«Die Parlamentarier haben wieder geschwatzt statt vorwärtsgemacht», sagt der Shuttle-Bus-Chauffeur zu seiner Verspätung. Wir sind auf dem Weg an den schweizerischsten aller Anlässe des Schweizer Nationalsports Jassen. Was liegt da näher als der jährliche SVP-Jasscup? So treffen wir bald in der Sporthalle Güttingersreuti in Weinfelden im Schweizer Jassmekka ein.
Sandro Zappella:
Ich schlängle mich durch den Pulk von Edelweiss-Hemden zur Anmeldung der Jasser mit Nachnamen W-Z. Während die Teilnahmegebühr und der Essensbon mein Portemonnaie um knappe 50 Franken erleichtern, wird mir auch gleich der Tarif durchgegeben: «Der Kindertisch ist da hinten.» Während Reto ein breites Grinsen im Gesicht hat, bin ich bereits jetzt etwas verunsichert, ob ich mein Sackgeld richtig investiert habe.
Reto Fehr:
Margrit ist meine erste Partnerin. Die 85-Jährige strahlt ob ihrem jungen Vis-à-Vis, der nicht mehr an den Kindertisch musste. «Ich komme jedes Jahr. 2010 habe ich gewonnen», sagt sie. Während ich äusserlich anerkennend lache, merke ich, wie sich innerlich ein schwerer Stein auf mein Herz schiebt. Mein Jass-Gewissen hämmert in den nächsten Minuten nur noch ein Mantra: «Jetzt nur kein dummer Fehler.»
Es gelingt meist gut. Nur selten erklärt Margrit: «Hast du gesehen, mit dem Banner im ersten Stich hab ich dir den Trumpf-Puur angezeigt.» – Hmm, nein. Und wenig später: «Dä Puur z’zweite nie spiele.» – Aha. Wir sammeln etwas mehr als 900 Punkte und Margrit holt zum Ritterschlag aus: «Du hast gut gejasst.» Voller Selbstvertrauen gehe ich in die zweite Runde.
Sandro Zappella:
In dem Moment, als ich mich für die erste Runde an den Tisch setze, merke ich, wie etwas gegen unten stürzt. Durchatmen, es ist nur der Altersschnitt, der gerade drastisch gefallen ist.
Bevor meine Rosen in der Hand blühen, stechen mich aber erst mal die Dornen. Denn dass ich der Eindringling in die Gilde der Erfahrenen bin, verdeutlicht mir Gegner Claudio bereits in der ersten Runde: Weil die Karten etwas einseitig verteilt sind und bald niemand mehr Trumpf angeben kann, ist sein Verdacht klar: «Ich dachte, jemand hat einen Fehler gemacht, zum Beispiel du», sagt er und blickt mich dabei mürrisch an.
Reto Fehr:
Die 2. Runde beginnt lahm. Weder wir noch unsere Gegner schreiben jeweils über 100 Punkte. Doch dann kassieren wir einen Match. «So gfallt's mer», jubelt Peter neben mir. Mein Partner Pius und ich lästern, dass er da ja «au dä Chnächt het chönä schicke».
Den Worten lassen wir Taten folgen und antworten bei eigener Ansage mit zwei Matches in Serie. «Da wäredmer gschider go bschütte hüt», murmelt Armin seinem Ostschweizer Kumpel Peter über den Jassteppich. «Bschütte?», frage ich. «Güllnä für dich», zickt Landwirt Peter. Er wird sich bald noch einmal ärgern.
Sandro Zappella:
«Die kann nicht jassen, dafür hat sie immer gute Karten», verrät mir Walter, einer der Gegner, als er meine Partnerin für die dritte Runde an den Tisch kommen sieht. Er muss es wissen, wie viele andere ist es auch für ihn nicht der erste SVP-Jasscup. Werde ich nach zwei guten Runden nun wegen einer Anfängerin ausgestochen? «Ich habe mit ihr schon an so manchen Turnieren gestritten», erzählt mir Walter weiter.
Meine Partnerin jasst dann tatsächlich miserabel, verspielt sogar einen aufgelegten Match. Ich kann es kaum fassen, versuche aber ruhig zu bleiben. Dank unseren guten Karten holen wir zusammen aber trotzdem ordentlich Punkte. Immerhin.
Reto Fehr:
«Hab' mich um zehn Punkte verzählt», motzt Peter und wirft das Stammblatt nach den zwölf Runden hin. «Ihr könnt den Fehler suchen.» Mein Partner Pius zählt nach. Tatsächlich schrieb unser Gegner bei einer Runde 98 Zähler für sich und 69 für uns. Peter sagt: «Dann habt ihr da 10 weniger.» Wir sagen: «Du hast eher falsch gerechnet, weil normalerweise zählen ja die mit weniger.»
Wir einigen uns auf minus fünf Punkte für beide. Wie sich später herausstellen wird, ein Kompromiss, den ich wohl bis an mein Lebensende bereuen werde. Oder bis zum Jasscup 2018.
Sandro Zappella:
Nach weit über drei Stunden jassen ohne Pause ist auch die letzte Runde durch. Ich hole auch mit meinem vierten Partner nochmals mehr Punkte als der Gegner, damit lässt es sich leben. Für ganz nach vorne reicht das leider nicht, ich schaffe es aber unter die besten 25 Prozent aller Teilnehmer. Noch wichtiger: Ich bin nicht nur besser als der Titelverteidiger, sondern auch SVP-Parteipräsident Albert Rösti (mit 3364 Punkten nur auf Rang 304) und vor allem mein Chef Reto sind hinter mir klassiert.
Reto Fehr:
Ja, der Zappella. Ich hätte gegen alle 319 weiteren Teilnehmer problemlos verlieren können. Aber ausgerechnet gegen den Zappella. Wobei: Verloren hab ich ja nur auf dem Papier. Es trennen uns nämlich genau die verschenkten fünf Pünktli.
Weil wir es aber beide in die Top 100 – und als inoffizielle Sieger der Kategorien U40, U30 und Jasser mit Migrationshintergrund – schaffen, gibt's reichlich Preise vom Gabentisch. Man könnte meinen, wir hätten gewonnen.
Doch was zählt schon das Resultat, Margrit wusste es schon ganz zu Beginn, als ich sie fragte, wie sie 2010 den Titel holte: «Da braucht's immer auch Kartenglück.»