Douglas Brinkley ist ein Historiker, der sich auf das Leben und Wirken von amerikanischen Präsidenten spezialisiert hat. Das Verhältnis von Trump zu seinem Vorgänger lässt ihn ratlos. Es gebe ein «ungeschriebenes Gesetz, dass man seinen Vorgänger mit einem gewissen Grad an Anstand» behandle, erklärte er gegenüber dem Wall Street Journal.
Dass man hingegen seinen Vorgänger eines Kapitalverbrechens bezichtigt, ist noch nie dagewesen. Genau das hat Trump am vergangenen Wochenende getan. Er hat Barack Obama angeklagt, ihn während der Wahlkampagne im Trump Tower durch die Geheimdienste abgehört zu haben. Gleichzeitig hat er seinen Vorgänger als «schlimm oder krank» bezeichnet.
Mit diesem Tweet hat Trump eine rote Linie überschritten. Diese Anschuldigungen können nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden, wie das meiste, das Trump via Twitter in die Welt hinausposaunt. Trifft der Vorwurf zu, dann hat Obama ein Kapitalverbrechen begangen, das der Staat verfolgen muss. Wenn nicht, dann ist der Präsident massiv in der Bedrouille. Im schlimmsten Fall droht ihm ein Impeachment-Verfahren.
Warum geht Trump dieses Risiko ein? Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Die offensichtlichste lautet: Er will von KremlGate ablenken. Dabei wird das Trump-Team beschuldigt, schon während des Wahlkampfes mit dem russischen Geheimdienst zusammengearbeitet zu haben.
Diese Anschuldigungen werden täglich glaubwürdiger. Puzzlestein für Puzzlestein wird das Bild vervollständigt, wonach es konkrete Absprachen und Gegenleistungen zwischen Trump und den Russen gegeben hat.
Doch es gibt auch einen persönlichen Aspekt: Trump ist seit Jahren von Obama geradezu besessen. 2011 hat er in der so genannten Birther-Kampagne behauptet, Obama sei nicht in den USA geboren worden und deshalb kein legaler Präsident. Diese Behauptung hielt er aufrecht, obwohl Obama den offiziellen Geburtsschein vorlegte, der seine Geburt in Hawaii bestätigte. Erst kurz vor Abschluss der Wahlkampagne nahm Trump diese Behauptung – die im Übrigen klar rassistisch motiviert war – zurück.
Am Korrespondenten-Dinner 2011 machte sich Obama in Anwesenheit von Trump über die Birther-Kampagne lustig. Videobilder zeigen, dass Trump alles andere als amüsiert war. Es kursiert gar die These, dass dieser Vorfall der Auslöser war für Trumps Beschluss, selbst als Präsident zu kandidieren. Als Präsident will er diesem Anlass fernbleiben.
Trump kann von Obama nicht lassen. Im Wahlkampf bezeichnete er ihn als «Vater des Isis». Die Fotos, die zeigen, dass bei Obamas Inauguration viel mehr Menschen in Washington waren als bei seiner, treiben ihn zur Weissglut.
Immer wieder macht er Aussagen über seinen Vorgänger, die nachweislich falsch sind. Jüngstes Beispiel ist ein Tweet, in dem er behauptete, 122 von Obama aus dem Gefängnis von Guantànamo entlassene Männer seien wieder Terroristen geworden. Bis auf acht wurden alle von George W. Bush freigelassen.
Längst hat Trumps Obama-Obsession den Charakter einer Verschwörung angenommen. Christopher Ruddy gehört zum engeren Freundeskreis von Trump. Gegenüber dem «Wall Street Journal» hat er erklärt: «Der Präsident wird seit seinem ersten Amtstag an belagert von der Presse und Obama-Loyalisten, und er wehrt sich dagegen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass es Obama-Loyalisten innerhalb und ausserhalb der Verwaltung gibt, die Trump das Leben schwer machen.»
Diese These läuft unter dem Begriff «deep state». Trump ist fest überzeugt, dass er in der Verwaltung von Feinden umzingelt ist. Deshalb traut er nur dem engsten Kreis von Verbündeten, beispielsweise seinem Chefstrategen Steve Bannon. Gleichzeitig lässt er zehntausende von Verwaltungsposten unbesetzt und kürzt willkürlich Budgets.
Barack Obama reagiert bisher nicht auf Trumps Vorwürfe. Er hat einzig durch einen Mitarbeiter feststellen lassen, dass Trumps Abhörvorwürfe «falsch» seien.
Anders als im Fall der Birther-Kampagne oder anderen lächerlichen und unsinnigen Behauptungen werden diese Tweets des Präsidenten Folgen haben. Die Vorfälle müssen untersucht werden, und zwar von einer unabhängigen Stelle. Trumps Justizminister Jeff Sessions ist bereits in den Ausstand getreten. Den USA droht eine Verfassungskrise.