Als sie Wind davon bekamen, dass Vinicius Junior bei der Verleihung des Ballon d'Or leer ausgehen würde, sagten sie den Flug für die 50-köpfige Delegation sofort ab. Die Reaktion von Real Madrid war also gleich die drastisch möglichste. Klubinterne Quellen liessen gegenüber den madrilenischen Zeitungen «Marca» und «AS» verlauten, dass der Ballon d'Or in ihren Augen nicht mehr existiere und dass sich der Klub nicht respektiert fühlte.
Von letzterem kann mit Blick auf die Auszeichnungen eigentlich nicht die Rede sein. So wurde Carlo Ancelotti als Trainer des Jahres und der Klub als Team des Jahres ausgezeichnet. Bei der Wahl zum Weltfussballer besetzten Vinicius, Jude Bellingham und Dani Carvajal die Plätze zwei bis vier – nur der erste Platz ging halt nicht an einen Profi der Königlichen.
Woher sie wussten, dass der 24-jährige Brasilianer im Duell mit Rodri von Manchester City das Nachsehen haben werde, bleibt unklar. So sagte der Chefredaktor von France Football, das den Ballon d'Or verleiht, dass weder die Spanier noch ManCity das Resultat gekannt hätten. «Real Madrid hat Druck auf mich ausgeübt, um zu erfahren, ob Vini gewonnen hat. Vielleicht hat mein Schweigen sie glauben lassen, dass er verloren hat, und deshalb sind sie nicht gekommen», so Vincent Garcia.
Ob die Verantwortlichen der Madrilenen nun auf andere Weise vom Resultat erfuhren oder basierend auf einer Vermutung handelten, eins ist klar: Mit dem Fernbleiben von der Verleihung am Montagabend in Paris schnitt sich Real Madrid ins eigene Fleisch – und zwar in zweierlei Hinsicht.
Einerseits fielen die Reaktionen der neutralen Fans eindeutig aus. Das Verhalten der «Blancos» sei peinlich und eines «königlichen» Vereins unwürdig. In der Schweiz schrieb beispielsweise der «Tages-Anzeiger» vom «Kindergarten von Real Madrid». Der (Nicht-)Auftritt von Präsident Florentino Pérez und Co. kostet in jedem Fall Sympathien. Das dürfte die Verantwortlichen aber nicht gross kümmern. Schreibt Real diese «Wir-gegen-alle»-Mentalität doch gross und zelebriert sie auch.
Mehr schmerzen dürfte den Rekordsieger der Champions League jedoch eine andere Tatsache. Nach der Europameisterschaft berichteten spanische Medien, dass Rodri die absolute Wunschverpflichtung im nächsten Sommer sei. So solle der 28-jährige Mittelfeldspieler aus seinem bis 2027 laufenden Vertrag bei Manchester City losgeeist werden, um in Madrid für Stabilität im Mittelfeld zu sorgen.
Trotz des Kreuzbandrisses, der den besten Spieler der EM für den Rest der Saison ausser Gefecht setzen wird, schien dies nicht unrealistisch. Rodri sei von der Idee eines Wechsels zu Real Madrid durchaus angetan, hiess es damals. Aber ob er das jetzt noch will?
Denn bei aller verständlicher – Vinicius spielte eine hervorragende Saison und war beim Triumph in Liga und Champions League essenziell – Unterstützung für den eigenen Spieler, zeigt Real Madrid mit dem Boykott auch: In ihren Augen ist Rodri kein würdiger Gewinner des Ballon d'Or. Der spanische Rekordmeister lässt dem besten Spieler von Spaniens Europameister-Team gegenüber jeglichen Respekt vermissen. Wohlgemerkt einem Jungen aus Madrid.
Damit verbaut sich der Klub wohl die Möglichkeit, den derzeit besten Spieler auf der womöglich wichtigsten Position im modernen Fussball zu verpflichten. Dabei könnten die Königlichen, die im Mittelfeld nach dem Rücktritt von Toni Kroos nicht dieselbe Dominanz und Spielkontrolle ausstrahlen wie in den letzten Jahren, einen Spieler wie Rodri hervorragend gebrauchen. Der Sechser würde auch den Superstars in der Offensive wie Kylian Mbappé, Jude Bellingham und ironischerweise Vinicius nützen.
Aber scheinbar ist Real Madrid der Ballon d'Or, der für sie «nicht mehr existiert», wichtiger.
Perez und seine weissen Balletttänzer haben da wohl andere Ansichten wenn individuelle Erfolge wichtiger sind als die Würdigung von einem Team als Ganzes. Gott sei Dank kotzt mich dieses Team schon seit immer an.