Wirtschaft
Gesellschaft & Politik

Der Brexit wird zum Zug-Unglück

Der Brexit wird zum Zug-Unglück

Die Scheidung zwischen Grossbritannien und der EU wird viel länger dauern als angenommen – und in Tränen enden. Die Personenfreizügigkeit zu kündigen und die bilateralen Verträge aufs Spiel zu setzen, ist so gesehen keine gute Idee.
21.12.2016, 10:4422.12.2016, 03:14
Mehr «Wirtschaft»

Beim Brexit wurden bisher zwei Szenarien diskutiert: eine «harte» und eine «weiche» Landung. Das erste kann man als Kampfscheidung verstehen, das zweite als einvernehmliche Trennung. Nun aber bringt Gideon Rachman in der «Financial Times» eine dritte Variante ins Spiel: Der Brexit wird zum Zugsunglück.  

«In dieser Version der Ereignisse können sich das Vereinigte Königreich und die EU nicht auf eine ordentliche Scheidung einigen. Stattdessen haut Grossbritannien ganz einfach ab – mit chaotischen Folgen für den Handel und die diplomatischen Beziehungen.»
Gideon Rachman

Wolfgang Ernst, Jusprofessor an den Universitäten Zürich und Cambridge, hat vor dieser Entwicklung schon im Frühjahr gewarnt. Er hat damals eine Verhandlungsdauer von mindestens fünf, aber eher zehn Jahren vorausgesagt. Die Entwicklung gibt im Recht.

Selbst der Botschafter warnt

Der britische EU-Botschafter Sir Ivan Rogers hat gegenüber der BBC bestätigt, dass sich die Verhandlungen bis Mitte der 20-er Jahren hinziehen – und dann scheitern könnten.  

«Wir haben die Kapazität dafür nicht, und die EU ist nicht daran interessiert.»
Britischer Beamter

Dabei müssten diese Verhandlungen im Frühjahr 2019 beendet sein. Die britische Premierministerin Theresa May hat nämlich versprochen, im kommenden März die Austrittsverhandlungen in Gang zu setzen und Artikel 50 anzurufen. Ordnungsgemäss müssten sie dann innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen sein.  

Britain's Prime Minister Theresa May leaves a EU Summit at the European Council headquarters in Brussels, Belgium December 15, 2016. REUTERS/Eric Vidal
Einsam am EU-Gipfel: Theresa May, die britische Premierministerin.Bild: ERIC VIDAL/REUTERS

Das wird kaum möglich sein. Zwischen Brüssel und London haben sich in der Zeitspanne von 40 Jahren rund 14'000 Verträge aufgetürmt. Sie alle müssen neu verhandelt werden. «Wir haben die Kapazität dafür nicht», sagt ein hoher britischer Beamter. «Und die EU ist nicht daran interessiert.»  

Die Verhandlungen werden nicht nur lang, sie werden auch sehr hässlich werden. Die EU wird darauf drängen, dass die Briten alle ihre Verpflichtungen erfüllen und daher eine Rechnung in der Höhe zwischen 50 und 60 Milliarden Euro nach London schicken.

«Brexit bedeutet Brexit»?

Das wiederum wird zu einem Aufschrei der EU-Gegner und der sehr aggressiven englischen Boulevard-Presse führen und einen vernünftigen Kompromiss verunmöglichen. «Deshalb ist es sehr gut möglich, dass Grossbritannien ganz einfach die Verhandlungen abbricht», so Rachman. «Dann geht die Angelegenheit vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Es könnten wiederum Jahre vergehen, bis er ein Urteil fällt.»  

Ein Zugsunglück-Austritt hätte für die britische Wirtschaft verheerende Folgen. Die bedeutende Autoindustrie beispielsweise würde darunter leiden, dass die Supply Chain unterbrochen und sie mit Zöllen von bis zu zehn Prozent belegt würde. Beides wäre im Zeitalter der «Just in time»-Produktion tödlich.  

Members of the Law Lords, Britain's senior judiciary, take their seats as they wait for Britain's Queen Elizabeth to read the Queen's Speech during the State Opening of Parliament in th ...
Unzufrieden: Die Lords des britischen Oberhauses.Bild: POOL/REUTERS

Die City of London, zusammen mit der Wall Street das grösste Finanzzentrum der Welt, würde die so genannten «passporting rights» verlieren, will heissen: Die Banker könnten nicht mehr wie bis anhin ungehindert ihren Geschäften in der ganzen EU nachgehen. Es wäre daher wahrscheinlich, dass zumindest ein Teil der Banken ihre Sitz von London nach Frankfurt oder Paris verlegen würden.

