Ausgerechnet vor Olympia-Saison: Frankreichs dominante Biathletinnen versinken im Chaos
Die neue Biathlon-Saison steht kurz bevor: Am 29. November geht es für die Frauen mit der 4x6-Kilometer-Staffel in Östersund in Schweden los. Auch das französische Team wird an den Start gehen. In welcher Verfassung sich die Mannschaft um Leistungsträgerin Lou Jeanmonnot befindet, wird mit Spannung von den Fans erwartet. Zuletzt kam das Team nicht zur Ruhe – denn ein Skandal nach dem anderen wurde bekannt.
Los ging es öffentlich im Frühjahr 2023. Damals zeigte Olympiasiegerin Justine Braisaz-Bouchet ihre Teamkollegin Julia Simon an. Warum? Intern waren im September 2022 Betrugsvorwürfe gegen die zehnfache Weltmeisterin aufgekommen. Braisaz-Bouchet beschuldigte Simon, von ihr und einem weiteren Teammitglied Kreditkarten gestohlen zu haben und damit im Sommer 2022 im Internet eingekauft zu haben. Insgesamt soll die Täterin 2400 Euro ausgegeben und immer wieder auch kleinere Geldbeträge gestohlen haben. Simon wurde erst einmal vom Teamtraining ausgeschlossen und war kurz in polizeilichem Gewahrsam.
Simon bestritt die Vorwürfe erst und beteuerte, selbst Opfer von Betrügereien geworden zu sein. Die Spannungen in der Mannschaft bauten sich auf. Braisaz-Bouchet betonte damals bei Eurosport Frankreich im negativen Sinne, dass ihre Beziehung zu Simon «etwas Besonderes» sei. Als Letztere wieder ins Training zurückkehrte, erklärte Braisaz-Bouchet damals, dass sie sich auf die «sportliche Karriere konzentrieren» wolle. Die Anzeige empfand sie als gerechtfertigt: «Ich habe das getan, was ich tun muss, gemäss meinen Werten.»
Strafe für Simon verärgert Björndalen
Vor wenigen Wochen gab Simon dann vor dem Strafgericht in Albertville die Vorwürfe des Betruges zu. Sie wurde Ende Oktober zu einer dreimonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt und muss zudem eine Geldstrafe in Höhe von 15'000 Euro zahlen. Hinzu kommen die Verfahrenskosten für Justine Braisaz-Bouchet, die Simon ebenfalls übernehmen muss. Simon sagte, dass sie eine Art «Blackout» gehabt habe. Sie führte aus: «Ich kann mich nicht daran erinnern, diese Taten begangen zu haben.»
Der französische Skiverband (FFS) forderte eine symbolische Schadenszahlung von einem Euro. Zudem hat er Julia Simon für sechs Monate gesperrt, die Sperre begann am 7. November. Allerdings sind fünf der sechs Monate auf Bewährung. Sprich: Simon verpasst zwar den Saisonauftakt, wird jedoch an den Olympischen Spielen im Februar des kommenden Jahres in Mailand und Cortina d'Ampezzo teilnehmen können. Durch die Bewährungsstrafe kann Simon zudem normal trainieren und wird keine Nachteile bei dem Grossereignis haben.
Kleptomanie bei Simon? «Mir tut es unfassbar leid für sie»
Für Biathlon-Star Ole Einar Björndalen unverständlich. Der achtfache Olympiasieger kritisierte beim norwegischen Sender TV2: «Es war überraschend, dass das Urteil so mild ausfiel. Der ganze Fall war für mich schon unbegreiflich, als ich zum ersten Mal davon gehört habe. Jetzt wurde sie in fünf Fällen schuldig gesprochen, was es für mich nur noch unbegreiflicher macht.»
Der deutsche Biathlet David Zobel sagte im Podcast «Extrarunde» zu dem Fall: «Ganz schwierige Geschichte.» Es gab Spekulationen, dass Simon möglicherweise an Kleptomanie leiden könnte. Mit Bezug darauf meinte Zobel: «Ich hatte auch gehört, dass man ihr das schon auch häufiger angeboten hat, dass sie einfach das Geld zurückzahlt, sich entschuldigt und dann in Therapie begibt.» Er führte aus: «Es ist schade, dass sie sich nicht früher eingestehen konnte, dass sie da ein Problem hat. Mir tut es unfassbar leid für sie.»
Richard soll Gewehr von Teamkollegin manipuliert haben
Doch nicht nur Simon scheint ein Fehlverhalten begangen zu haben. Auch gegen Jeanne Richard gibt es laut dem französischen Portal «Dicodusport» Vorwürfe. Demnach soll die 23-Jährige das Gewehr ihrer Teamkollegin Océane Michelon manipuliert haben. Und wieder war offenbar Braisaz-Bouchet involviert. Sie habe die mutmassliche Täterin Richard Ende der vergangenen Saison wohl auf frischer Tat ertappt. Auch «Le Dauphiné libéré» berichtete von dem Vorfall, der laut der Zeitung intern geklärt worden sei.
Richard habe die Vorwürfe demnach bestritten. Allerdings soll der Vorfall laut den Berichten die schon bestehenden Spannungen innerhalb des Teams – durch die Simon-Affäre – weiter verstärkt haben. Der frühere schwedische Biathlet und heutige TV-Experte Björn Ferry sagte beim Sender SVT: «Das ist eine der gemeinsten Sachen, die man machen kann. Es ist, als würde ein Langläufer Klebstoff auf seine Skier schmieren oder eine Bindung abschrauben.»
Der Olympiasieger von 2010 weiter: «Die Ausrüstung eines Konkurrenten zu manipulieren, ist wirklich ein grobes Vergehen. Mir fällt es schwer zu verstehen, wie jemand, der so etwas einem Teammitglied antut, überhaupt noch Teil einer Nationalmannschaft sein kann.» Weil Richard nicht am Trainingsauftakt der Sommersaison teilnahm, vermutete «Dicodusport», dass dies die Strafe für die junge Athletin gewesen sein könnte. Genaueres ist nicht bekannt.
Allerdings stellt sich die Frage, wie ein Team, das in den letzten Jahren und Wochen so viele Turbulenzen erlebt hat, nun in der kommenden Saison abschneiden wird. Braisaz-Bouchet betonte Anfang November auf einer Pressekonferenz im Trainingslager zu dem Fall Simon: «Es gab ein Urteil, und man könnte sagen, dass dieses Urteil es ermöglicht, sich noch mehr auf den Sport zu konzentrieren.» Sie führte aus: «Es ist mein Traum, an diesen Olympischen Spielen teilzunehmen und die besten Jahre meiner Karriere zu erleben.»
Hoffnungsträgerin der Franzosen ist wieder Lou Jeanmonnot, die sich aus allem herauszuhalten scheint und in der vergangenen Saison Vize-Gesamtweltcupsiegerin hinter DSV-Star Franziska Preuss wurde.

