Nils van der Poel einen Namen hat, hinter dem jeder sofort einen Oranje-Läufer vermutet. Zu Recht: Van der Poels Grosseltern waren während des Zweiten Weltkriegs aus der Provinz Groningen nach Skandinavien geflüchtet. Der 25-Jährige fiel in Peking aber nicht nur durch seine gute Ausdauer und seinen «falschen Namen» auf, denn van der Poel sorgte neben dem Eis gleich zweimal mit knackigen Aussagen für Furore.
Vor seinem Weltrekord über 10'000 Meter warf van der Poel beispielsweise den Verantwortlichen des niederländischen Teams Korruption vor. Er sprach gar vom «grössten Skandal im Eisschnelllaufen». Gemäss dem Schweden hatte das TeamNL versucht, den kanadischen Eismeister Mark Messer zu beeinflussen, damit dieser das Eis härter präparieren liess. Die Aufregung um manipuliertes Eis war letztlich aber vor allem eines: ein gelungenes Ablenkungsmanöver.
Nach seiner Rückkehr nach Schweden kritisierte van der Poel zudem die Spiele in Peking: «Die Olympischen Spiele sind grossartig, sie sind ein fantastisches Sportereignis, weil sie die Welt vereinen und weil die Nationen sich treffen. Aber ich halte es für äusserst unverantwortlich, die Spiele einem Land zu geben, das die Menschenrechte so eklatant verletzt, wie es das chinesische Regime tut.»
Die Niederländer hatten auf dem Eisrink aber trotz Spielverderber van der Poel viel zu jubeln. Mit Irene Schouten und Suzanne Schulting stellten sie sowohl im Eisschnelllauf als auch im Shorttrack die erfolgreichsten Athleten. Eisschellläuferin Schouten holte zweimal Gold und einmal Bronze, Shorttrackerin Schulting war mit zweimal Gold, einmal Silber und einmal Bronze gar noch erfolgreicher.
Und mit Ireen Wüst sorgte noch eine Kufen-Königin aus den Niederlanden für Aufsehen. Die 35-jährige holte Gold über 1500 Meter und Bronze in der Team-Verfolgung. Damit ist Wüst mit insgesamt 13 Olympiamedaillen (sechsmal Gold) die zweiterfolgreichste Athletin in der Geschichte der Winterspiele nach Norwegens Langläuferin Marit Björgen, die 15 Mal olympisches Edelmetall gewann.
Der Halfpipe-Wettbewerb der Snowboarder hätte seine grosse Krönung werden sollen. Mit 35 Jahren trat Shaun White an, um nach 2006, 2010 und 2018 zum vierten Mal Olympiasieger zu werden. Doch das perfekte Karriereende blieb dem einstigen Snowboard-Wunderkind verwehrt: White sprang nur auf den undankbaren vierten Rang, danach übermannten ihn die Emotionen.
White konnte die Tränen nicht zurückhalten und musste von den Konkurrenten lange getröstet werden. «Es war super emotional», sagte White: «Ich wollte eigentlich nicht weinen. Ich bin auch nicht traurig wegen des Resultats. So ist Snowboarden, das kann passieren.»
Das Bild des weinenden White im Zielraum sprach Bände. Wegen seiner Überlegenheit, aber auch seines sportlichen Alleingangs und extravaganten Lebensstils war der Amerikaner für die Mitstreiter lange nicht greifbar. Erst zum Ende seiner Laufbahn wurde White zugänglich. In China logierte er im gleichen Hotel wie die Konkurrenz, man ass und sass zusammen. «Es hat etwas Schönes. Shaun kommt einem heute sehr dankbar vor. Er sieht sich nicht mehr als etwas Besseres, sondern als Teil der Szene», erklärte der Schweizer Jan Scherrer, der White die Bronze-Medaille weggeschnappt hatte.
Mit Gold über 30 km Freistil im Eiswind von Peking krönte sich Therese Johaug am letzten Olympia-Tag endgültig zur grossen Langlauf-Königin. Zuvor triumphierte die 33-jährige Norwegerin, die in vier Jahren nicht mehr an den Start gehen will, bereits über 10 km klassisch und im Skiathlon über 15 km. Damit hat das «Duracell-Häschen» mit Ausnahme des Sprints sämtliche Einzelwettbewerbe für sich entschieden.
Trotz ihrer langjährigen Dominanz über die grossen Distanzen waren es für Johaug erst die Goldmedaillen zwei bis vier bei Olympia. 2014 stand ihr noch Marit Björgen vor der Sonne, 2018 musste sie wegen einer 18-monatigen Dopingsperre zuschauen.
Auch bei den Männern hätte es übrigens beinahe einen Dreifach-Triumph über die langen Distanzen gegeben. Alexander Bolschunow gewann den Skiathlon und den 50er, musste sich über 15 km klassisch aber vor dem Finnen Iivo Niskanen geschlagen geben. Doch auch der Russe kommt am Ende auf drei Goldmedaillen, weil er im Gegensatz zu Johaug auch mit der Staffel triumphierte.
Die Biathlon-Wettbewerbe der Männer standen ganz im Zeichen zweier Athleten: Johannes Thingnes Bö und Quentin Fillon Maillet. In insgesamt sechs Wettbewerben holten beide fünf Medaillen. Der 12-fache Weltmeister Thingnes Bö hatte dabei aber die etwas bessere Ausbeute und heimste viermal Gold und einmal Bronze ein. Fillon Maillet musste sich mit zweimal Gold und dreimal Silber begnügen.
