Wenn Rafael Nadal trainiert, ist das ein Ereignis: Selten sind es weniger als zwei Stunden am Stück, und die Einheiten sind jeweils von einer Intensität geprägt, die selbst seine Konkurrenten in Staunen versetzt. Jüngst liess er sich in Rom nach einem 6:3, 6:1-Sieg in nur 76 Minuten noch auf dem Weg ans Netz einen Trainingsplatz reservieren. Nicht etwa für den Folgetag, sondern im Anschluss an den Sieg. Das ist das Arbeitsethos, das Nadal zu einem der Besten in der Geschichte des Männertennis gemacht hat.
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— Roland-Garros (@rolandgarros) May 19, 2022
13-time #RolandGarros champion @RafaelNadal makes his first practice appearance in Paris: https://t.co/TtT1lqmOjN pic.twitter.com/CWT3uwlTFY
Nirgendwo gilt das mehr als in Paris, wo Nadal mit 13 Titeln Rekordsieger ist. Am Mittwochmittag traf der Spanier, der im Juni seinen 36. Geburtstag feiert, in Frankreich ein, am frühen Abend trainierte er bereits auf dem Court Philippe Chatrier. Erstmals öffnen die Organisatoren der French Open ihre Tore zu Trainings für Zuschauer. Über 2000 waren zugegen, als Nadal mit seinem Landsmann Jaume Munar zwei Trainingssätze spielte.
Das war auch deshalb ein Ereignis, weil es wieder einmal Fragezeichen um die Gesundheit Nadals gibt. In Rom spielte er seinen Viertelfinal zwar zu Ende, konnte sich am aber kaum noch bewegen, so grosse Schmerzen bereitete ihm der linke Fuss. Sie liessen sich nicht mehr kaschieren. «Ich bin nicht verletzt. Ich bin nein Spieler, der mit einer Verletzung lebt», parierte er danach Fragen. «Manchmal ist es schwer, das zu akzeptieren.»
Nadal leidet am Müller-Weiss-Syndrom, einer Knochenkrankheit, die bei ihm zu einer Deformierung des Kahnbeins im Mittelfuss führte. Es sind Beschwerden, die jederzeit und unvermittelt auftreten können. Wie in Rom, wo Nadal den ersten Satz nach Belieben dominiert und mit 6:1 gewonnen hatte. So gesehen ist es nur schwer vorstellbar, dass er in Paris während zwei Wochen und in sieben Spielen beschwerdefrei bleiben wird.
Das zermürbt, auch einen Rafael Nadal, durch dessen Karriere sich Verletzungen wie ein roter Faden ziehen. In Rom sagte er: «Es wird ein Moment kommen, in dem mein Kopf sagt, genug ist genug, weil der Schmerz mir das Glück nimmt. Nicht nur fürs Tennis, sondern für mein Leben.» Dass er auch sagte, er wolle seinen Traum, in Paris, einen 14. Titel zu gewinnen, nicht aufgeben, ging im Rauschen der Resignation unter.
In Roland Garros ist Rafael Nadal eine lebende Legende. Kein anderer Spieler hat ein einzelnes Grand-Slam-Turnier öfter gewonnen als er in Paris. 13 Mal hat er seit 2005 gewonnen, 105 Siegen stehen 3 Niederlagen gegen 2 Spieler gegenüber: 2009 unterlag Nadal dem Schweden Robin Söderling. Gleich zwei Mal gelang Novak Djokovic das Kunststück, Nadal in Roland-Garros zu bezwingen: 2015 in den Viertelfinals und im Vorjahr im Halbfinal. Die drei Finalduelle gegen den Serben (2012, 2014 und 2020) konnte der Spanier für sich entscheiden – wie alle anderen 13 Paris-Finals.
Doch im Halbfinal-Erfolg Djokovics im Vorjahr sehen viele auch in Paris eine Zeitenwende. Patrick Mouratoglou, der schon Serena Williams und Stefanos Tsitsipas betreute und neuerdings als Trainer von Simona Halep amtet, sagt: «Wenn er in Bestform ist, ist Djokovic der beste Spieler der Welt, auch auf Sand.» Eine Einschätzung, die auch der dreifache French-Open-Sieger Mats Wilander teilt, der sagt: «Djokovic wird unglaublich hungrig sein. Er ist im Kopf und im Herzen ausgeruht. Für die physische Fitness konnte er sich seinen Trainingsplan perfekt zusammenstellen.»
Für Rafael Nadal hingegen haben alte Gewissheiten keine Gültigkeit mehr. Mit Ausnahme von 2020, als wegen der Pandemie nur in Rom gespielt werden konnte, hat er seit 2005 immer mindestens eines der drei grossen Masters-Turniere (Monte Carlo, Madrid und Rom) gewonnen. 2015 gewann er im März in Buenos Aires ein kleineres Turnier. Nun hat er erstmals seit 2003 vor den French Open noch kein einziges Turnier auf Sand gewonnen.
Nachdem Nadal in Madrid am 19-jährigen Carlos Alcaraz gescheitert war und in Rom einen resignierten Eindruck hinterlassen hatte, gilt er in Paris nach Novak Djokovic und Landsmann Alcaraz «nur» als dritter Anwärter auf den Sieg. Das alles dürfte Nadal wenig kümmern, viel zu sehr ist er mit seinem Körper beschäftigt. Im Training liess er sich nicht anmerken, ob ihn der Fuss behindert, Fragen danach lässt er kaum zu. Rafael Nadal, der Rekordsieger der French Open, macht gute Miene zum bösen Spiel.
ja, er hat genug an Jahren und finanzieller Sicherheit um aufzuhören, aber es ist ganz allein seine Entscheidung.