Er verkaufte Toilettenpapier ohne Kartonrolle, gründete eine Plattform, um den Tod zu digitalisieren, wollte einen Mangoschnaps verkaufen und mit einem Nachhilfeportal durchstarten. Alan Frei versuchte alles, um als Unternehmer Erfolg zu haben – nichts davon funktionierte. Er gründete acht Firmen, die floppten, und hatte fünfzig Geschäftsideen, die scheiterten. Mit Anfang 30 hatte Frei keinen einzigen Rappen mehr auf dem Konto. Auf seinem Smartphone führt er seine ganz persönliche Liste des Scheiterns.
Als er mit seiner 51. Idee ankam, verdrehten seine Freunde nur die Augen. Frei sagte: Jetzt verkaufe ich Dildos. Ein Volltreffer. 2014 gründete er mit seinem Geschäftspartner Lukas Speiser den Erotik-Online-Shop. Als sie anboten, dass Rekruten ihren Freundinnen kostenlose «Fresspäckli» mit Sexspielzeug nach Hause schicken konnten, griff die Gratiszeitung «20 Minuten» die Idee auf – die Bestellungen gingen durch die Decke. 2020 verkaufte Frei Amorana an den britischen Sextoy-Hersteller Lovehoney.
Wie viel Geld ihm das eingebracht hat, verrät er nicht. Doch es ist so viel, dass Frei während zweieinhalb Jahren als Minimalist in einem Zürcher Hotel leben konnte und keine Geldsorgen mehr kennt. Branchenkenner gehen von mehreren Millionen Franken aus. Geblieben sind der Spitzname Dildo-Alan, der unbändige Gestaltungswille und ein Kopf voller Ideen.
Als er Amorana verkauft, erreicht Frei als Unternehmer seinen vorläufigen Höhepunkt – und schlägt zugleich körperlich am Tiefpunkt auf. Ende des letzten Jahres brachte er 102 Kilogramm auf die Waage. Zu viel.
Doch Frei wäre nicht Frei, würde er nicht auch darin eine Chance erkennen. Sein Motto: «From obese to the Olympics». Sein Ziel: Er will an den Olympischen Spielen teilnehmen. Er sagt: «Ich werde 2026 in Mailand als Olympiateilnehmer in dieses Stadion einlaufen. Auf Biegen und Brechen.»
Für die Schweiz, das Land seines Vaters, kommt das nicht infrage. Doch Freis Mutter stammt aus den Philippinen, seit 15 Jahren ist auch er Besitzer eines Passes. Sommerspiele sind nicht realistisch, doch die Philippinen sind kein Wintersportland. Frei beauftragt ein Anwaltsbüro, zu evaluieren, wo er die besten Chancen hat. Die Antwort? Langlauf, Biathlon oder Ski. Im Ski Alpin gibt es mit Asa Miller einen Philippiner, der das Land schon zwei Mal an Olympischen Spielen vertreten hat. Ihm will Frei den Platz nicht streitig machen. Dazu kommt, dass er sich auch auf Langlaufskiern nicht wohl fühlt. Frei sagt: «Ich lag mehr am Boden und im Schnee.»
Sein Glück ist, dass er seinen Olympia-Traum nicht im Stillen träumt. So wird Christian Haller auf Frei aufmerksam. Er ist Halb-Philippiner – und auch er will an die Olympischen Spiele. Und er weiss: Mit den Gebrüdern Marc und Enrico Pfister gibt es in der Schweiz zwei frühere Spitzencurler, die schon an Weltmeisterschaften teilnahmen – und Wurzeln im 100-Millionen-Land im Pazifik haben. Was ihnen fehlt, ist ein vierter Mann.
