Er hätte auch zuwarten können, bekannte Donald Trump in seiner wirren Notrechts-Ankündigung im Rosengarten des Weissen Hauses. Es war kein Versprecher, es war die unmissverständliche Erklärung des Präsidenten, dass er sich einen Deut um die Verfassung kümmert.
Wie offensichtlich Trump gegen die Verfassung verstösst, erkennt ein Jus-Student im ersten Semester. In dem für Amerikaner so heiligen Dokument steht nämlich geschrieben, dass der Kongress die Oberhoheit über das Budget des Staates hat. Trump muss sich deshalb auf ein Gesetz aus den Siebzigerjahren stützen, das den Präsidenten zwar befugt, das Notrecht auszurufen, aber nicht bedingungslos.
Trump verstösst nicht nur gegen die Verfassung, er stützt sich auch auf lächerliche Lügen. So behauptet er, dass noch nie so viele Menschen illegal in die USA eingereist seien. Tatsache ist: Derzeit werden an der südlichen Grenze zu Mexiko halb so viele illegale Immigranten aufgehalten wie vor zehn Jahren.
Auch Trumps Aussage, in der texanischen Grenzstadt El Paso sei die Kriminalität nach dem Bau eines Grenzzauns massiv zurückgegangen, entbehrt jeder Grundlage. El Paso gehört seit langem zu den amerikanischen Städten mit der geringsten Kriminalität, und diese ist seit dem Zaun gar leicht angestiegen.
Ebenso stimmt es nicht, dass die amerikanischen Gefängnisse mit illegal eingereisten Kriminellen überquellen. Die Verbrechensquote der Immigranten ist tiefer als diejenige der US-Bürger, und die Zahl von kriminellen Immigranten in US-Gefängnissen ist vernachlässigbar.
Schliesslich werden die Drogen, von denen Trump spricht, nicht über unbewachte Grenzabschnitte geschmuggelt, sondern gelangen zu 90 Prozent über bewachte Grenzen ins Land.
Trump will seine Mauer erzwingen, nicht weil er die USA sicherer machen, sondern weil er seine Macht sichern will. Die Mauer ist für ihn die Lebensversicherung für seine Wiederwahl im Jahr 2020 geworden. Dafür ist er bereit, den Rechtsstaat und die Grand Old Party (GOP) unter den Bus zu schmeissen.
Dabei bedient sich Trump einer Methode, die Mussolini, Hitler & Co. schon mit Erfolg angewandt haben. Er sucht ein Thema, das seine Anhänger emotional anspricht und das er beliebig wiederholen kann. Bei Hitler waren es die Juden, bei Trump ist es die Mauer. Er muss bloss das Wort «wall» in den Mund nehmen, und seine Anhänger gehen ab wie die Rolling-Stones-Fans beim ersten Riff von «Satisfaction».
Von den Faschisten hat Trump auch gelernt, dass er die Partei in eine Bewegung verwandeln muss, die ihm hörig ist. Mit der GOP ist ihm dies weitgehend gelungen. Die einst konservative, aber immerhin noch strukturierte Partei hat sich in einen unkritischen Trump-Fan-Club verwandelt. Ehemals stolze republikanische Parteigrössen wie Mitch McConnell oder Lindsey Graham sind zu jämmerlichen Speichelleckern mutiert.
Mit dem Notrecht setzt Trump zur ultimativen Parteisäuberung an, und zwar wie folgt: Das demokratisch dominierte Abgeordnetenhaus wird in den kommenden Tagen eine «Petition des Missfallens» gegen das Notrecht verabschieden. Der republikanisch dominierte Senat wird dann gezwungen sein, ebenfalls über diese Petition abzustimmen.
Im Vorfeld haben mehrere republikanische Senatoren sich kritisch zum Ausrufen des Notrechts geäussert. Nun werden sie gezwungen, Farbe zu bekennen. Diejenigen, die sich Trump in den Weg stellen, werden die Wut der Trump-Bewegung zu spüren bekommen – und das kann sehr unangenehm werden.
