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Der Dichterfürst Mark Twain hat nichts von Tennis verstanden. Aber eine seiner Weisheiten bringt das Erfolgsrezept unseres Tennis-Doppels auf den Punkt gebracht. «Alles, was es braucht, ist Ignoranz und Selbstvertrauen.»
Der Triumph im Achtelfinale gegen das amerikanische Doppel Bethanie Mattek- Sands/Coco Vandeweghe (6:4, 6:4) ist ein Sieg des Selbstvertrauens – und der Ignoranz. An die eigenen Möglichkeiten glauben und ignorieren, dass man ja vor Rio noch gar nie zusammen ein Doppel gespielt hat. Ignorieren, dass dies alles kein von langer Hand geplanter Medaillen-Feldzug ist. Sondern eine Feuerwehrübung. Scheitern wäre logisch und entschuldbar.
Die Steigerung gegenüber der ersten Partie ist verblüffend. Den Sieg in der ersten Runde hatte Martina Hingis magistral orchestriert. Es war ihr Erfolg. Sie gewann, um es boshaft zu formulieren, die erste olympische Doppel-Partie nicht mit sondern trotz Timea Bacsinszky.
Nun haben die beiden Schweizerinnen knapp 39 Stunden später beinahe auf Augenhöhe gespielt. Noch immer ist Martina Hingis die wichtigere der beiden Spielerinnen und sie wir es bleiben. Taktisch schlauer, charismatischer, flinker, explosiver, eleganter.
Aber ihre Partnerin aus dem Welschland ist aufgeblüht. Ja sie ist über Nacht beinahe eine neue Spielerin geworden. Ihre Verunsicherung nach dem Ausscheiden im Einzel hat sich aufgelöst wie Nebel in der Morgensonne. Ihr Selbstvertrauen ist zurück. Sie wirkt auf dem Platz nicht mehr nervös, verzagt und ängstlich. Wir haben am Geburtstag von Roger Federer eine «neue» Timea Bacsinszky und damit ein «neues» Doppel gesehen.
Das Spiel wirkt nicht mehr improvisiert. Sondern durchdacht. Nicht mehr hektisch, sondern ruhig und präzis. Nun ergänzen sich die beiden Spielerinnen. Es war nicht mehr Martina Hingis, die ständig die taktischen und spielerischen Notfälle auf dem Platz bereinigen musste. Timea Bacsinszky hat eine defensivere Rolle übernommen und Martina Hingis kann ihr enormes Talent besser umsetzen.
Um es an einem Beispiel aus einer anderen Sportart zu erklären: Es ist so, wie wenn Roman Josi nun nicht mehr mit Robin Grossmann sondern mit Timo Helbling an der blauen Linie verteidigt und es wagen darf, sich mehr um die Offensive zu kümmern.
Martina Hingis lobt Timea Bacsinszky ausgiebig. Sie sei stolz auf die Leistung ihrer Partnerin, die mutig «wie ein Soldat» am Netz gestanden sei. Die Chemie stimme. Timea Bacsinszky sagt, sie und Martina Hingis seien taktische Spielerinnen. «Wir verstehen das Spiel und können es gut lesen.» Das erkläre die schnellen Fortschritte. Und ganz offensichtlich hatte Timea Bacsinszky in dieser zweiten Partie viel mehr Energie.
Das erste Doppel hatte sie am Samstag etwas mehr als drei Stunden nach der verlorenen Einzelpartie bestritten. Sie sagt, es sei nicht möglich gewesen, sich dazwischen richtig zu verpflegen. Während des Doppels sei ihr dann «das Benzin» ausgegangen und gegen Schluss habe sie deswegen Muskelkrämpfe bekommen. Nun waren die Energietanks wieder gefüllt.
Vielleicht war ja auch noch ein bisschen Voodoo dabei. Delegationsleiter Severin Lüthi, unser Tennis-General, von dessen olympischer Tennis-Armee nach der Fahnenflucht der Männer (Roger Federer, Stan Wawrinka) nur noch der «Frauenhilfsdienst» übrig geblieben ist, setzt sich zusammen mit zwei Begleitern keck auf die Fotografenplätze neben dem Court.
Die Partie beginnt nicht gut, bald liegen Martina Hingis und Timea Bacsinszky im ersten Satz nach drei Games 1:2 zurück. Da steigt unverhofft der Schiedsrichter von seinem Stuhl herunter und komplimentiert den Schweizer Delegationschef samt Entourage hinaus.
Hatte er sich ungebührlich benommen? Unerlaubterweise taktische Anweisungen erteilt? «Nein» sagt Martina Hingis. «Wir waren auf das Spiel konzentriert und haben ihn gar nicht wahrgenommen.» Aber eine Wirkung hatte die Episode doch. Sobald Severin Lüthi auf der Zuschauertribüne Platz genommen hatte und nicht mehr am Platzrand sass, begann das Spiel unseres Doppels zu laufen und der Sieg stand nie mehr in Frage. «Also damit hat Severin Lüthi nichts zu tun» relativiert Martina Hingis. Vielleicht hat es doch ein wenig geholfen. «Stets liegt, wo das Banner des Sieges wallt, der Aberglaube im Hinterhalt» sagte einst der Dichter Graf August von Platen.
Im Viertelfinal wartet nun das an Nummer 3 gesetzte Geschwisterpaar Hao-Ching Chang/Yung-Jan Chan aus Taiwan.
Der Silberstreifen am Horizont bekommt eine goldene Einfärbung. Einerseits weil eine weitere Steigerung unseres Doppels zu erwarten ist und andererseits, weil die Favoritinnen Venus und Serena Williams ebenso überraschend bereits ausgeschieden sind wie die als Nummer 2 gesetzten Französinnen Caroline Garcia/Kristina Mladenovic.
Martina Hingis kann eine Medaille gewinnen. Nicht mehr trotz, sondern mit und vielleicht am Ende gar dank Timea Bacsinszky.