Meillard überflügelt Odermatt, Gut-Behrami hört früh auf – 6 gewagte Thesen zum Ski-Winter
Gewinnt Marco Odermatt wieder nicht in Kitzbühel, wird Camille Rast zur neuen Slalomkönigin – und was ist mit den Österreichern? Vor der am Wochenende beginnenden Skisaison stellen wir sechs gewagte Thesen auf.
Loïc Meillard gewinnt den Gesamtweltcup
Die Geschichte wiederholt sich. Wenn es kurz vor der Saison darum geht, wer Marco Odermatt im Gesamtweltcup gefährlich werden könnte, fällt sein Name: Loïc Meillard. Seit Jahren wird Meillard als heisser Kandidat im Kampf um die grosse Kristallkugel gehandelt. Wirklich nah kam er ihr aber nie – zumindest punktemässig. In der vergangenen Saison lag Meillard als Dritter 645 Punkte hinter Odermatt. Umgerechnet mehr als sechs Siege.
Trotzdem wird Meillard auch in diesem Jahr als Herausforderer gehandelt. Und besonders das Ende der vergangenen Saison dürfte dem 28-Jährigen Zuversicht geben. Zweimal in Folge konnte der Neuenburger damals einen Riesenslalom gewinnen – zweimal vor Odermatt. Und auch an der WM klassierte er sich als Dritter vor dem langjährigen Disziplinen-Dominator.
Setzt Loïc Meillard diesen Trend fort, und überzeugt er auch weiterhin im Slalom, könnte es eng werden. Denn auch Odermatt spürt, dass es immer schwieriger wird, gleichzeitig auf drei Hochzeiten in der vordersten Reihe zu tanzen. Kurz vor dem Saisonstart sagte er zu CH Media: «Ich bin auf der Abfahrt in vielen Passagen nochmals stärker geworden. Dafür habe ich im Riesenslalom ein bisschen eingebüsst.» Die Türe ist ein Spaltbreit offen.
Lara Gut-Behrami hört noch vor Saisonende auf
Eine grosse Karriere nähert sich ihrem Ende. Diese Saison wird die letzte für Lara Gut-Behrami. Da wäre doch noch einmal Olympia-Gold eine schöne Pointe – und das erst noch in ihrer langjährigen Wahlheimat Italien. Oder gewinnt sie den Gesamtweltcup ein drittes Mal? Oder beides?
«Nein», würde Lara Gut-Behrami zu diesen Szenarien sicher nicht sagen. Doch ihr persönliches Wohlbefinden ist längst nicht mehr abhängig vom sportlichen Erfolg. Im Interview mit CH Media sagte die 34-Jährige: «Man hat lange das Gefühl, dass der sportliche Teil der wichtigste im Leben ist. Aber er ist nur ein Teil und nicht immer der schönste oder beste.» Im Verlauf der Jahre hat sie erfahren, dass das Leben viel mehr bieten kann.
Wann genau ihre Karriere endet – ob unmittelbar nach den Olympischen Spielen im Februar oder erst am Ende des Winters – wird Gut-Behrami selbst bestimmen. Stand jetzt spricht sie von über 30 Rennen, was einer kompletten Saison entspräche. Immer vorausgesetzt, es kommt nichts dazwischen. Vor einem Jahr verzichtete sie auf den Saisonauftakt in Sölden, weil sie Angst hatte, sich zu verletzen. Würde sich dieses Gefühl erneut einstellen, wäre sie vermutlich sogar bereit, noch vor den Spielen aufzuhören. In ihrem Leben sind andere Prioritäten in den Fokus gerückt.
Marco Odermatt gewinnt erneut nicht in Kitzbühel
Den Super-G von Kitzbühel hat Marco Odermatt im vergangenen Winter gewonnen. Doch der Super-G ist nur das Warm-up für das spektakulärste Rennen der Saison. Der Mythos der Streif beruht auf der Abfahrt. Und diese hat Odermatt noch nie gewonnen. Zweimal war er schon Zweiter, 2022 und 2024. Der Sieg aber bleibt die letzte grosse Lücke in seinem Palmarès.
Odermatts grösste Konkurrenten dürften aus dem eigenen Team kommen. Abfahrtsweltmeister Franjo von Allmen zum Beispiel. Oder Alexis Monney, der den Abfahrtssieg auf der Streif im vergangenen Januar nur um acht Hundertstelsekunden verpasste. Odermatt fuhr auf Rang sechs und sagte danach: «Ich habe gespürt, dass ich nicht 100 Prozent riskieren kann.»
Dieser Umgang mit Risiken, das Einschätzen der Tagesform, ist eine von Odermatts Stärken. Und auch eine Lehre aus dem Jahr 2023, als er in Kitzbühel einen Sturz im Steilhang und damit eine Katastrophe nur knapp verhindern konnte. Möglich ist, dass das Erfolgspuzzle auch 2026 nicht ganz passt. Odermatt könnte es verkraften. Der 28-Jährige hat – und das zu Recht – das Selbstvertrauen, um zu wissen: Irgendwann wird es passen.
