Lara Gut-Behrami bleibt auch im letzten Winter angriffig – und schliesst den «Blick» aus
Für Lara Gut-Behrami geschieht in dieser Saison alles ein letztes Mal. Nostalgische Gefühle kommen bei der 34-Jährigen vor dem definitiv abschliessenden Winter als Skirennfahrerin jedoch nicht auf. Die 48-fache Weltcupsiegerin bleibt angriffig bis zum Schluss – mit und ohne Skis.
Lara Gut-Behrami taugt nicht als «Schätzchen der Nation». Erfüllung suchte sie nie in möglichst grosser Popularität, ihren Kraftort fand sie Zeit ihrer Karriere innerhalb der Familie. Dieser intime Rahmen ist ihre Heimat, Personen ausserhalb des persönlichen Beziehungsnetzes begegnet Lara Gut-Behrami mit Vorsicht, Skepsis oder bisweilen auch mit Ablehnung.
Diese Kompromisslosigkeit nimmt die Tessinerin offensichtlich mit in ihre letzte Saison. Und bleibt sich dabei auch treu mit diskutablen Entscheidungen. So mussten bei der Saison-Konferenz des Skiverbandes die Vertreter des «Blicks» als Bedingung für ihren Auftritt den Raum verlassen. Ein etwas gar boulevardesker Online-Artikel in diesem Sommer hatte Lara Gut-Behrami erzürnt.
Ihr Verständnis einer Abschiedssaison definiert die zweifache Gesamtweltcup-Siegerin klar. Für Retrospektive oder gar Wehmut hat sie angesichts der täglichen Arbeit keine Zeit. Gefühle hegt Lara Gut-Behrami höchstens ihrer Familie gegenüber. Sie sei zutiefst dankbar dafür, dass ihr dieses privilegierte Leben ermöglicht worden sei. «Ich empfinde es als Glück und als Geschenk.»
Ansonsten will die 34-Jährige den Winter mit dem gleichen Mindset angehen wie stets seit ihrem Debüt im Weltcup vor 18 Jahren. «Ich versuche mich auf das Wesentliche zu konzentrieren», sagt sie, «und habe mir auch in diesem Sommer die Frage gestellt, was ich noch verbessern kann». Sie versuche täglich, neue Dinge zu lernen. «Und ich nerve mich noch immer wie im ersten Jahr, wenn etwas nicht gelingt. So gesehen spüre ich noch nichts vom nahenden Ruhestand», sagt sie lachend.
Lara Gut-Behrami lässt keine Zweifel offen, dass sie bis und mit den Olympischen Spielen konkurrenzfähig bleiben will. Auf dem Weg zu einem letzten grossen Halleluja sei jeder Tag «ein grosses Ziel und nicht nur ein bestimmter Wettkampftag im kommenden Februar». Die Basis, um noch einmal sportlich anzugreifen, ist gelegt. Lara Gut-Behrami fühlt sich im Gegensatz zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr körperlich parat und mental ausgeruht. Auch Motivation und Freude stimmen, selbst wenn ihr zumindest medial offensichtlich nicht alles Freude bereitet.
Marco Odermatt: Wenn das grosse Ziel noch gar kein Thema ist
Drei Wochen vor dem Saisonstart fühlt sich vieles im Alltag von Ski-Superstar Marco Odermatt nach Routine an. Damit bei Marco Odermatt so richtig Vorfreude auf die Rennen aufkommt, braucht er neben einer Prise Adrenalin vor allem noch ein besseres Gefühl auf den Ski. «Es wiederholt sich ein wenig: zu diesem Zeitpunkt im Herbst suche ich jeweils den letzten Feinschliff, um mich im Hinblick auf Sölden bereit zu fühlen.»
Noch gar keinen Gedanken verschwendet Marco Odermatt an die Olympischen Winterspiele im Februar in Italien. Selbst wenn er diesen Anlass durchaus als höchstes Saisonziel betrachtet – von der Bedeutung her vor Wengen, Kitzbühel oder dem Gesamtweltcup.
Der Dominator der vergangenen vier Jahre ist überzeugt, dass er als Allrounder seine Limiten erreicht hat. «Ich habe im vergangenen Winter zwar als Abfahrer nochmals Fortschritte beim Gleiten gemacht. Dafür habe ich im Riesenslalom ein wenig eingebüsst.» Eine weitere Steigerung im Speedbereich sei also zwangsläufig mit Abstrichen in seiner langjährigen Paradedisziplin verbunden.
Michelle Gisin: Die neue Welt ohne Slalom
Erstmals in ihrer Karriere wird sich Michelle Gisin in der gesamten Saison voll auf die Speed-Disziplinen konzentrieren. «Das ist eine neue Welt», sagt sie. Keine Slaloms und Riesenslaloms bedeuten mehr Zeit für Training und Regeneration rund um Abfahrten und Super G. «Ich bin extrem stolz darauf, über acht Jahre als Allrounderin unterwegs gewesen zu sein – schliesslich gibt es nur noch eine andere Fahrerin neben mir (Mikaela Shiffrin, d.Red), die in sämtlichen Disziplinen einen Podestplatz aufweist.»
