Als um 01:25 Uhr Londoner Zeit der letzte Vorhang fällt, fliessen die Tränen. «Ich bin glücklich, nicht traurig. Es war ein fantastischer Abend und ich fühle mich so, wie ich es mir gewünscht hatte. Ich wollte mich nicht einsam fühlen da draussen», sagt Roger Federer. Es fliessen Tränen. Bei ihm. Bei Rafael Nadal. Bei seiner Frau Mirka. Bei seinen Kindern.
Alle sind gekommen für das letzte Spiel seiner Karriere. Die vier Kinder – Myla und Charlene, Leo und Lenny. Die Eltern, Robert und Lynette. Als Federer ihnen ein letztes Mal dankt, wirft seine Frau ihm Luftküsse zu. Und er sagt: «Ohne dich, ohne euch wäre das alles nicht möglich gewesen.»
Vorteil, Aufschlag, Rückschlag, Fehler, Break, Love, Sieg und Niederlage – das Tennis spricht die Spraches des Lebens. Jedes Spiel bildet es im Kleinen ab, kennt Höhen und Tiefen. Eine Analogie auf das Leben.
Roger Federer hat 1526 Spiele im Einzel bestritten, dazu 224 im Doppel. «Die letzten 24 Jahre fühlen sich für mich so an, als wären es 24 Stunden gewesen. Ich habe gelacht und geweint, fühlte Freude und Schmerz, und am meisten fühlte ich mich unglaublich lebendig. Für mich fühlt es sich an, als hätte ich schon ein ganzes Leben gelebt», sagte der Baselbieter.
Zum ersten und letzten Mal seit seinem Viertelfinal-Aus in Wimbledon im Juli 2021 stand Federer auf dem Platz. Dass er beim Laver Cup das Doppel an der Seite seines Freundes Rafael Nadal im Team Europa gegen die beiden Amerikaner Frances Tiafoe und Jack Sock für das Team World nach vergebenem Matchball mit 6:4, 6:7 (2:7), 9:11 verliert? Ist eine Randnotiz.
Der Abschied wühlt ihn auf, er fällt ihm schwer. Weil er nicht bereit ist dafür. «Aber die Signale meines Körpers waren zuletzt klar. Ich muss einsehen, dass es vorbei ist. Der Moment stimmt, auch wenn er schmerzt.»
Tennis ist ein Einzelsport, es gibt nur einen Sieger und viele Verlierer, für die sich niemand interessiert. Sie gehen durch die Hintertür. Abschiede sind einsam. Nicht für Federer. Er wird begleitet von seiner Tennisfamilie.
Im letzten Spiel hat er mit Rafael Nadal einen Rivalen an seiner Seite, der zum Freund geworden ist. Die letzten Tage verbrachte Federer in bester Gesellschaft. Alle Grössen waren da. Mit Rod Laver, Björn Borg und John McEnroe die Vergangenheit. Mit Nadal und Novak Djokovic die Gegenwart, dazu Andy Murray. Und mit Félix Auger-Aliassime, der auf den Tag genau 19 Jahre jünger ist als er, oder Frances Tiafoe die Zukunft des Tennis.
Und das beim Laver Cup. Einem Turnier, bei dem Rivalen zu Verbündeten werden. Ein Wettbewerb, den Federer initiiert hat. Es ist sein Vermächtnis ans Tennis, eine Liebeserklärung. In London. In der Stadt seiner grössten Erfolge. Federer genoss die letzten Stunden im Kreis der Tennisfamilie.
Als er um 13.10 Uhr Ortszeit als letzter Spieler des Teams Europa auf den Platz lief, war es, als würde ein Orkan durch die O2-Arena fegen. Wie immer in den letzten zwanzig Jahren. Wie überall. Ein letztes Mal.
Die ersten Spiele verfolgte er mal mitfiebernd an der Seitenlinie, mal aus der Kabine – dort in sich gekehrt und nur von Kameras beobachtet.