Österreich besiegt die Schweiz im Nationencup
Zuletzt dreimal in Folge und fünfmal in den vergangenen sechs Saisons konnte das Schweizer Skiteam die Nationenwertung für sich entscheiden. Einzig 2022 schwang Dauerrivale Österreich temporär obenauf. Diese Bilanz tut den Nachbarn in der Seele weh. Schliesslich stellte der ÖSV von 1990 bis 2019 30-mal in Folge das beste Team des Winters. «Aber auf Mitleid aus der Schweiz können wir verzichten», scherzte Stefan Babinsky, als sich im vergangenen Winter abzeichnete, dass es wieder nichts wird.
Nun hofft man in Österreich, dass die neue Saison eine gute wird. «Die Schweizer werden es nicht verlernt haben. Aber wir haben ein Herren-Team mit Niveau und Potenzial», sagte Cheftrainer Marko Pfeifer dem «Kurier». Gemeint ist zum Beispiel Marco Schwarz. Der 30-Jährige galt als Odermatts grösster Herausforderer, bevor er sich 2023 das Kreuzband riss und 2024 eine Bandscheiben-OP folgte. Jetzt ist er wieder schmerzfrei.
Die Punkteausbeute der österreichischen Männer dürfte damit steigen. Auch dank Raphael Haaser. Der 28-Jährige wurde in Saalbach Weltmeister im Riesenslalom und gewann Silber im Super-G. Nun will er erstmals im Weltcup siegen. Und bei den Frauen? Dort waren die Schweizerinnen zuletzt 2023 die Nummer eins. Doch zumindest die Österreicherinnen hatten sie in der vergangenen Saison im Griff, wenn auch nur relativ knapp. Es wird an Marco Odermatt und Co. liegen, es wieder zu richten.
Camille Rast stellt Mikaela Shiffrin in den Schatten
2024 titelten wir in den Zeitungen von CH Media: «Sie ist unsere Antwort auf Mikaela Shiffrin.» Gemeint war Camille Rast. Im vergangenen Februar wurde die 26-jährige Weltmeisterin im Slalom und erfüllte ein erstes Mal diese Prophezeiung. Nun sagt sie vor der neuen Saison: «Ich will mehr.»
Rast hat zweifellos das Zeug, um Shiffrin als Slalomkönigin abzulösen. Zumal die US-Amerikanerin keine einfache Zeit hinter sich hat. Nach einem Sturz im vergangenen Dezember in Killington verlor Shiffrin den Glauben an sich selbst. Eine Psychologin diagnostizierte in der Folge eine posttraumatische Belastungsstörung, verbunden mit Angstzuständen. Diese seien zwar inzwischen überwunden. Eine Antwort, wie frei sich Shiffrin wieder fühlt, wird allerdings erst das Rennen in Sölden geben.
Apropos Riesenslalom. In diesem will Camille Rast den nächsten Schritt machen. Erst einmal stand sie im Weltcup auf dem Podest. Ausgerechnet in Killington, in jenem Rennen, welches das Leben von Shiffrin verändert hat. Doch auch Rast startet nicht sorgenfrei in die Saison. Sie spürt noch immer die Folgen eines Sturzes kurz nach der WM und klagt über Hüftprobleme.
Der nächste Marco Odermatt steht schon bereit
Die Vorschusslorbeeren sind riesig. Kein Geringerer als der nächste Marco Odermatt soll Lenz Hächler sein. Das sagt zum Beispiel Justin Murisier. Und der Walliser Skiprofi sollte es wissen. Im Blick erklärte Murisier: «Lenz erinnert mich total an den Marco Odermatt aus dem Jahr 2017. Er fährt wie Marco Stöckli-Ski, hat Salomon-Schuhe und Leki-Stöcke und denselben Kopfsponsor, wie ihn Odi vor acht Jahren hatte. Das Wichtigste aber: Lenz fährt auch genial Ski.» Da kann ja eigentlich nichts schiefgehen.
Hächler erinnert mit seiner Art, wie er im Riesenslalom durch die Tore fährt, tatsächlich an Marco Odermatt. In der vergangenen Saison gewann der 22-jährige Zuger souverän die Riesenslalomwertung im Europacup und hat damit in der neuen Saison einen fixen Startplatz im Weltcup.
Ist sein Durchbruch also nur eine Frage der Zeit? Vielleicht. Das mit den Vorschusslorbeeren ist allerdings eine Sache. Wie oft gab es schon einen neuen Odermatt oder einen neuen Beat Feuz (Stichwort Lars Rösti). Der Weg dorthin ist dann oft länger als gedacht. Zumal sich Hächler derzeit noch mit den Folgen einer Bänderverletzung im Fussgelenk herumschlägt. (aargauerzeitung.ch)
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