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Wie erwartet hat der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) heute in Wien keine Änderung seiner Zinssätze bekannt gegeben. EZB-Präsident Mario Draghi wird an seiner Politik des billigen Geldes festhalten, um damit die europäische Wirtschaft endlich wieder in Schwung zu bringen.
Zumindest nördlich des Rheins ist der Aufschwung bereits im Gang. Dank des billigen Euros und der effizienten Wirtschaft befindet sich die deutsche Wirtschaft seit Jahren in einem Dauerhoch.
Trotzdem ist Draghi unter Dauerbeschuss der Deutschen: Finanzminister Wolfgang Schäuble machte jüngst die EZB für den Vormarsch der AfD verantwortlich. Der Präsident der Bundesbank, Jens Weidmann, gehört zu Draghis Dauer-Mäklern, für die «Bild»-Zeitung ist Draghi ein beliebter Sündenbock, und regelmässig werden von Politikern und Ökonomen Klagen gegen die EZB beim Verfassungsgericht eingereicht. Warum eigentlich?
Die Abneigung gegen Draghi ist zunächst in der Mentalität begründet. Das Vorbild wirtschaftlicher Tugend in Deutschland ist die schwäbische Hausfrau. Sie ist sparsam und gibt nur das Geld aus, das sie auf der hohen Kante hat.
Sparen ist daher die oberste Bürgerpflicht nördlich des Rheins. 17 Prozent ihres verfügbaren Einkommens legen die Deutschen auf die Seite – nur die Schweden und wir Schweizer sparen noch mehr – und es ist wohl kein Zufall, dass bei ihnen ein Werbe-Slogan wie «Geiz ist geil» Kult werden konnte.
Auch der Mainstream der Ökonomen huldigt der schwäbischen Hausfrau. Der deutsche Ordoliberlismus geht davon aus, dass jedes Land für sich selbst verantwortlich ist. Die Kritik an den inzwischen exorbitanten Exportüberschüssen – wie sie regelmässig von den angelsächsischen Ökonomen vorgebracht wird – stösst auf heftige Ablehnung. Über das Thema Export kann man mit den Deutschen nicht mehr vernünftig diskutieren.
Die Kritik an Draghi hat jedoch auch handfeste Gründe: Die Deutschen sind nicht nur Sparer, sie sind sehr konservative Sparer. Aktien sind ihnen suspekt, der Totalcrash des Neuen Marktes zur Jahrhundertwende war ihnen wieder einmal eine Lehre. Gerademal 14 Prozent aller Deutschen halten Aktien.
Bloss rund die Hälfte der Deutschen besitzt zudem Wohneigentum, für europäische Verhältnisse ein tiefer Wert. Draghis tiefe Zinsen haben zwar auch den deutschen Immobilienmarkt befeuert, profitiert davon haben nur wenige.
Die Deutschen tragen ihr Geld am liebsten auf die Bank oder kaufen sich eine Lebensversicherungs-Police. Beides ist im aktuellen Tiefzinsumfeld eine schlechte Idee. Die beliebten Sparkassen verzinsen die Sparguthaben nicht mehr, ja weil die EZB derzeit ebenfalls Negativzinsen eingeführt hat, müssen die deutschen Sparer gar befürchten, für ihr Sparen bestraft zu werden.
Die Banken leiden ebenfalls unter den Negativzinsen. Gemäss Angaben der Bundesbank mussten sie im vergangenen Jahr 248 Millionen Euro Strafzinsen an die EZB überweisen. Sie können dies nicht wie die Schweizer Banken über höhere Hypothekarzinsen kompensieren, der hohe Wettbewerbsdruck der zersplitterten Bankenlandschaft lässt dies nicht zu.
Auch die Versicherer geraten zunehmend in Bedrängnis. Das zeigt ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Bundesbank. Die «Financial Times» fasst ihn wie folgt zusammen. «Im schlimmsten Fall muss damit gerechnet werden, dass 21 von 83 Versicherungsgesellschaften die Anforderungen an das Mindestkapital nicht mehr erfüllen.»
Für Europa ist die sparwütige schwäbische Hausfrau eine Bedrohung geworden. Martin Wolf, der Chefökonom der «Financial Times», beklagte sich jüngst darüber, dass Deutschland nicht einmal in der Lage sei, auch nur ein Drittel seiner Sparguthaben im eigenen Land anzulegen. Diese Politik will Berlin der gesamten Eurozone aufs Auge drücken. Wer aber soll die massiven Exportüberschüsse kaufen?
Wolf befürchtet deshalb, dass der deutsche Spar- und Exportwahn ganz Europa in eine lang anhaltende Stagnation führen wird. Die deutsche Kritik an Draghi hält er für völlig verfehlt. Anstatt an der EZB herumzukritteln, würden die Deutschen besser ihr Geld ausgeben und so die Wirtschaft ankurbeln. «Sollten die Deutschen der Überzeugung sein, dass dies das europäische Projekt ernsthaft gefährden würde, dann sollten sie von ihrer Exit-Option Gebrauch machen», rät Wolf.