Die Lösung des Problems heisst Alan Frei, der bis im April noch nie Curling gespielt hatte. Er sagt: «Ich habe ihnen versprochen, dass dieses Team das bestgesponserte sein wird und dass ich hart trainieren werde. Da haben sie gemerkt, dass ich es ernst meine.» Seither investiert Frei täglich drei bis vier Stunden in den Sport. Kardio- und Krafttraining am Morgen, Curling am Nachmittag. Frei scheut dabei weder Kosten noch Mühen. Mit Marcel Käufeler engagiert er einen ehemaligen Vize-Europameister als Trainer.
Seine Mitstreiter sieht Frei nur alle zwei Monate. Er sagt: «In unserem Team spielen zwei Halb-Filipinos aus dem Emmental, einer arbeitet auf dem Abbruch, der dritte ist Elektriker, einer bei der ZKB, und ich habe Dildos verkauft. So fangen eigentlich Witze an.» Doch Frei meint es ernst.
Für die Pfister-Brüder organisiert er im Schnellverfahren philippinische Pässe. Er gründet den Philippinischen Curlingverband, sorgt dafür, dass dieser im nationalen Olympischen Komitee Aufnahme findet. Daneben trainiert er diszipliniert. 20 Kilogramm hat Alan Frei bereits abgespeckt.
Wer ihm dabei zusieht, wie er im Curling Center Baden Regio seine Steine spielt, würde nicht auf die Idee kommen, dass Frei ein blutiger Anfänger ist. Anders sieht es beim Wischen aus. Das sei sein grosser Schwachpunkt.
Was waren seine Gedanken, als er das erste Mal auf dem Eis stand? «Es ist verdammt rutschig und kalt», sagt Frei und lacht. Am Anfang habe ihm das Curling «null Spass» gemacht. «Doch inzwischen freue ich mich enorm. Wenn ich trainiere, bin ich die glücklichste Person der Welt.» Curling sei ein physisch wie auch mental und strategisch hochinteressantes Spiel.
Mitte September werden die Philippinen im Weltverband aufgenommen. Anfang Oktober spielen sie in Prag erstmals ein Turnier der World Tour. «Mein erster Stein ging hinten raus. Auch der zweite war unbrauchbar», sagt Frei. Und beim Wischen fällt er hin. Doch Frei legt die Nervosität ab, die Philippinen ziehen in den Final ein und werden am Ende Zweiter.
Als Unternehmer ist Frei ein Macher, im Team mit drei talentierten Curlern spiele er eine ganz andere Rolle. «Ich kann kein Spiel gewinnen. Aber wenn meine Steine schlecht sind, müssen meine Kollegen schwierigere Steine spielen.» Heisst: Frei muss Schadensbegrenzung betreiben. «Und ich muss wischen und drei, vier Sprüche pro Spiel machen für die Stimmung.»
Der Weg an die Olympischen Spiele führt über die Pan-Continental-Spiele. Für die Teilnehmer geht es dort darum, sich für die Weltmeisterschaften zu qualifizieren. Ende Oktober erreichen die Philippinen im kanadischen Kelowna den Final, wo sie China unterliegen, das nur deshalb auf dieser Stufe spielt, weil es während der Coronapandemie nicht antreten konnte.
Ein unglücklicher Umstand, doch noch haben Alan Frei, die Pfister-Brüder und Christian Haller Zeit, ihren Traum von den Olympischen Spielen wahr werden zu lassen. Dafür müssen sie im Herbst 2024 die Pan Continental Games gewinnen. Frei sagt: «Am Anfang standen die Chancen, dass wir es schaffen, bei unter 1 Prozent. Inzwischen sehe ich sie bei 25 Prozent.»
Was, wenn er scheitert, wie das meistens der Fall war? Frei sagt: «Diese Frage stelle ich mir nicht. Auch als Unternehmer hatte ich nie einen Plan B.» Er hatte einfach so oft einen Plan A, bis dieser aufging. Die Olympia-Qualifikation mit den Philippinen im Curling wäre sein nächster Coup. (aargauerzeitung.ch)
Einmal hat das bereits geklappt, viel Erfolg bei diesem nächsten Versuch!