Eine der Hauptsorgen der Teilnehmer sind die Parkplätze. In einer Eingabe ans Gericht fragte der Staatsanwalt des Bundes, Thomas Hildbrand: «Steht für die Dauer der Berufungsverhandlung beim Strafjustizzentrum oder im Parkhaus ein Parkplatz zur Verfügung?»
Es geht um die Berufungsverhandlung im Betrugsverfahren gegen die beiden ehemaligen FIFA-Grössen Sepp Blatter, 88, und Michel Platini, 68. Sie findet an einem Ort statt, der ungewöhnlich ist für einen Bundesprozess: Im Justizzentrum in Muttenz BL. Und dort sind offenbar die Parkplätze rar.
In erster Instanz wurden Blatter und Platini im Juni 2022 vom Bundesstrafgericht in Bellinzona freigesprochen: Eine strittige, 2011 vom damaligen FIFA-Boss Blatter ausgelöste Zahlung von 2 Millionen Franken Michel Platini für erbrachte Beratungsdienste war demnach rechtens.
Der Staatsanwalt des Bundes, Hildbrand, und die FIFA unter Blatters Nachfolger Gianni Infantino sahen das anders. Die Bundesanwaltschaft reichte Berufung ein, und Infantino hängte sich mit Anschlussberufung hinten an.
So geht der bizarre Prozess in die nächste Runde. Und noch ist kein Ende abzusehen.
Die Berufungsverhandlung hätte eigentlich, wie es sich gehört, die Berufungskammer am Bundesstrafgericht in Bellinzona führen sollen. Aber deren Präsident Oliver Thormann ist selbst in die Sache verstrickt. Er hatte das Verfahren als Staatsanwalt des Bundes im September 2015 unter nicht geklärten Umständen selbst eröffnet. Im erstinstanzlichen Verfahren musste er dazu als Zeuge und Auskunftsperson aussagen, was aber wenig zur Klärung beitrug. Auf Antrag von Platini schickte das Bundesgericht darauf Thormanns gesamte Berufungskammer wegen Befangenheit in den Ausstand.
Also muss, so sieht es das Gesetz vor, ein aus drei Präsidenten von kantonalen Obergericht bestehendes Sondergericht den Fall beurteilen. Der Spruchkörper wurde ausgelost. Als Präsidenten traf es Roland Hofmann aus Baselland. Daher findet der Prozess in diesem Kanton statt. Das Los traf weiter die Obergerichtspräsidenten Marc Siegwart aus Zug und Thomas Flückiger aus Solothurn.
Thomas Hildbrand ist der Staatsanwalt des Bundes, der das Verfahren führt. Hildbrand stammt wie Sepp Blatter aus Visp im Wallis. Er ist sogar verschwägert mit Blatter, und es verbindet sie auch ein tragischer Vorfall. Hildbrands Schwester war mit einem Cousin von Blatter verheiratet – der Vater dieses Cousins war der Bruder von Blatters Mutter. Das Paar, das zwei Kinder hatte, liess sich nach mehr als 20 Jahren Ehe scheiden. Drei Jahre später starb Hildbrands Schwester bei einem Verkehrsunfall.
Die Tragödie schwingt im Verfahren zumindest unterschwellig mit. Blatter hatte 2019 beantragt, Hildbrand für befangen zu erklären, scheiterte aber. Der Staatsanwalt, der in Österreich lebt, hatte erklärt, er pflege keinen Kontakt zum geschiedenen Ehemann seiner verstorbenen Schwester.
Auf 65 Seiten legt er jetzt in der Berufung dar, warum das erste Urteil aus seiner Sicht falsch ist.
Blatter war ihm schon einmal entwischt. 2010, als es um die Pleite der FIFA-Marketing-Firma ISL ging. Als Staatsanwalt in Zug musste er das Verfahren einstellen. Die FIFA-Chefetage habe von Schmiergeldzahlungen gewusst, schrieb er in die Einstellungsverfügung.
Jetzt steht Thomas Hildbrand vor der letzten Schlacht. Er ist im Pensionsalter und von der Bundesanwaltschaft im Mandat angestellt. Aus dem Familienumfeld von Blatter verlautet, dass der Staatsanwalt im April 2025 seinen 70. Geburtstag feiert. Rund einen Monat nach der Urteilsverkündung in Muttenz, die für den 25. März angesagt ist. Kommt der Fall vor Bundesgericht, wäre Hildbrand demnach nicht mehr aktiv mit dabei: Laut Gesetz ist ab 70 keine Beschäftigung beim Bund mehr möglich.
Die Bundesanwaltschaft will sich «aus Datenschutzgründen» nicht zum Alter ihres Vertreters äussern.
Sein emotional vorgetragenes Plädoyer im erstinstanzlichen Prozess krönte Hildbrand mit einem defätistischen Spruch von Dürrenmatt: «Die Gerechtigkeit wohnt in einer Etage, zu der die Justiz keinen Zugang hat.»
Nicht nur ihm läuft die Zeit davon.
Der Geburtstag spielt auch bei Sepp Blatter eine Rolle – er wird am 10. März 89 Jahre alt. Also mitten im Prozess, der am 3. März beginnt und mit der Urteilsverkündung am 25. März endet. So jedenfalls ist es geplant. An Blatters Geburtstag tagt das Gericht nicht: Die zwei Reservetage sind auf den 11. und 12. März angesetzt.