Nun beginnt also eine Art neue Karriere für Gisin. Und diese Aussicht tut ihr offensichtlich gut. «Früher musste ich in jedem Training alles rausquetschen. Nun merke ich, dass es mir guttut, mehr Zeit zu haben. Damit kommt auch die Gelassenheit zurück. Und ich hatte genügend Raum, um mich mental zu erholen.»
Eine wichtige Rolle für Gisin spielten im letzten Jahr die Olympischen Spiele in Cortina. «Die Aussicht darauf hat mich durch den letzten, schwierigen Winter gebracht. Ich trug zwei Ängste mit mir herum: Erstens, dass ich mich verletze. Und zweitens, dass ich alles hinschmeisse und dann im nächsten Februar vor dem TV sitze und denke: ‹Hätte ich mich doch nur durchgebissen.›» Um sich bereits einmal einzustimmen, unternahm Gisin im Sommer eine Fahrrad-Tour von Bad Ragaz bis Cortina, «das waren vier wunderschöne Tage».
Camille Rast: Die Weltmeisterin muss Geduld haben
Sie ist die Schweizer Aufsteigerin der letzten Saison. Gleich drei Slaloms gewinnt Camille Rast. Jenen bei der WM als Highlight. «Ich habe etwas Zeit gebraucht, um zu realisieren, was ich alles erreicht habe», sagt Rast.
Die Frage, wann endlich ihr erster Podestplatz komme, war ein stetiger Begleiter auf dem Weg der 26-Jährigen. Eine durchaus belastende Frage. Rast sagt: «Jetzt kann ich frei Skifahren und muss niemandem mehr etwas beweisen. Das ist toll.»
Noch ist Rast allerdings nicht zu 100 Prozent fit. Eine Woche nach WM-Gold stürzte sie in Sestriere schwer. Die Schmerzen in der linken Hüfte halten weiterhin an. «Es geht mir gut, aber ich brauche noch Geduld», sagt sie.
Daniel Yule: Die Scheidung nach 19 Jahren
Der Walliser mit britischen Eltern bleibt trotz des jüngsten Weltmeistertitels von Teamkollege Loïc Meillard mit sieben Weltcupsiegen und insgesamt 17 Podestplätzen erfolgreichster Schweizer Slalomfahrer der Ski-Geschichte. Gleichzeitig blickt der Eishang-Spezialist auf die schlechteste Saison seit acht Jahren zurück. Nur dreimal platzierte sich Yule in den Top 10, Platz 6 in Wengen war sein Bestresultat des Winters.
Die sportliche Misere bewog den 32-Jährigen zu einem drastischen Schritt. Nach 19 Jahren mit Fischer-Ski an den Füssen wechselt Daniel Yule nun zu Atomic. «Bis jetzt ist das Gefühl sehr gut, aber entscheidend werden die Eindrücke in den Rennen sein», zieht Yule eine erste Bilanz. Der Wechsel der Ausrüster habe auch für einen Motivationsschub gesorgt. «Man lernt wieder Neues kennen und fühlt sich gelegentlich wie ein 20-Jähriger». Er habe im Trainingslager in Neuseeland auch bewusst versucht, an seinen Schwächen zu arbeiten. «Ab und zu fällt man dabei in alte Muster zurück, wobei das weniger eine Material- als vielmehr eine mentale Frage ist.»
Franjo von Allmen: So reagiert der Weltmeister auf den Tod von Franzoso
Der 24-jährige Berner blickt auf eine Traumsaison zurück. Sein Aufstieg machte den Abfahrts-Weltmeister auch im Sommer zum gefragten Mann. Franjo von Allmen sagt, er habe sich bewusst machen müssen, bei was er mitmachen wolle und wo nicht. Der Berner Oberländer ist mit seinem freundlichen Wesen nicht ein Mensch, der emotionslos Körbe verteilt. «Aber ich muss mich so organisieren, dass ich den Fokus aufs Training richten kann», sagt von Allmen.
Er habe die vielen Emotionen des vergangenen Winters gut hinter sich lassen können, fühle sich erholt und voller Vorfreude auf den kommenden Winter, glaubt Franjo von Allmen. Eine Vorfreude, die getrübt wurde durch die Nachricht des tödlichen Trainingssturzes des italienischen Rennfahrers Matteo Franzoso in Chile.
Von Allmen reiste kurz darauf mit dem Schweizer Speedteam ins Vorbereitungscamp in die chilenischen Anden. «Wir haben im Team kurz darüber diskutiert, ob wir daran festhalten. Aber auf ein solches Ereignis reagiert sowieso jeder Mensch individuell», sagt der Berner. «Und es gehört zu unserem Job als Skirennfahrer, mit einer solchen Hiobsbotschaft umzugehen. Das Leben geht weiter.» Er kennt diese Situation: Vor sieben Jahren musste Franjo von Allmen den überraschenden Tod seines Vaters verkraften. (aargauerzeitung.ch)
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