Was habe ich meine jüngeren Arbeitskollegen schon vollgelabert. Von den Zeiten von Pirmin Zurbriggen und Maria Walliser geschwärmt, von Vreni Schneider und Franz Heinzer. Die Kollegen waren noch gar nicht auf der Welt, und ich war selber noch ein Bube. Was für ein glücklicher Bube! Aufgewachsen in einem Weltcupdorf, den ganzen Winter auf den Ski, und im Fernsehen triumphierten immer die Schweizerinnen und Schweizer.
Irgendwann hörte das mit den vielen Siegen auf und ausgerechnet die Österreicher fuhren uns um die Ohren. Die Schweiz steckte ganz, ganz tief im Loch. 2005 gab es eine Ski-WM ohne einzige Medaille, und es gab eine Abfahrt, in der der beste Niederländer (!) Rang 8 belegte und der beste Schweizer 24. wurde.
Tempi passati! Jetzt ist es wieder Swiss-Ski, das den Ton angibt. Angeführt vom Überflieger Marco Odermatt fuhr gerade die Speed-Truppe der Männer die Konkurrenz in Grund und Boden. Sie gewann sechs von acht Abfahrten, sie belegte in jeder Abfahrt Rang 2 und stand immer mindestens zu zweit auf dem Podest. Krönender Abschluss waren die Dreifachsiege in Crans-Montana – wo 2027 die WM stattfindet – und in der letzten Abfahrt des Winters in Kvitfjell.
Der phänomenale Odermatt war auch beim dritten Schweizer Dreifachsieg des Winters dabei: Im Riesenslalom von Hafjell hinter Loïc Meillard und vor Thomas Tumler. Die Plätze 1, 2 und 3 in einem Männer-Riesenslalom – das schaffte die Schweiz erst einmal, 42 Jahre ist das her, natürlich zu Pirmins Zeiten. Dazu durfte die Ski-Schweiz in zehn weiteren Rennen einen Doppelsieg feiern.
In einem Winter, in dem nahezu alles aufging, beendete Meillard eine ewige Durststrecke. 75 Jahre lang hatte die Schweiz keinen Slalom-Weltmeister mehr, in Saalbach wurde der Westschweizer Nachfolger von Georges Schneider, der 1950 Slalom-Gold gewann.
Gerade im Slalom überzeugte auch das Frauenteam. Camille Rast gewann ihre ersten Weltcuprennen und an der WM feierte sie mit der zweitplatzierten Wendy Holdener einen Schweizer Doppelsieg. Lara Gut-Behrami drehte zum Saisonende hin nochmals auf. Die Tessinerin steht bei mittlerweile 48 Weltcupsiegen und hat als erste Fahrerin überhaupt das Kunststück geschafft, in drei Disziplinen mindestens zehn Rennen zu gewinnen.
Stichwort Weltcupsiege: Odermatt ist nun der Schweizer Mann mit den meisten Siegen (45), er zog am legendären Pirmin Zurbriggen (40) vorbei. Zum vierten Mal in Folge gewann der 27-jährige Nidwaldner den Gesamtweltcup – und wie im vergangenen Winter erneut auch die Disziplinenwertungen in Abfahrt, Super-G und Riesenslalom. Gigantisch! Geht es im Stil der letzten Jahre weiter, überholt er in der nächsten Saison Marc Girardelli und Alberto Tomba, die Nummern 5 und 4 der ewigen Bestenliste – und vielleicht auch den «Herminator», Hermann Maier.
Marco Odermatt ist nicht nur wegen seiner Erfolge eine Ausnahmefigur, um welche die Schweiz vom Rest der Welt benieden wird. «Odi» ist auch ein Teamplayer, der durch seine zugängliche Art in jeder Hinsicht eine Bereicherung ist für die Kollegen. In seinem Sog haben sich Franjo von Allmen (23) und Alexis Monney (25), die beiden Aufsteiger des Winters, in der Weltspitze etabliert.
Stefan Rogentin (30) und Thomas Tumler (35) sind so gut wie nie. Und Loïc Meillard (28) kann mit der Situation, der «Schattenmann» zu sein, wie es Stan Wawrinka während Roger Federers Karriere war, besser umgehen denn je. Mit zwei Gold- und einer Bronzemedaille war Meillard der erfolgreichste Teilnehmer der WM 2025.
