Der Kurs der Bitcoins kann locker an einem Tag bis zu 10 Prozent schwanken, bei Ether dürfen es auch mal über 20 Prozent sein. Dazu werden laufend neue Kryptowährungen auf den Markt geworfen. Eine der jüngsten heisst EOS, die im Juli mit einem Gesamtwert von rund 200 Millionen Dollar lanciert wurde. Wer Sicherheit sucht, ist hier am falschen Ort.
Trotzdem boomt das Geschäft. Insgesamt wird der Wert aller Kryptowährungen derzeit auf rund 80 Milliarden Dollar geschätzt. «Bei der letzten Zählung waren anscheinend mehr als 900 verschiedene Coins aktiv und konnten auf bilateralen Kryptowährungen gehandelt werden», schreibt Izabella Kaminska in der «Financial Times».
Angesichts dieser Entwicklung drängt sich der Verdacht auf, dass hier auch Abzocker am Werk sind. Ebenso ist die Angst berechtigt, dass hier eine neue Techblase entsteht. Aber der Reihe nach:
Am Anfang war ein Protokoll, das Satoshi Nakamoto im Herbst 2008 veröffentlicht hat. Bis heute weiss man nicht, wer sich hinter diesem Pseudonym verbirgt. Besagtes Protokoll bildet die Grundlage für die Bitcoins, die Mutter aller Kryptowährungen.
Die Philosophie hinter dieser Währung stammt von den Cypherpunks, einer Art Internet-Anarchisten. Sie lehnen den Staat und vor allem die Zentralbanken mit ihrer Papierwährung, dem Fiat-Money ab. Stattdessen plädieren sie für dezentrale Organisationen und eine neue Form eines digitalen Goldstandards. Das versprechen sie sich von den Kryptowährungen. Sie sind dank der Blockchain-Technologie fälschungssicher und ihre Anzahl ist begrenzt.
Nicht nur die Cypherpunks, auch die libertären Anhänger der Ökonomenschule der so genannten Österreicher – die bekanntesten Vertreter sind Ludwig van Mises und Friedrich Hayek – erwärmten sich rasch für die Kryptowährungen. Auch die Österreicher plädieren für ein Geldsystem ohne Fiat-Money und ohne Zentralbanken, die sie als sozialistisch empfinden. Hayek war gar ein Fan von mit Gold abgesichertem Privatgeld.
Heute tummelt sich auf dem Feld der Kryptowährungen eine bunt gewürfelte Schar von Nerds, Cypherpunks und ultraliberalen Marktenthusiasten. Dazu scheinen sich nun auch Abzocker zu gesellen. Kein Wunder: «Stellt Euch einen Markt vor, auf dem praktisch jedermann seine eigene Währung lancieren und gegen Millionen von Dollar eintauschen kann», stellt Kaminska fest. Logisch, dass auch zwielichtige Charakter die Gelegenheit beim Schopf packen.
Angesichts der vielen neuen Kryptowährungen und des steigenden Umsatzes besteht die Gefahr, dass ein neues Schattenbanken-System entsteht. Darunter versteht man ein Geflecht von Finanzinstitutionen, die nicht von den Zentralbanken kontrolliert werden.
Ein solches Schattenbankensystem ist gefährlich. Der Finanzcrash vom Herbst 2008 war de facto ein Bankrun auf das damalige Schattenbanksystem. Es bestand aus den Repo- und den Geldmärkten (fragt nicht!), auf denen Banken und institutionelle Investoren wie Pensionskassen ohne Aufsicht der Zentralbanken sich gegenseitig Geld liehen.
Zentralbanken haben die Funktion des «lender of last resort». Das bedeutet, dass sie den von ihnen kontrollierten Banken im Fall eines Bankruns sofort Liquidität zur Verfügung stellen und so verhindern, dass das System zusammenkracht. Die Schattenbanken geniessen diesen Schutz nicht. Als es 2008 zum grossen Crash kam, standen sie deshalb mit abgesägten Hosen da.
Geht der Hype von Bitcoins, Ether & Co. weiter, dann entwickelt sich auch hier ein Schattenbanksystem ausserhalb der Kontrolle der Zentralbanken. Es entsteht ein System ohne «lender of last resort». Und das ist gefährlich.
«Die Frage ist: Realisieren die Investoren das Risiko, das sie eingehen?», fragt sich Kaminska. «Sind sie sich bewusst, dass hier Summen gehandelt werden, die potenziell nicht in übliche Währungen zurückverwandelt werden können? Und am wichtigsten: Realisieren sie, dass – sollte etwas schief gehen – es keinen Grund geben wird, dass sie vom Staat gerettet werden?»