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Nahost-Konflikt: Dem Westen droht ein doppelter Energieschock

Warnung vor Eskalation: Dem Westen droht der erste doppelte Energieschock seit Jahrzehnten

Noch sind die wirtschaftlichen Folgen gering, doch es könnte einen Inflationsschub geben wie nach Russlands Angriff auf die Ukraine.
31.10.2023, 05:2931.10.2023, 07:51
Niklaus Vontobel / ch media
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Das Zeug, ohne das die Weltwirtschaft nicht funktionieren kann: Ein Öltanker wird beladen.
Das Zeug, ohne das die Weltwirtschaft nicht funktionieren kann: Ein Öltanker wird beladen.Bild: getty

Wenn sich der Nahost-Konflikt nicht weiter ausweitet, werden die Folgen wenigstens wirtschaftlich gesehen beschränkt bleiben. Wenn. Wenn nicht, dann trifft ein zweiter Energieschock auf eine Weltwirtschaft, welche den Schock durch den Ukraine-Krieg noch nicht ganz überwunden hat. Das wäre der erste doppelte Energieschock seit Jahrzehnten – und die Weltbank warnt vor den Folgen.

Bis jetzt seien die Folgen des Nahost-Krieges für die globalen Rohstoffmärkte nämlich beschränkt gewesen. Alles in allem hätten die Erdölpreise lediglich um ungefähr 6 Prozent zugelegt seit Beginn des Konflikts. Und die Preise von Nahrungsmitteln, den meisten Metallen und andere Rohstoffen hätten sich kaum bewegt.

Dabei werde es wirtschaftlich gesehen auch bleiben, trotz allen menschlichen Leids in der Region – sofern der Konflikt sich nicht weiter ausweitet. Im Szenario, das laut Weltbank am wahrscheinlichsten ist, bleiben die Ölpreise bis Jahresende um die 90 Dollar pro Fass herum.

Nächstes Jahr dürfte das globale Wirtschaftswachstum sich verlangsamen, weshalb sich die Erdöl-Nachfrage abschwächen und der Ölpreis um die 81 Dollar herum schwanken dürfte. Auch sonstige Rohstoffe sollten wieder billiger werden, Nahrungsmittel ebenfalls.

Alles in allem brächte das eine weitere Entspannung für die Konsumenten und Konsumentinnen in westlichen Industriestaaten wie der Schweiz. Die Inflation würde weiter nachgeben wie in den letzten Monaten.

Auch Leitzinssenkungen durch die Zentralbanken wären dann wohl nicht mehr weit entfernt. So rechnen etwa die Analysten der Zürcher Kantonalbank schon für das Frühjahr 2024 damit, dass die Europäische Zentralbank ein erstes Mal ihre Leitzinsen wieder senken könnte.

Die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs sind nicht ausgestanden

Doch all das wäre dahin, sollten weitere Länder stärker in den Konflikt hineingezogen werden, etwa der Iran oder Saudi-Arabien. Um die möglichen Folgen abzuschätzen, ist die Weltbank bis ins Jahr 1970 der Nahost-Geschichte zurückgegangen, um frühere Störungen der Erdölförderung und deren wirtschaftliche Folgen zu analysieren.

Eine kleine Störung der Erdölförderung gab es während des libyschen Bürgerkriegs von 2011, als täglich 500'000 bis 2 Millionen Fass wegfielen. Sollte es heute wieder eine ähnlich schwere Störung geben, dann stünde der Erdölpreis bei 93 bis 102 Dollar pro Fass. Es wäre ein Anstieg zwischen 3 und 13 Prozent.

Eine mittelgrosse Störung wäre ein Ausfall der Erdölförderung wie im Irak-Krieg von 2003. In der Folge würden täglich 3 bis 5 Millionen Fässer weniger produziert, der Erdölpreis ginge um 21 bis 35 Prozent in die Höhe und würde zu 109 bis 121 Dollar pro Fass gehandelt.