Alle Erwähnten gewannen an der WM mindestens eine Medaille, mit 5x Gold, 5x Silber und 3x Bronze räumte die Schweizer Delegation im ganz grossen Stil ab. Die Männer standen in jedem Rennen auf dem Podest, gewannen vier von fünf Titeln und feierten in der neu geschaffenen Team-Kombination einen Dreifachsieg. Den Teamgeist verdeutlichte nichts so sehr wie die gemeinsame Aktion der Abfahrer, sich und den Trainern nach Gold und Bronze kuriose «Frisuren» zu schneiden.
Wo Licht ist, ist auch Schatten. Im Männer-Slalom droht ein Rückfall in alte Zeiten, als diese als grosse Schweizer Sorgendisziplin galt. Blickt man auf die Europacup-Resultate, kommt hinter Meillard und Tanguy Nef (28) kaum konkurrenzfähiger Nachwuchs nach, der dereinst die Plätze von Daniel Yule (32), Luca Aerni (32) und Ramon Zenhäusern (bald 33) einnehmen kann.
Bei den Frauen ist die Spitze derzeit nicht so breit wie bei den Männern. Lara Gut-Behrami überdeckte in Abfahrt, Super-G und Riesenslalom mit ihren Leistungen öfters eine mässige Bilanz. Doch Fahrerinnen wie Stefanie Grob (20), Malorie Blanc (21) oder Delia Durrer (22) stehen – wie bei den Männern die 21-jährigen Lenz Hächler und Livio Hiltbrand – vor ihrem nächsten Schritt.
Der Weg zum Gipfel ist beschwerlich, nicht alle werden ihn erreichen; nicht zuletzt, weil der Skisport viele Verletzungsopfer fordert. Da ist es aus Sicht des Verbandes nur positiv, wenn man über möglichst viele Talente verfügt.
Was im aktuellen Hoch nicht vergessen werden darf, sind die Voraussetzungen, die in der Schweiz besser sind als anderswo. Hierzulande profitieren die Athletinnen und Athleten nicht nur von den Bergen vor der Haustür und der damit vorhandenen, guten Infrastruktur. Ihnen kommt auch zugute, dass ausser den Österreichern kein anderer Skiverband so viel Geld in den Sport pumpt wie Swiss-Ski.
In einem Sport, in dem Hundertstel über Sieg und Niederlage entscheiden, wird ein grosser Aufwand betrieben, um diese Sekundenbruchteile schneller zu sein als die Konkurrenz. Das kostet. Am Ende ist diese Arbeit aber nur die Basis. Ohne Fleiss, kein Preis – mit Talent allein schafft es niemand an die Weltspitze. Es liegt an den Athletinnen und Athleten, all die vorhandenen Vorteile zu nutzen.
Die Weltcupsaison 2024/25 mit den Weltmeisterschaften in Saalbach wird als eine der allerbesten in die Schweizer Ski-Geschichte eingehen. 22 Weltcupsiege, 42 weitere Podestplätze und 13 WM-Medaillen sind die harten Fakten des Erfolgsrausches.
Dieser Höhenflug wird nicht ewig andauern. Doch wenn die Erfolgswelle eines Tages abebbt, muss es ja nicht gleich so weit kommen, dass die Schweiz medaillenlos von einer WM heimkehrt – oder ein Niederländer die besten Abfahrer des Landes hinter sich lässt.
Irgendwann wird die Generation, die nun erstmals eine solche Schweizer Dominanz miterlebt hat, wehmütig den jüngeren Ski-Fans davon erzählen – so wie wir älteren bis heute und wahrscheinlich auf ewig von Pirmin und Vreni schwärmen. Und wenn dann Vertreter aller Generationen von Odi reden, wird es womöglich heissen: Er war der Grösste von allen.
Was mich bei Gut-Behrami fasziniert: sie erreichte all diese Erfolge während gleichzeitig jeweils die historisch erfolgreichsten Fahrerinnen auf ihrem Peak waren (die erste Karrierehälfte Vonn, dann Shiffrin)
Als eine Generation jünger stand ich auf der anderen Seite: in der Jugend alle Rennen geschaut, aber oft ohne Schweizer Erfolge. Und immer diese Österreicher...
Und meine Eltern, welche von den früheren goldenen Zeiten schwärmten und von Schweizer Dreifachsiegen und so schwadronierten. Jetzt weiss ich was sie meinten!