Es gab Zeiten, da blickten wir Schweizer neidisch auf das schier endlose Repertoire an talentierten Skifahrern und -fahrerinnen unseres östlichen Nachbarn. Zwischen 1990 und 2019 gewann Österreich 30 Mal in Serie die Nationenwertung, zeitweise dominierte es den Ski-Weltcup gar so sehr, dass der erste Verfolger nicht einmal ein Drittel von Österreichs Punkten aufwies. Noch in der Saison 2014/15 siegte Ski Austria mit knapp 5500 Punkten Vorsprung auf Italien, die Schweiz kam auf weniger als die Hälfte der 11'617 Zähler der Ösi-Stars.
In der Saison darauf schaffte es die Schweiz dann gar nur auf Platz 4. Es war das Jahr, in dem Marco Odermatt kurz vor Saisonende sein Debüt im Weltcup feierte. Es sollte noch etwas dauern, bis der furchtlose Nidwaldner in den Ski-Olymp vorstiess. Mittlerweile ist aber nichts mehr wie es war – weder für die Schweizer noch die Österreicher.
In vier der letzten fünf Jahren war die Schweiz die Ski-Nation Nummer 1. Im letzten Winter triumphierten Lara Gut-Behrami und Marco Odermatt im Gesamtweltcup. Und auch in dieser Saison starteten die Schweizerinnen und Schweizer hervorragend. Der 27-jährige Odermatt führt im Kampf um die grosse Kristallkugel schon wieder, bei den Frauen sind Camille Rast und Gut-Behrami die ersten Verfolgerinnen von Leaderin Federica Brignone.
Beeindruckend ist aber vor allem auch die Breite des Swiss-Ski-Kaders, das jenes schier endlose Repertoire an Talenten umfasst, für welches die Schweizerinnen und Schweizer Österreich einst beneideten. Odermatt war nämlich nur ein Teil einer neuen Welle an Schweizer Talenten, die in den Weltcup strömten. Mit dem 24-jährigen Alexis Monney bewies am heutigen Samstag in Bormio ein weiterer Schweizer in eindrücklicher Manier, dass er zu den besten Abfahrern der Welt gehören kann. Gleiches gilt für den ein Jahr jüngeren Franjo von Allmen, der seinen zweiten Platz von Gröden mit einem erneuten zweiten Platz bestätigte. Die österreichische Tageszeitung «Heute» schrieb von «Schweiz-Festspielen» und bezeichnete die beiden Jungstars als «Sensationsläufer».
Es ist in der dritten Abfahrt der Saison der dritte Schweizer Doppelsieg. Wenig überraschend belegen mit Odermatt, von Allmen, Justin Murisier und Monney vier Schweizer die ersten vier Plätze in der Abfahrtswertung. Gemeinsam mit Loïc Meillard stehen diese vier in der Top 15 des Gesamtweltcups, wodurch die Schweiz gar Norwegen mit seinen hervorragenden Technikern, die aber vier der ersten sieben Plätze belegen, noch übertrifft.
Dass die Schweiz derzeit das Mass aller Dinge ist, haben sie auch in Österreich längst festgestellt – wenn wohl auch etwas zähneknirschend. So sagte die erfolgreiche Ex-Skifahrerin Michaela Dorfmeister in einem Interview vom Freitag beim «Standard»: «Vor ein paar Jahren waren wir überlegen und sie nirgends.» Doch in der Schweiz hätten sich die Verantwortlichen zusammengesetzt und gesehen, dass man so nicht weitermachen könne. «Mittlerweile hat es der ÖSV auch verstanden, dass es in Österreich an der Basis bergab geht», so Dorfmeister.
Bis die Früchte von möglichen Veränderungen und Investitionen geerntet werden können, braucht es aber Zeit – und ganz alles werde noch immer nicht gemacht für eine erfolgreiche Zukunft. «Wie es aussieht, gibt es fast überall eine Skihalle, nur in Österreich nicht. Ich weiss nicht, warum sie es hier nicht schaffen, eine solche Halle klimaneutral zu bauen», schimpft die 51-jährige Gesamtweltcupsiegerin und Doppel-Olympiasiegerin.
Ansporn könnten die Verantwortlichen beim Österreichischen Skiverband (ÖSV) aus der derzeitigen Situation eigentlich genug ziehen. Nach dessen Sieg beim Riesenslalom in Alta Badia von letztem Sonntag titelte der «Kurier»: «Ski-Star Odermatt: Doppelt so gut wie das gesamte ÖSV-Team». Damit bezog sich die Tageszeitung auf die Anzahl Podestplätze in dieser Saison. Odermatt hatte in seinen ersten acht Auftritten sechsmal auf dem Podium gestanden, die Österreicher in insgesamt elf Rennen nur dreimal. Daran hat sich auch nach dem Slalom in Alta Badia vom Montag und der Abfahrt in Bormio vom heutigen Samstag nichts geändert.
Die unbefriedigende Situation von Ski Austria bei den Männern – bei den Frauen sorgte Cornelia Hütter für zwei Siege, ausserdem gab es immerhin drei weitere Podestplätze – liegt auch an Vincent Kriechmayr. Der 33-jährige Speed-Spezialist konnte nach der Schmach mit Platz 55 in Gröden zwar eine deutliche Verbesserung zeigen, war mit Platz acht in Bormio aber dennoch unzufrieden. «Es ist schon ein grosser Rückstand», sagte Kriechmayr mit Blick auf die 1,12 Sekunden, die er langsamer war als Sieger Monney. Er sei «ein bisschen deprimiert», erklärte er zudem.
Dass er trotzdem der beste Österreicher war, dürfte bei Ski Austria nicht unbedingt für gute Stimmung sorgen. Doch ÖSV-Alpinchef Herbert Mandl erklärte vor Kurzem, dass er aufgrund der bisherigen Ergebnisse nicht unruhig werde. «Natürlich war das bisher nicht das, was wir uns erwartet haben. Das ist nicht zufriedenstellend.» Doch die Mannschaft sei wesentlich besser, weshalb Mandl sagt: «Ich glaube, dass es im Januar schon wieder besser aussehen wird.» Der «Kurier» warf Mandl wegen seiner Aussagen vor, «gute Miene zum bösen Spiel» zu machen. Denn in Wirklichkeit, «versinkt das ehemals stärkste Skiteam der Welt immer mehr im Mittelmass».
Hoffen wir auf wenige Verletzte im Skizirkus (egal welche Nation).
Die Ösis checken es jetzt, nach 4-5 Jahren.
Die Schweizer brauchten etwas länger, aber jetzt sind die Früchte reif👍🏻