Zwei Jahrzehnte lang blieb seine Bestzeit unangetastet. Der Baske Iban Mayo bewältigte die 21,6 Kilometer von Bédoin zum Mont Ventoux hinauf in 55:51 Minuten. Nun ist er seinen Rekord am «kahlen Riesen der Provence», diesem so mythischen Berg, los.
In der 16. Etappe der Tour de France schrieb sich Tadej Pogacar ein weiteres Mal in die Geschichtsbücher des Radsports ein. Er war, je nach Quelle (1, 2, 3), mindestens 70 Sekunden schneller oben als Mayo 2004. Sein Herausforderer Jonas Vingegaard war nur zwei Sekunden langsamer als Pogacar im Maillot Jaune.
Der Blog «Lanterne Rouge», der sich in der Daten-Analyse von Velorennen einen Namen geschaffen hat, schreibt von einer «aussergewöhnlichen Leistung». Pogacar und Vingegaard hätten für «die beste Leistung an einem langen Anstieg überhaupt» gesorgt.
Fast eine Stunde lang war das Duo in der Lage, 6,52 eW/kg (Vingegaard) bzw. 6,44 eW/kg (Pogacar) zu leisten. Auch der Gesamtdritte Florian Lipowitz und Primoz Roglic blieben unter dem alten Rekord. Dabei muss man wissen: Iban Mayo stellte ihn in einem Bergzeitfahren auf. Also ohne eine vorherige Belastung, wie sie die Fahrer dieses Mal hatten.
Allerdings: Die Anfahrt am Dienstag war zwar 150 Kilometer lang, aber weitgehend flach. Und: Die Etappe fand nach einem Ruhetag statt. Die Anfahrt könnte Pogacar und Vingegaard, den beiden Entrückten, als Einrollen gedient haben.
«Es gab Momente, in denen ich gelitten habe», sagte Leader Pogacar. «Aber heute war es nur ein Anstieg, eine Anstrengung, und es war mehr oder weniger Vollgas von unten bis zur Ziellinie.» Dabei leidet der slowenische Weltmeister seit einigen Tagen an Halsschmerzen, die ihn offensichtlich nicht beeinträchtigten.
Es ist ein alljährlich im Juli wiederkehrender Reflex, dass sich Kritiker des Radsports bei solchen Leistungen schneller aus der Deckung wagen, als Mario Cipollini sprinten konnte. Ihre Anklage: Wie anders als mit Doping soll das noch zu erklären sein?!
Eine Antwort auf diese Frage gibt es nicht – jedenfalls nicht im Moment. Sünder wurden auch schon Jahre später überführt, als man ihre Proben mit neuen Methoden nochmals prüfte.
Die Protagonisten betonen die vielen Fortschritte, die auf verschiedenen Gebieten erzielt worden sind. Die Velos sind heute besser als vor zwanzig Jahren, dank verbesserter Aerodynamik lässt sich Energie sparen. Die Pneus wurden breiter und werden mit weniger Druck gefahren, die Kleidung windschlüpfiger designt.
Von «Marginal gains» ist im Radsport jeweils die Rede, von vielen vermeintlich unscheinbaren Verbesserungen, die in ihrer Summe zu einer deutlichen führen. Gerade auch bezüglich Ernährung setzte sich zuletzt eine Entwicklung durch, die während der Etappe auf drei Mal mehr Kohlenhydrate setzt, als noch vor wenigen Jahren üblich waren.
Beweise gibt es nicht, dass die heutigen Spitzenfahrer Spritzenfahrer wie ihre Vorgänger sind. Und so gilt für sie die Unschuld, auch wenn manch ein Beobachter, ob sachkundig oder nicht, kaum glauben will, welche Leistungen ein Mensch erbringen kann.