Trump geht auch der liberalen Weltordnung an den Kragen. An der Münchner Sicherheitskonferenz hat sein Vize Mike Pence der Welt unmissverständlich den Tarif durchgegeben: Die Europäer müssten bitte schön den Atomvertrag mit dem Iran ebenfalls kündigen, auf chinesische IT-Technologie verzichten, und Deutschland solle sich doch die Sache mit der Nord-Stream-2-Pipeline nochmals gut überlegen.
Obwohl der Handelsstreit mit China noch nicht ausgestanden ist, will Trump nun auch noch einen Autostreit vor allem mit Deutschland anzetteln. Wer Autos in die USA importieren will, soll künftig darauf einen Strafzoll von 25 Prozent entrichten. Trump versetzt damit nicht nur den treuesten Verbündeten einen Schlag ins Gesicht, er riskiert auch eine Krise der Weltwirtschaft.
Selbstverständlich ist die faktische Begründung des Autokriegs mehr als dünn. Trump argumentiert wie bei den Stahl- und Aluminiumzöllen mit der nationalen Sicherheit, ohne einen einzigen Beweis dafür anzuführen. Dazu kommt, dass die deutsche Autoindustrie ein bedeutender Arbeitgeber in den USA geworden ist. So steht das grösste BMW-Werk heute nicht in Bayern, sondern in Spartanburg im Bundesstaat South Carolina.
Renommierte Historiker wie Anne Applebaum und Timothy Snyder oder die ehemalige US-Aussenministerin Madeleine Albright machen schon länger auf die faschistoiden Züge bei Trump aufmerksam. Das bedeutet keineswegs, dass in den USA bald Juden verfolgt oder gar Konzentrationslager errichtet werden. Es bedeutet jedoch, dass die amerikanische Demokratie in grosser Gefahr ist.
Allerdings gibt es auch Gründe, die hoffen lassen. Es ist durchaus möglich, dass die Ausrufung des Notrechts in einem präsidialen Debakel endet. Zunächst werden Richter verhindern, dass Trump an die 6,7 Milliarden Dollar kommt, die er hauptsächlich vom Militärbudget abzweigen will.
Das wird erstens Jahre dauern und zweitens ist es keineswegs sicher, dass der Oberste Gerichtshof Trump folgen wird. Das Justizsystem hat sich bisher als bemerkenswert resistent erwiesen.
Auch politisch könnte Trumps Notrecht-Bluff fehlschlagen. Auf Anraten von Stephen Miller, seinem Scharfmacher in Sachen Immigration – und übrigens ein Mann, der keinen Vergleich mit Goebbels zu fürchten braucht –, hat Trump bereits 2017 einen Deal ausgeschlagen, der ihm die Finanzierung der Mauer im Gegenzug zur Begnadigung der Dreamers gesichert hätte.
Miller argumentierte damals, eine knallharte Haltung in der Immigration werde den Republikanern einen Wahlsieg in den Midterms bescheren. Es kam anders: Die GOP erlitt ihre schlimmste Niederlage seit Watergate.
Mit der Emotionalisierung der Basis kann sich Trump die GOP gefügig machen, doch gleichzeitig schrumpft diese Basis täglich. Die unabhängigen Wähler wenden sich den Demokraten zu. Die loyalen – alte weisse Männer – sterben im wahrsten Sinn des Wortes. Die Millennials hingegen hegen keine Liebe für die Republikaner.
Trump muss sich auch in einem garstigen Medienumfeld bewegen. «New York Times», «Washington Post», MSNBC, CNN & Co. enthüllen täglich seine Lügen und die Korruption, die in seinem Umfeld herrscht. Stephen Colbert, Trevor Noah, Jimmy Kimmel & Co. ziehen ihn jeden Abend erbarmungslos durch den Kakao. Das sind Sorgen, die sich Putin und Erdogan nicht machen müssen.
Auch Trump möchte sich noch so gerne der Comedian-Plage entledigen. So hat er am Sonntag einmal mehr gegen die Satire-Sendung «Saturday Night Live» protestiert, in der Alec Baldwin seinen Auftritt im Rosengarten zum Gaudi der Zuschauer parodiert hat.