Inzwischen dämmert es auch den Briten, dass mit dem Spruch «Brexit bedeutet Brexit» nicht getan ist. So berichtet der «Guardian», dass bei den ehrwürdigen Lords im Oberhaus der Unwille über die Regierung wächst. Sie hätte ihre Verhandlungsposition überschätzt, «und es sei schlicht naiv gewesen, einen ‹free lunch› in den Handelsverhandlungen zu erwarten», muffelten die Lords.  

Cameron hat bei Merkel auf Granit gebissen

Das sollte man auch in der SVP und vor allem in der AUNS allmählich zur Kenntnis nehmen. Die AUNS hat angekündigt, eine Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit zu lancieren. Automatisch wären damit die bilateralen Verträge I mit der EU hinfällig. Diese unangenehme Tatsache will die AUNS nicht zur Kenntnis nehmen.  

President Lukas Reimann of the Action for an Independent and Neutral Switzerland AUNS addresses an extra-ordinary meeting in the northern Swiss town of Winterthur October 4, 2014. The leader of the Un ...
Will die Personenfreizügigkeit kündigen: AUNS-Präsident Lukas Reimann.Bild: ARND WIEGMANN/REUTERS

Vielleicht sollte AUNS-Präsident Lukas Reimann einmal mit dem ehemaligen britischen Premierminister David Cameron telefonieren. Auch er war felsenfest davon überzeugt, mit Angela Merkel einen neuen Deal aushandeln und so den Brexit vermeiden zu können. Das ist dumm gelaufen.

Wie britische Promis zum Brexit stehen

1 / 19
Wie britische Promis zum Brexit stehen
Brexit or nor: Wo stehen die britischen Promis? Viele haben inzwischen in der Frage «Should we stay or should we go?» Stellung bezogen, wie auch die Schauspielerin Keira Knightley. Sie ist dem #remain-Lager zuzurechnen.
quelle: jon furniss photography/invision/ap/invision / jon furniss photography
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
161 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
jjjj
21.12.2016 10:54registriert Dezember 2015
sorry, aber das ist einfach schlechter Stil, wenn man den Artikel, so spannend er sein mag, total sinnfrei mit einem Bild eines Zugunglücks mit mehreren Toten bebildert...
7512
Melden
Zum Kommentar
avatar
piedone lo sbirro
21.12.2016 14:33registriert November 2016
die ukip partei um nigel farage ist ein abbild unserer
svp.
mit infamen lügen und monatelangen angst -und hetz kampagnen à la weltwoche über die eu und die ausländer haben sie dem brexit zum sieg verholfen. köppel geiferte wochenlang vor freude.
jetzt wo der schaden angerichtet ist, ziehen sie den schwanz ein und verschwinden in der versenkung - ohne jegliche lösungsvorschläge für die anstehenden probleme, ohne irgendwann für irgend etwas verantwortung zu übernehmen.

willkommen im zeitalter der verantwortungslosen fundamentalisten und hetzern.
8524
Melden
Zum Kommentar
avatar
Majoras Maske
21.12.2016 11:26registriert Dezember 2016
Das Bild eines Zugunglücks ist übertrieben, denn weder London oder Brüssel haben daran Interesse.

Allerdings sind die Briten naiv zu glauben, Forderungen stellen zu können, denn sie sind nun mal Bittsteller. Brüssel gewährt ihnen die Stellung, die sie einem Nicht-Mitglied zugestehen möchten.

Brüssel wird nie wieder einem Land eine solche Sonderstellung wie der Schweiz zugestehen, vor allem nicht der Schweiz selber, wenn sie ihre für sie vorteilhaften Verträge plötzlich künden und neuverhandeln will. Die SVP sollte akzeptieren, dass jede Integration der Schweiz vom Volk abgesegnet wurde.
7326
Melden
Zum Kommentar
161
Schweizer Bevölkerung weiss, wie sie 13. AHV NICHT finanzieren will – die Sonntagsnews
Die offene Finanzierung der 13. AHV-Rente, mehr verirrte Tourengänger und ein abgeführter Rechtsextremist: Das und mehr findet sich in den Sonntagszeitungen.

Nach der Annahme der 13. AHV-Rente hat die Schweizer Bevölkerung Finanzierungsquellen aus der eigenen Tasche abgelehnt. Höhere Mehrwertsteuer, höhere Lohnabgaben und höheres Rentenalter schnitten in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov schlecht ab, wie die «NZZ am Sonntag» schrieb. Die beliebteste Idee war demnach eine Steuer auf Finanztransaktionen. Für 64 Prozent der Befragten zählte sie zu den drei wichtigsten Finanzierungsmassnahmen für die 13. AHV. Auch die Finanzierung durch Einsparungen beim Militär oder bei der Entwicklungshilfe stiessen auf Anklang. Insgesamt geht es um Mehrkosten von vier bis fünf Milliarden Franken.

Zur Story