Ja, er würde, wenn es sein müsste, auch an seinem Geburtstag vor Gericht erscheinen, sagt Blatter, als wär das selbstverständlich. Er will jetzt diesen endgültigen Freispruch. Das sei nichts als sein Recht. «Denn da war ja nichts», sagt er. Das habe ja auch das erstinstanzliche Gericht gesehen. «Es gab einen totalen Freispruch. Das Gericht sagte, dass es für die Zahlung einen Vertrag gab, auch wenn er nur mündlich war. Alles war rechtens.»
Er verstehe daher den «neuen Bundesanwalt» nicht, sagt Blatter. Verstehe nicht, warum Stefan Blättler seinen Leuten erlaubt habe, in Berufung zu gehen. «Er klagt über fehlende Ressourcen gegen die organisierte Kriminalität. Er weiss doch selbst, dass er Wichtigeres zu tun hätte, als einen klaren Freispruch anzufechten.»
Sobald der Freispruch fix ist, will Blatter von der FIFA das Geld einfordern, das diese ihm noch schuldet: «12 Millionen Franken. Den Bonus, der nach dem Weltcup 2014 schriftlich versprochen wurde. Die FIFA hat die Zahlung suspendiert und Rückstellungen gemacht, als das Verfahren gegen mich 2015 eröffnet wurde.»
Während Blatter sich auf den Prozess vorbereitet, wird sein grösster Gegenspieler durch Abwesenheit glänzen: Gianni Infantino hat das Interesse am Fall offenbar plötzlich verloren.
Die FIFA-Anwältin Catherine Hohl-Chirazi hat Mitte Januar beim Muttenzer Gericht ein Gesuch um Dispensation eingereicht: «Meine Mandantin ersucht höflichst, von der Teilnahme an dieser Hauptverhandlung dispensiert zu werden.» Der Dispens umfasse die FIFA selbst sowie auch die Rechtsanwältin.
Die FIFA geht auf Tauchstation. Das war im Juni 2022 noch anders. Beim erstinstanzlichen Prozess war die Fifa noch mit mehreren Anwälten vertreten, trat teilweise aggressiv auf. Ihre leitende Anwältin hielt ein mehrstündiges Plädoyer, das sie mit dem Satz einleitete: «Die FIFA will das Geld zurück, das ihr gestohlen wurde. Das Geld gehört dem Fussball.»
Und als die Bundesanwaltschaft Berufung gegen das erste Urteil anmeldete, zog die FIFA mit einer Anschlussberufung mit. Sie fechte das Urteil «vollumfänglich» an, so die FIFA-Anwältin damals, und reichte eine mehrseitige Begründung ein.
Aber jetzt dieses Dispensgesuch. Hat die FIFA den Fall schon aufgegeben? Hat Infantino Angst vor den hohen Kosten? Antworten sind von der FIFA keine zu erhalten.
Dabei war es die FIFA, die dieses Verfahren 2015 per Strafanzeige ausgelöst. Und nur dank dieses Verfahrens kam Infantino 2016 auf den FIFA-Thron. Weil der Kronfavorit für die Blatter-Nachfolge, Michel Platini, unmittelbar nach der Verfahrenseröffnung von der FIFA gesperrt wurde und nicht kandidieren konnte.
Dieser Platini ist dieser Tage auf einer Insel in den Ferien und staunt über das, was da in der fernen Schweiz alles passiert. Den früheren französischen Top-Fussballer scheint gar nicht gross zu überraschen, dass Infantino kein Interesse am Fall mehr zeigt. Er wundere sich in dieser Sache schon lange nicht mehr, macht er deutlich. Er selbst werde jedenfalls selbstverständlich in Muttenz sein, und: «Dieses Verfahren hätte gar nie beginnen dürfen – es ist Zeit, dass es jetzt endlich endet.»
So beginnt am 3. März vor den drei Richtern im Baselbiet das seltsame Berufungsverfahren. Sepp Blatter will unbedingt an diesem Prozess teilnehmen, er will den definitiven Freispruch. In seinem Wohnzimmer sitzend, lässt er sich im Gespräch mit CH Media nicht anmerken, dass ihn das Ganze mitnimmt.
Das zeigt sich erst einige Tage später, am Abend des 5. Februar. Er spricht im Lions-Club Zimmerberg als Gastredner über sein Buch «Overtime – Die wahre Geschichte». Das geht knapp eine Stunde lange gut, aber als aus dem Publikum eine Frage zum bevorstehenden Strafverfahren kommt, erleidet er einen Schwächeanfall, muss gestützt werden. Zum Glück habe es Ärzte im Publikum gehabt, sagt ein Freund, der dabei war. Für ihn sei aber ein Rätsel, ob und wie Blatter den Prozess in Muttenz durchstehen werde. «Er glaubt manchmal, er sei 20 Jahre Jünger.»
Aber Sepp Blatter will, sollte das Muttenzer Gericht den Freispruch wider Erwarten aufheben, ans Bundesgericht gelangen. Das steht für ihn längst fest. Auch wenn er dann schon über 90 Jahre alt ist. Er will diese Gerechtigkeit noch bekommen. (aargauerzeitung.ch)