Post macht Filialen in den Citys dicht – und erwischt die Städte auf dem falschen Fuss
Das war ein böses Erwachen für Natalie Rickli. Erst am Montag hatte die SVP-Nationalrätin in einem Interview erklärt, dass sie als Städterin vom Poststellenabbau persönlich kaum betroffen sei. Noch am gleichen Abend wurde sie eines Besseren belehrt: Die Post teilte mit, dass alleine im Kanton Zürich 26 Poststellen auf der Kippe stehen. Auch die Filiale in Ricklis Nachbarschaft in Winterthur ist nur noch bis 2020 garantiert. Rickli hatte davon nichts geahnt. Dabei ist sie immerhin Präsidentin der zuständigen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF).
«Wir sind von dieser Entwicklung völlig überrascht worden», sagt auch Kurt Fluri. «Bisher waren seitens der Postspitze einzig die ländlichen Regionen ein Thema. Nun aber sollen auch mitten in den Städten Poststellen geschlossen werden.» Solche Filialen könne man doch nicht durch eine Agentur in einer Bäckerei oder Apotheke gleichwertig ersetzen, findet der FDP-Nationalrat, der nicht nur Stadtpräsident von Solothurn ist, sondern auch dem Schweizer Städteverband vorsteht. «Hier geht es nur noch um Finanzziele», ist er überzeugt. Seit der Ablehnung der Service-public-Initiative im Juni 2016 seien staatsnahe Betriebe wie die Post, SBB oder Swisscom etwas gar selbstsicher geworden, sind sich Fluri und Rickli einig.
Zu schnell, zu radikal
Der Unmut über den Abbau des Poststellennetzes ist gross unter den Politikern. Der Nationalrat will daher den Bundesrat beauftragen, die Agenturen aufzurüsten und für eine bessere Erreichbarkeit zu sorgen. Gestern hat er jeweils mit grossem Mehr gleich drei Motionen seiner KVF angenommen. Eine davon verlangt, dass die Kriterien für die Erreichbarkeit künftig auf regionaler Ebene festgelegt werden. Heute müssen im landesweiten Durchschnitt 90 Prozent der Bevölkerung Post-Dienstleistungen innerhalb von 20 Minuten zu Fuss oder mit dem ÖV erreichen können. Dieses Kriterium sei untauglich. Fluri: «Gerade in städtischen Gebieten müssen auch die Bevölkerungszahl und die Dichte der Wirtschaftsstruktur berücksichtigt werden.»
Gleichzeitig verlangt die Motion, dass Dienstleistungen des Zahlungsverkehrs ebenso gut erreichbar sein müssen wie Postdienstleistungen. Heute gilt ein Limit von 30 Minuten. Um die Situation zu verbessern, sollen Postagenturen künftig alle Post-Dienstleistungen anbieten müssen, inklusive Annahme von Bareinzahlungen oder Massensendungen. So könne ein guter Service public garantiert werden. Post-Ministerin Doris Leuthard wehrte sich vergeblich gegen die KVF-Motion. Die Dienstleistungen der Post seien exzellent. Mit den Poststellen verliere sie aber 200 Millionen Franken pro Jahr. Weiter erinnerte die Bundespräsidentin daran, dass für jede geschlossene Poststelle Alternativen angeboten würden – etwa die Möglichkeit von Bareinzahlungen an der Haustür. «Der Strukturwandel wird sich nicht aufhalten lassen», mahnte Leuthard. Im Nationalrat stiess die CVP-Bundesrätin damit kaum auf Gehör. Zwar zeigte etwa KVF-Präsidentin Rickli durchaus Verständnis für die Schliessung von Poststellen.
Der Abbau aber sei zu schnell und zu radikal. Der gelbe Riese will bis 2020 gegen 600 der verbliebenen 1400 Poststellen dichtmachen. 2001 umfasste das Netz noch 3500 Poststellen. Der Konzern begründet die Massnahmen mit veränderten Bedürfnissen in der Bevölkerung. «Sogar die Basler Hauptpost sollte geschlossen werden. Man muss sich das einmal vorstellen», kommentiert der Basler SP-Nationalrat Beat Jans kopfschüttelnd. Zwar konnte für die Hauptpost eine Galgenfrist bis mindestens 2020 ausgehandelt werden. Drei anderen Filialen aber droht das Aus. Und schon in ein bis zwei Jahren könnten weitere folgen.