Thingnes Bö stellte mit seiner Medaillen-Ausbeute die Biathlon-Bestmarke seines Landsmannes Ole Einar Björndalen von Salt Lake City 2002 ein, den Rekord von fünf Goldmedaillen des amerikanischen Eisschnellläufers Eric Heiden von 1980 in Lake Placid verpasste der 28-jährige Norweger aber knapp.
Bruder Tarjei, der in den beiden Peking-Staffeln seine olympischen Goldmedaillen Nummer 2 und 3 holte, hatte den knapp fünf Jahre jüngeren Johannes Thingnes einst zum Biathlon gebracht. Der 75-fache Weltcupsieger wollte eigentlich Fussballer werden, erst mit 18 wechselte er nach einem Probemonat schliesslich zum Biathlon.
Vor vier Jahren in Pyeongchang war er die tragische Figur: Als Topfavorit auf Gold hielt der damals 18-jährige Nathan Chen dem grossen Druck nicht stand und verpatzte sein Kurzprogramm komplett. In der Kür war er dann klar der Beste und schrieb Geschichte, in dem er als erster Läufer sechs Vierfach-Sprünge stand. Das war jedoch angesichts des 5. Schlussranges ein schwacher Trost.
In Peking zeigte Chen, der vor seinen Auftritten jeweils den Rapper Eminem hört und zuerst den linken Schlittschuh anzieht, keine Nerven mehr. Nachdem er das Kurzprogramm mit der höchsten je erzielten Punktzahl von 113,97 Punkten gewonnen hatte, blieb er auch in der Kür nahe an der Perfektion, wobei er sich diesmal mit fünf Vierfachen begnügte.
Mit grossem Vorsprung sicherte er sich endlich das verdiente Olympiagold. Seit der Niederlage in Pyeongchang beendete Chen nur noch einen Einzelwettkampf nicht als Sieger, den Grand Prix Skate America im vergangenen Oktober, wo der dreifache Weltmeister Dritter wurde. Der Triumph von Peking war für Chen nicht nur wegen des standgehaltenen Drucks besonders: Seine Mutter kam in der chinesischen Hauptstadt auf die Welt und ist dort aufgewachsen. Seine Grossmutter lebt noch immer hier.
Mit 16-jähriger Verspätung wurde Boardercrosserin Lindsey Jacobellis doch noch Olympiasiegerin – und das gleich doppelt. 2006 an den Spielen in Turin hatte die heute 36-jährige Amerikanerin bereits eineinhalb Hände an der Goldmedaille, als sie beim zweitletzten Sprung, klar in Führung liegend, einen Grab zeigte und stürzte. Tanja Frieden nützte die Gunst der Stunde und kürte sich zur ersten Olympiasiegerin im Boardercross der Geschichte. Jacobellis blieb zum Trost wenigstens noch der silberne «Plämpu».
Es folgte ein weiteres olympisches Drama für die ansonsten so erfolgsverwöhnte Athletin: 2018 in Pyeongchang lag Jacobellis im Final wieder lange in Führung, ehe sie noch überholt wurde und Bronze im Fotofinish um drei Hundertstel verpasste.
In Peking klappte es nun: Im Einzelwettbewerb fuhr Jacobellis einen souveränen Start-Ziel-Sieg ohne Grab ein und krönte damit ihre lange Karriere. Einen obendrauf setzte sie im Mixed-Wettkampf, wo sie zusammen mit Partner Nick Baumgartner erneut ganz zuoberst auf dem Podest stand.
Weder bei Weltmeisterschaften noch bei Olympischen Spielen hatte Italien vor Peking 2022 eine Curling-Medaille geholt. Nun sind Stefania Constantini und Amon Mosaner im Mixed-Wettkampf gleich Olympiasieger geworden. Keine einzige Partie haben sie auf dem Weg dazu verloren.
Während des Turniers entstand in Italien so eine kleine Curling-Euphorie und nach dem Finalsieg sicherte sich das italienische Duo die Schlagzeilen der Sportzeitungen, welche normalerweise dem Fussball vorbehalten sind. Die «Gazzetta dello Sport» schrieb von einer «unglaublichen Magie», der «Corriere dello Sport» von einer «historischen» und «legendären» Medaille.
Mittendrin als neuer italienischer Fan-Liebling: Gold-Heldin Stefania Constantini. Die 22-jährige Norditalienerin imponierte dem Curling-Publikum vor allem mit ihrer Coolness: Obwohl sie im Gegensatz zu ihrem Partner Mosaner zum ersten Mal bei Olympia dabei war, übernahm sie während des ganzen Turniers die Rolle des Skips und spielte einen Stein am anderen fürs Highlight-Video.
Der 17-jährige Slowake gilt als wertvollster Spieler des Eishockey-Turniers ohne die NHL-Spieler. Mit sieben Treffern führte er die Slowakei als Torschützenkönig zu Bronze. Der 1,93 m grosse und 102 kg schwere Modellathlet wird Ende März volljährig. In diesem Sommer beim Draft, der traditionellen Talente-Aufteilung der NHL, dürfte er als einer der Ersten gewählt werden.