Spätestens um 23.00 Uhr Ortszeit, als Roger Federer ein letztes Mal als Tennisprofi die Bühne betrat, im Lichtkegel der Scheinwerfer, Augen und Kameras auf ihn gerichtet, im Fokus der Weltöffentlichkeit, an der Seite von Rafael Nadal, die Stimmung am Siedepunkt, da war klar: Er lag falsch.
Seine Karriere endet, wie er es nicht für möglich gehalten hätte: kitschig. Nach 20 Grand-Slam-Titeln, 310 Wochen als Nummer 1 der Welt, mit Olympiagold im Doppel und Silber im Einzel, mit 103 Turniersiegen.
Federer fürchtete Tränen und Emotionen, den Moment, wenn der letzte Vorhang fällt. «Weil ich nicht will, dass es wie bei einer Beerdigung wird. Es soll fröhlich sein, kraftvoll, ein grosses Fest.» Trotz Wehmut, trotz Tränen – bei ihm und bei seinem Anhang. Die Angst war unbegründet.
Es wurde ein Fest. Es wurde, was es sein sollte: Kein Adieu, sondern ein Au revoir von seiner Tennisfamilie – vor den Augen seiner Liebsten. Au revoir vor seinen Eltern, Mirka und den vier Kindern Seine Eltern Robert und Lynette waren da, seine Frau Mirka, von der er sagte: «Sie hat es nicht mehr genossen, mir zuzuschauen. Für sie ist es eine grosse Erleichterung, dass es vorbei ist.» Und seine vier Kinder: Charlene, Myla, Leo und Lenny.
Severin Lüthi, der immer mehr war als «nur» sein Trainer. Auch sein Jugendfreund Marco Chiudinelli reiste nach London. Vermutlich verbargen sich in der Masse noch andere, die Federer viel bedeuten, die aber lieber unerkannt blieben. Dass sie an diesem Abend an seiner Seite waren, Jahrzehnte nach dem Vorstoss an die Weltspitze, machte den Abschied vielleicht nicht einfacher, nicht weniger berührend. Aber weniger einsam.
Von all den Geschenken, die ihm der Tennissport gemacht habe, seien die Menschen, denen er im Laufe der Zeit begegnet sei, das Grösste: «Meine Freunde, meine Konkurrenten und vor allem die Fans, die dem Sport sein Leben einhauchen.» Wie immer. Wie in London. Ein letztes Mal.
Für Roger Federer spricht Tennis nicht nur die Sprache des Lebens. Es ist sein Leben. «Mir wurde ein besonderes Talent für Tennis gegeben, und ich habe es auf einem Niveau gespielt, das ich mir nie hätte vorstellen können, viel länger, als ich es für möglich gehalten hätte», sagte der 41-Jährige.
«Ich betrachte mich als einen der glücklichsten Menschen der Welt.» Es war das Ende für Federers letzten Tanz. Und ein bisschen wie immer. (aargauerzeitung.ch)
Ich bin schon etwas älter und kenne kein Sportler der weltweit so beliebt ist/war. Du bist ein Ausnahmesportler welcher auch stets Fairness und Respekt vor Deinen Gegner gelebt hat.
Für die Zukunft wünsche ich Dir Und Deiner Familie viel Glück 🌹👏🍻
Es steht in totalem Kontrast zum lustigen 'Lachkrampf-Interview' - und ist doch Zeugnis vom genau Gleichen: Von einer aussergewöhnlichen freundschaftlichen Verbindung zweier Ausnahmesportler, zweier, die sich wirklich erkennen und verstehen.
Welch grossartige Karriere, welch grossartigen Momente, die Du erlebt und uns geschenkt hast! Danke, Roger.
Long live the King!
Es ist keine ‚Unvollendete‘ sondern eine runde Geschichte einer beispiellosen Karriere. Danke für so viel Geschick und vor allem Deine ‚Liebe zum Spiel‘, die mich und auch meine Söhne nach wie vor inspiriert.
Mach‘s gut! Bis bald!
PS: Ich hoffe Rafa gehts mittlerweile wieder besser… es war schön Euch zwei so vereint zu sehen…