Eine grosse Störung wäre vergleichbar mit dem arabischen Öl-Embargo von 1973. Dergleichen würde einen Rückgang der globalen täglichen Ölförderung um 6 bis 8 Millionen Fass bedeuten und ein Emporschiessen des Preises um 56 bis 75 Prozent – auf 140 bis 157 Dollar pro Fass.

Solche Vergleiche zeigen, was wirtschaftlich unmittelbar auf dem Spiel steht. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ging der Ölpreis ebenfalls hoch, auf um die 110 Dollar pro Fass der Sorte Brent. Dieser Preisschub war mit schuld daran, dass in Europa die Inflation zeitweise bei 10 Prozent stand.

700 Millionen Menschen sind unterernährt

Die westlichen Regierungen müssten darum wachsam sein, warnt die Weltbank. Eine Gefahr sei, dass auf höhere Ölpreise unweigerlich höhere Preise für Nahrungsmittel folgen. Höhere Energiekosten verteuern etwa den Transport und die Produktion von Nahrungsmitteln spürbar.

Ungleich stärker würde ein solcher Teuerungsschub in Schwellenländern durchschlagen, wo die ohnehin hohe Inflation der Lebensmittelpreise weiter befeuert würde. Ende 2022 seien 700 Millionen Menschen unterernährt gewesen, nahezu 10 Prozent der Weltbevölkerung. Ein Weltbank-Vertreter warnt darum: «Eine Eskalation des jüngsten Konflikts würde die Ernährungsunsicherheit nicht nur in der Region, sondern auch weltweit verschärfen.»

Zugleich spricht einiges dafür, dass westlichen Industriestaaten widerstandsfähiger sind gegen einen neuen Ölpreis-Schock als früher. So sind sie etwa weitaus weniger energieabhängig als noch in den 1970er-Jahren. Es braucht heute im Vergleich zu damals weniger als halb so viel Erdöl, um 1 Dollar an Wertschöpfung herzustellen.

Doch das Besondere an der aktuellen Situation ist, dass die Folgen des letzten Energieschocks noch nicht vollständig überwunden sind. Dieser habe störende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, die bis heute andauern, warnt die Weltbank.

«Sollte nun der Konflikt im Nahen Osten eskalieren, wäre die Weltwirtschaft zum ersten Mal seit Jahrzehnten mit einem doppelten Energieschock konfrontiert – nicht nur vom Konflikt im Nahen Osten, sondern auch von Russlands Angriff.» (aargauerzeitung.ch)

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152 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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offgrid
31.10.2023 06:19registriert Oktober 2019
Ein weiterer Grund wieso wir endlich die Energie die wir hier verbrauchen auch lokal produzieren und speichern sollten. Und zwar für alles: Leben, Wohnen, Produktion und Mobilität. Lokal heisst innerhalb der Schweizer Grenzen, nicht in der Nordsee und nicht in Nordafrika. Das wäre seit ca 20 Jahren wirtschaftlich und technisch möglich. Passiert ist nicht viel, ausser der Definition einer "Energiestrategie" die uns bis heute nichts als einen möglichen Strommangel und exorbitant höhere Strompreise gebracht hat.
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Hardy18
31.10.2023 06:14registriert Oktober 2015
Der letzte Energie-Schock war nichts anderes als endlich einen Grund gefunden zu haben um die Preise zu erhöhen, damit das Urlaubssäckchen aller, die einmal Waren in ihren Händen hatten, ordentlich füllen konnten. Ich kann es niemanden verübeln, der seinen Schnitt machen möchte. Nur immer irgendwelche Kriege oder sonstige Ereignisse vorzuschieben, um damit utopische Preise zu rechtfertigen, find ich unter aller Sau.
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Heavens
31.10.2023 08:07registriert Juli 2019
Rund 80% des Erdöls werden verbrannt, entweder in Fahrzeugen oder in Kraftwerken, wird endlich Zeit, dass wir da vorwärts machen.

Auch unabhängig vom Klimawandel, je eher wir von der Ölmafia wegkommen desto besser.
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