«Die Post ist nun gewarnt»
Gegenüber den beiden anderen KVF-Motionen zeigte sich der Bundesrat offener. Die eine will im liberalisierten Teil des Marktes bessere Bedingungen für die Post-Konkurrenz schaffen. So sollen unter anderem Koppelungs-Rabatte zwischen liberalisiertem und Monopolmarkt – also über und unter 50 Gramm – verboten werden. Auch sollen andere Anbieter Zugang zu den Postfächern erhalten. Die dritte Motion schliesslich fordert mehr Macht für die Aufsichtsbehörde. Heute hat das Bundesamt für Kommunikation Bakom zwar die Aufsicht über die Grundversorgung im Zahlungsverkehr sowie den Zustellpreis für abonnierte Zeitungen und Zeitschriften. Instrumente zur Durchsetzung hat es aber nicht. Die Post selber will sich vorerst nicht zu möglichen Auswirkungen äussern. Erst hat auch noch der Ständerat über die drei Motionen zu entscheiden. «Das Warnsignal an die Postspitze sollte aber deutlich sein», findet FDP-Nationalrat Fluri. Vielleicht werde die Konzernspitze nun etwas vorsichtiger, bevor das Parlament die Vorgaben allenfalls noch verschärft. «Die Post reagiert vor allem auf politischen Druck», ergänzt SVP-Kollegin Rickli. Umso wichtiger seien die parlamentarischen Vorstösse. Immerhin habe die Post bereits die Einführung von Bareinzahlungen an der Haustüre oder der Abgabe von Massensendungen angekündigt. Rickli: «Nun ist die Post erneut gewarnt.»
Maulkorb für die Gemeinden ist weg
Anhörung der Nationalratskommission
Anfang Jahr: Madeleine Deckert, Gemeindepräsidentin
der Berner Gemeinde Leubringen/Magglingen.
Ein paar Wochen
später bekam sie nämlich Besuch von Urs
Schwaller – Verwaltungsratspräsident der
Post. Und sie wertet dies als Zeichen,
dass sich die Postverantwortlichen für
die Anliegen der Gemeinden öffnen. Das
war nämlich nicht immer so.
Auch in Leubringen wurde die Poststelle
geschlossen und eine Agentur auf
der Gemeindeverwaltung eröffnet. Über
den Prozess schreibt Deckert in der Zeitschrift
des Gemeindeverbandes nicht viel
Schmeichelhaftes. Die Gemeinde sei von der Post vor einen «Fait accompli» gestellt
worden: Entweder Postagentur oder Zustelldienst.
Einen Einfluss auf den Erhalt
der Poststelle hatte die Gemeinde nicht
mehr. Kam dazu, dass sich der Gemeinderat
zur Geheimhaltung der Gespräche
verpflichten musste – mit Unterschrift.
Das sorgte für schlechte Stimmung bei
den Gemeinderäten. Sie fühlten sich von
der Post instrumentalisiert und als einen
Teil des Abbaus. Eine offene Kommunikation
mit der Bevölkerung sei wichtig:
«Der Gemeinderat ist eine Vertrauensbehörde»,
sagt Madeleine Deckert.
Als sich die Gemeinde einen Tag vor der
Schliessung der Poststelle an die Medien
wandte, um über die Neuerungen zu informieren,
fand es die Post unnötig, einen
Vertreter zu entsenden. Auch darüber
herrschte bei Deckert Enttäuschung.
Es
schien fast so, als ob die Gemeinde für
die Schliessung der Post verantwortlich
sei. Selbst der Postbote rief am Tag der
Schliessung bei der Gemeinde an, um zu
fragen, wie es denn ab Montag für
ihn weitergehe: «Der Agenturstart verlief,
gelinde gesagt, chaotisch», so Deckert.
Der Druck von Gemeinden, Städten,
Kantonen, aber auch dem Parlament hat
einiges in Bewegung gebracht. «Die Post
bewegt sich in die richtige Richtung»,
sagt Claudia Hametner, Vizedirektorin des
Gemeindeverbandes: «Wir nehmen positiv
zur Kenntnis, dass die Post stärker
mit den Gemeinden zusammenarbeiten
möchte.» Der Gemeindeverband wehre sich
nicht gegen den Umbau des Poststellennetzes,
doch in der Vergangenheit sei bei den
Schliessverfahren einiges schief gelaufen.
Hametner begrüsst vor allem, dass die Post
Abstand genommen hat von der Geheimhaltungspflicht.
Die Post hat inzwischen selbst
bemerkt, dass sie damit die Gemeindebehörden
enorm unter Druck gesetzt hat.
Madeleine Deckert hofft, dass andere
Gemeinden von ihren Erfahrungen profitieren
können. «Die Gemeinden haben
einen grossen Bedarf an einem Dialog auf
Augenhöhe», sagt die Gemeindepräsidentin
von Leubringen/Magglingen. Schliesslich
spreche auch die Post von «Agenturpartnern».
Viel Geschirr sei zerschlagen worden:
«Es braucht einiges, um das Vertrauen der
Gemeinden wieder herzustellen.» Doris Kleck
